28. Mai 2021 - Die Weichen für die Zukunft werden neu gestellt

Ende Mai wird gewählt. Wie aber geht es der österreichischen Zahnärzteschaft heute, welche Probleme und welche Herausforderungen hat sie zu meistern, und vor allem – wo geht der Weg hin? Ein Gespräch mit MR Dr. Thomas Horejs, Präsident der Österreichischen Zahnärztekammer.

Herr Dr. Horejs, wie haben Sie ganz persönlich die ersten fünf Jahre als Präsident der Österreichischen Zahnärztekammer erlebt?

HOREJS: Das große Vertrauen, das mir die österreichische Zahnärzteschaft durch meine Wahl entgegengebracht hat, war mir stets ein Auftrag. Ich habe mich schon immer als Team-Player verstanden und freue mich daher, dass alle in der ÖZÄK von Anfang an hervorragend zusammengearbeitet haben. Damit denke ich sowohl an unsere Mitarbeiter als auch an die Funktionäre der Kammern. In diesem Umfeld war es mir eine Freude, mitzuwirken und aktiv zu gestalten.

Was waren die größten Herausforderungen?

HOREJS: Die größte Herausforderung war zweifelsohne die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen, die uns nun seit mehr als einem Jahr in ihrem Bann halten. Wir waren und sind permanent mit neuen Fragestellungen konfrontiert, haben auch ständig dazugelernt. Erinnern Sie sich, als am Beginn der Pandemie vereinzelt Ordinationsschließungen gefordert wurden? Ich habe hier immer klar Position bezogen und mich gegen generelle Ordinationsschließungen ausgesprochen. Unsere Patienten sind unsere größten Verbündeten, die wir nicht verlieren dürfen. Die Geschichte hat mir recht gegeben. Heute fordert das niemand mehr.

Was waren die größten Erfolge?

HOREJS: Nach dem Amalgamverbot bei Kindern und Jugendlichen durch das EU-Parlament ist es uns gelungen, mit den Krankenkassen die neue Leistung Amalgamersatz-Füllung mit einer herzeigbaren Honorarhöhe zu vereinbaren. Zusätzlich haben wir bei Kindern und Jugendlichen mit der Mundhygiene als Kassenleistung den Vorsorgegedanken in der Zahnheilkunde gestärkt. Wer in seiner Jugend diese Leistung bereits erhalten hat, wird sie wahrscheinlich lebenslang in Anspruch nehmen. Das war sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Als zweiten Erfolg will ich die Bewältigung der Covid-19-Pandemie erwähnen. Von der Beschaffung von Schutzausrüstung bis hin zur Impfung haben wir stets in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium und den Landessanitätsdirektionen eine möglichst zeitgerechte Lösung angestrebt. Bei der Covid-19-Impfung ist es uns gelungen, Zahnärztinnen und Zahnärzte in die erste Priorisierung einzustufen. Das ist in keinem anderen europäischen Land gelungen. In Deutschland etwa wurden Zahnärzte nach den Ärzten eingereiht und werden daher wesentlich später als wir geimpft. Ich denke, die Impfung wird DER Gamechanger in der Pandemie. In Österreich waren die Vorarlberger die ersten. Dank ihrer guten Kontakte ins Rathaus ist es dem Wiener Präsidenten Claudius Ratschew und unserem Hygiene-Papst Franz Hastermann gelungen, dass die Wiener Zahnärzte bereits Mitte Jänner geimpft wurden.

Werden Sie wieder kandidieren?

HOREJS: Ja.

Wie geht es Ihrer Einschätzung nach der österreichischen Zahnärzteschaft in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie?

HOREJS: Dieser Frage sind wir voriges Jahr mit einer österreichweiten Umfrage nachgegangen. Das Ergebnis haben wir auch publiziert. 80 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte haben eine finanzielle Unterstützung, vorwiegend Kurzarbeit und Stundung von Steuer beziehungsweise Krankenkassenbeiträgen, beantragt. 93 Prozent davon haben die beantragte Unterstützung erhalten und zwei Drittel sind mit der erhaltenen Unterstützung zufrieden.

Waren die Unterstützung und Kommunikation der Standesvertretung zu den Mitgliedern Ihrer Meinung nach ausreichend?

HOREJS: Am Beginn der Pandemie bestand das akute Problem in der Beschaffung von Schutzausrüstung. Etablierte Lieferketten sind von einem Tag auf den anderen ausgefallen. Der in der EU hochgelobte freie Warenverkehr brach plötzlich zusammen. Insbesondere hat Deutschland für Österreich bestimmte Schutzausrüstung nicht mehr exportiert. Ich habe mich hier permanent mit dem ODV als Vertreter des österreichischen Dentalhandels abgestimmt. Auf Urgenz der Zahnärztekammer konnte Gesundheitsminister Anschober bei seinem deutschen Kollegen Spahn erreichen, dass der Exportstopp von Deutschland wieder aufgehoben wurde. Aus obengenannter Umfrage wissen wir, dass für die Kollegenschaft die wichtigste Informationsquelle während der Corona-Krise die Standesvertretung war. Nachfolgend kamen Massenmedien und Fachmedien. Soziale Medien waren für lediglich elf Prozent eine wichtige Informationsquelle. Mein Ziel war immer, ausschließlich gesicherte Informationen herauszugeben. Diese haben wir mit E-Mail, Rundschreiben und auf Online-Medien transportiert. Seit geraumer Zeit ist die ÖZÄK auch auf Facebook, sowohl mit einer offenen Seite als auch mit einer geschlossenen Gruppe exklusiv für Zahnärzte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit alle Zahnärzte einladen, von dieser zuverlässigen und seriösen Informationsquelle Gebrauch zu machen.

Gibt es für die wesentlich höheren finanziellen Kosten durch die Präventionsmaßnahmen bei gleichzeitig zum Teil drastischen Umsatzeinbußen eine finanzielle Unterstützung z.B. aus dem Brenner-Fonds?

HOREJS: Die Schutzausrüstung wird nunmehr von der ÖGK zur Verfügung gestellt. Inzwischen gibt es Beschwerden, dass zu viel Schutzausrüstung kostenlos geliefert wird. Also ich kann mit zu viel sicher besser leben als mit zu wenig. Die Umsätze waren im 1. und 2. Quartal 2020 um 6 beziehungsweise 12 Prozent niedriger als 2019. Ab dem 3. Quartal kam der Aufschwung. Die Umsätze waren im 3. Quartal bereits höher als im Vorjahr und haben im Gesamtjahr 2020 die Rückgänge vom ersten Halbjahr wieder kompensiert. Das sind natürlich statistische Durchschnittswerte. Mir ist bewusst, dass sich die wirtschaftliche Situation im Einzelfall auch anders darstellen kann. Der Brenner-Fonds ist ein Sondervermögen der LZÄK für Wien. Darauf hat die ÖZÄK naturgemäß keinen Zugriff.

Wohin geht die Standes-politik in Zukunft, wird es immer weniger Kassenzahnärzte geben? Ist der „Einzelkämpfer“ in der Zahnarztpraxis ein Auslaufmodell?

HOREJS: Die Krankenkasse muss hier endlich in die Gänge kommen. Ein Forderungspapier der ÖZÄK liegt dem Dachverband vor. Die Kassen waren 2020 aufgrund der Umstrukturierung zur ÖGK mit sich selbst beschäftigt. Nun braucht es Mut zu neuen Ideen. Wir fordern einen weiteren Ausbau der Zusammenarbeitsformen. Die Zahnheilkunde wird immer weiblicher und die nachfolgende Generation ist nicht mehr bereit, einen 40-Stunden-Job zu machen. Das Job-Sharing muss komplett liberalisiert werden. Dann sind alle Spielarten der zahnärztlichen Zusammenarbeit mit diesem Instrument möglich. Wir fordern auch ein Praxisjahr ähnlich wie in Deutschland, um dem Wunsch mancher junger Kollegen nach einer Anstellung nachzukommen. Ganz entschieden treten wir aber gegen Krankenanstalten auf, weil sie die Wegbereiter von internationalen Zahnarztketten sind. Wir sehen in Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung insbesondere für die Patienten. Und ihre Interessen müssen wir immer vertreten.

Und was wünschen Sie sich konkret für die Zukunft der Standespolitik?

HOREJS: Die nächsten fünf Jahre werden von der Bewältigung der Covid-19-Pandemie geprägt sein und somit eine Herausforderung für die österreichische Gesundheitspolitik und auch Standespolitik darstellen. Auf die Gesundheitskrise werden eine Wirtschaftskrise und eine soziale Krise folgen. Hier braucht es Standespolitiker mit Erfahrung und Enthusiasmus. Insbesondere die Wiener Funktionäre haben sich über die Jahrzehnte eine Reputation im Bund erarbeitet und sind eine wichtige Säule in der ÖZÄK. Es ist auch kein Zufall, sondern Ausdruck von Wertschätzung, dass der Wiener Präsident Claudius Ratschew zum Vorsitzenden des Wiener Wohlfahrtsfonds gewählt wurde – bei einem Stimmanteil der Zahnärzte von lediglich rund zehn Prozent. Über mehrere Jahre durfte ich als Präsident der Freiberufler-Dachorganisation BUKO alle österreichischen Freiberufler auf Bundesebene vertreten. Ich hatte Gelegenheit, anlässlich eines Besuches bei Bundeskanzlerin Bierlein unsere Anliegen persönlich vorzutragen. Ich denke, es ist für die nächsten fünf Jahre entscheidend, dass wir diese nationalen und internationalen Kontakte weiter zum Nutzen der österreichischen Zahnärzteschaft ausspielen können. Zahlreiche Gespräche mit Kollegen in Wien und in den Bundesländern machen mich hier zuversichtlich. Das Wichtigste erscheint mir aber, die Einheit des Berufsstandes weiter zu bewahren. Das war immer die Stärke der Zahnärzteschaft. Wir erleben in der Gesellschaft eine Polarisierung zwischen Corona-Leugnern und Zero-Covid-Anhängern. Da werden Emotionen bis hin zu Hasstiraden geschürt. Eine solche Spaltung müssen wir in der Kollegenschaft verhindern. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Dafür werde ich weiter eintreten, dafür brenne ich.

Herzlichen Dank für das Gespräch,
das Dr. Birgit Snizek führte.

 

MR Dr. Thomas Horejs, Präsident der Österreichischen Zahnärztekammer