Zahnärztekammerwahl 2021 - Die Wege der Wiener Standespolitik

In Wien treten erstmals seit langem mehrere Listen zur Wahl an. Wie wirkt sich das auf den Wahlkampf aus? Und welche konkreten Ziele verfolgt das etablierte Team? Ein Gespräch mit MR DDr. Claudius Ratschew, Präsident der Wiener Zahnärztekammer.

Herr Dr. Ratschew, wie wird denn die Wiener Liste aussehen, gibt es personelle Veränderungen?

RATSCHEW: Es gehört zur Tradition des ZIV und der aus ihm hervorgehenden „Standesliste der Wiener Zahnärzteschaft“, dass alle Referate ausnahmslos mit standespolitisch erfahrenen Persönlichkeiten besetzt werden. Neben den bereits seit vielen Jahren bekannten und bewährten Funktionärinnen und Funktionären wird es auch diesmal wieder einige neue Nominierungen für eine Referatsleitung geben. So wird Dr. Dino Imsirovic, der in der letzten Amtsperiode MR Dr. Franz Hastermann als dessen Sukzessor sehr erfolgreich und verdienstvoll unterstützt hat, das neu geschaffene Referat für angestellte Zahnärzte übernehmen. Frau MR DDr. Barbara Thornton wird die Nachfolge von MR Dr. Heribert Gmach als Finanzreferentin antreten, wofür sie ihre Erfahrung im Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds und ihr exzellentes Netzwerk auf dem Bankensektor prädestinieren. MR Dr. Peter Brandstätter wird nach vielen Jahren seiner Mitarbeit das Amt des Referenten für Niederlassung und Privatzahnärzte bekleiden, während sein überaus verdienstvoller Vorgänger, OMR Dr. Gerhard Ratzenberger, zweiter Vizepräsident wird. Das Fortbildungsreferat übernimmt mit viel jungem Elan ZÄ Stefanie Krainhöfner, die im ZIV schon viele Jahre das dortige Fortbildungsprogramm mitgestaltet hat. Auch im Referat für Öffentlichkeitsarbeit wird es einen Wechsel geben. Da wird Dr. Verena Schager, zuvor Sukzessorin im Fortbildungsreferat, unseren sehr geschätzten OMR Prof. Dr. Seemann ablösen und sich künftig ganz besonders der engen und modernen Kommunikation mit unseren Kammermitgliedern widmen. Und im Bereich der Sukzessorinnen und Sukzessoren wird es, wie immer, neben bereits bekannten Kolleginnen und Kollegen auch einige standespolitisch engagierte und sehr motivierte Jungzahnärztinnen und Jungzahnärzte geben, die schon jetzt unser erfahrenes und bewährtes Team mit innovativen Ideen bereichern.

Wie sehen Sie die letzten fünf Jahre an der Spitze der Wiener Standespolitik?

RATSCHEW: Ich glaube, dass gerade die letzten fünf Jahre für uns Zahnärztinnen und Zahnärzte eine besonders spannende und herausfordernde Zeit waren, die ihren Höhepunkt letztlich in der Bewältigungsstrategie der Covid-19-Pandemie fand. Das Team der „Standesliste der Wiener Zahnärzteschaft“ hat während der letzten Amtsperiode dank seiner großen standespolitischen Erfahrung, seiner Einsatzbereitschaft und seiner Sachkompetenz auch sehr viel für die Zahnärzteschaft erreichen können, und ich erlaube mir, wenn auch in aller gebotenen Bescheidenheit, darauf ein bisschen stolz sein zu dürfen. Die Meilensteine waren dabei etwa die für alle Beteiligten tragfähige Lösung des Amalgamersatz-Problems gemeinsam mit den Krankenkassen und die Weiterentwicklung und der Ausbau der freiberuflichen Zusammenarbeitsformen in der Zahnmedizin gegen anfänglich größte Widerstände seitens der Sozialversicherungsträger. Die bei weitem größte Herausforderung waren aber die standespolitisch erforderlichen Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie, die wir trotz des dadurch bedingt praktisch weltweiten Ausnahmezustandes in vielen Bereichen gerade in Wien besonders gut bewältigen konnten. Hier gilt mein Dank neben meinem hervorragenden Team und unserem exzellenten Mitarbeiterstab in der Landeszahnärztekammer in gleichem Maße auch der gesamten Wiener Zahnärzteschaft, die permanent für die flächendeckende zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung in unserer Stadt gesorgt hat, was unseren Gegnern von Anfang an jede Angriffsfläche nahm und sich zur Dokumentation unserer Bedeutung im Gesundheitssystem – Stichwort Impfpriorität für die Zahnärzteschaft und ihr Personal – auch standespolitisch als äußerst wichtig und goldrichtig erwiesen hat.

Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der dramatischen Veränderungen im letzten Jahr?

RATSCHEW: Das sehe ich eindeutig im Bereich der personellen und räumlichen Infrastruktur der Landeszahnärztekammer. Gerade während des exorbitant gestiegenen organisatorischen und administrativen Arbeitsaufwandes während der Covid-19-Pandemie denken wir da etwa an die Flut an zu bearbeitenden E-Mails und oftmals heiß laufende Telefone im Büro, an die Logistik der Beschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung, an die von uns geleistete Bewältigung des von der Politik verursachten Impfchaos von Brüssel bis Wien, an das zeitweise Home-Office des Personals und an viele andere Herausforderungen stießen wir im letzten Jahr sehr bald an die Grenzen unserer personellen, aber auch räumlichen Kapazitäten. Wir brauchen für die Landeszahnärztekammer daher dringender als je zuvor neue und größere Räumlichkeiten, in denen wir erstens die jetzigen drei Standorte Kohlmarkt, Weihburggasse und Gumpendorferstraße ergonomisch unter einem Dach vereinen können und wo wir zweitens die den heutigen Anforderungen adäquate Kapazität an personellen und räumlichen Ressourcen haben, die für die Aufgaben einer modernen und effizienten Standesvertretung schlicht und einfach unerlässlich sind.

Nun gibt es ja noch zwei antretende Listen in Wien, belebt die Konkurrenz die Standespolitik oder wird es dadurch schwieriger?

RATSCHEW: Ich meine, dass das Antreten mehrerer Gruppierungen bei der Zahnärztekammerwahl in einer Demokratie ein völlig normaler und auch erwünschter Vorgang ist. Schließlich soll die Wiener Zahnärzteschaft frei entscheiden können, welcher standespolitischen Erfahrung und Kompetenz welcher jeweils kandidierenden Personen sie in den nächsten fünf Jahren die Geschicke ihres Berufsstandes und damit ihre eigene berufliche Existenzgrundlage anvertrauen möchte. Um nicht mehr und um nicht weniger geht es ja bei dieser Wahl. „Schwierig“, wie Sie meinen, würde es für unseren Berufsstand eigentlich nur dann werden, wenn unsere Kammermitglieder bei der Wahl mehrheitlich entscheiden sollten, die Verantwortung für die Zahnärzteschaft in die Hände von Personen zu legen, die über keinerlei Expertise auf dem Gebiet der standespolitischen Arbeit verfügen. Wer Zahnarzt werden will, der muss ein Studium absolvieren. Wer ein Verkehrsflugzeug steuern möchte, der muss sich zum Piloten ausbilden lassen. Wer ein Handwerk ausüben will, muss eine Lehre abschließen. Und wer in der Standespolitik die Verantwortung für seine Berufsgruppe übernehmen möchte, der sollte das halt vorher auch erst einmal lernen.

Was sind die wichtigsten Ziele, die Sie in den nächsten fünf Jahren erreichen möchten?

RATSCHEW: Die „Standesliste der Wiener Zahnärzteschaft“ hat sich für die nächste Amtsperiode ein äußerst ambitioniertes Programm vorgenommen, das auf unserer Wahl-Homepage www.ziv.wien sehr detailliert dargestellt ist. Dazu gehören etwa, ungeachtet der Reihenfolge, der weitere Ausbau freiberuflicher Zusammenarbeitsformen innerhalb der Zahnärzteschaft, die Erweiterung unserer Serviceleistungen zur Unterstützung der Kollegenschaft im Rahmen des Berufseinstieges, die Modernisierung und Weiterentwicklung der personellen, räumlichen und digitalen Infrastruktur in allen Bereichen der Landeszahnärztekammer für Wien, die dringend nötige Strukturreform und Modernisierung unseres Lehrganges für zahnärztliche Assistenz unter einer neuen und dann innovationsfreudigen Schulleitung, die internationale Wahrung unserer Interessen in Synergie mit unseren Partnern im EU-Raum, die nachhaltige Gestaltung unserer gesicherten Altersversorgung im Wohlfahrtsfonds, die Stärkung der freien Zahnarztordination im Gesundheitssystem und vieles andere mehr.

Die Rahmenbedingungen für die Zahnärzteschaft werden nicht unbedingt einfacher, wo sehen Sie Chancen in der Zukunft und welche Veränderungen werden notwendig sein?

RATSCHEW: Gerade das vergangene „Corona-Jahr“ hat gezeigt, dass unser Beruf, den die Zahnärzteschaft nach wie vor zu fast 90% freiberuflich ausübt, tatsächlich äußerst krisenfest ist. Verglichen mit dem menschlichen und wirtschaftlichen Drama, das wir nun seit Monaten etwa im Bereich der Gastronomie, der Hotellerie und des Einzelhandels erleben, sind wir Zahnärzte in Wahrheit hervorragend durch die Krise gekommen, auch wenn die Rahmenbedingungen, wie Sie richtig sagen, alles andere als einfach waren und sind. Das standespolitische Erfolgsrezept dabei war eine wohldurchdachte und professionelle Strategie des ZIV und der Zahnärztekammer. Diese war von Anfang an darauf ausgelegt, einerseits die Freiheit der Zahnärzteschaft in ihrer Berufsausübung zu wahren und sie vor jeglicher staatlichen Bevormundung zu schützen, andererseits aber auch durch die Beschaffung von Schutzausrüstung, das Erreichen bevorzugter Covid-19-Impfmöglichkeiten und das Ausverhandeln liquiditätssichernder Maßnahmen, um für die Kassenordinationen essenzielle Unterstützung für die Aufrechterhaltung des Praxisbetriebes zu schaffen. Diese Krisenfestigkeit der freien und autonomen Zahnarztordination wird daher auch in Zukunft unsere größte Chance für eine gesicherte berufliche Existenz sein. Wir werden daher auch künftig sehr intensiv daran arbeiten müssen, die Freiberuflichkeit unserer Berufsgruppe zu verteidigen, abzusichern und in jeder Weise zu fördern.

Was muss getan werden, damit der zahnärztliche Beruf für junge Menschen interessant bleibt?

RATSCHEW: Hier sind mehrere Faktoren zu beachten, die wir standespolitisch berücksichtigen müssen. So wird unser medizinisches Fach zunehmend „weiblicher“, das heißt, immer mehr junge Frauen interessieren sich für unseren Beruf und studieren Zahnmedizin. Dazu kommt, dass die junge Zahnärzteschaft heute oftmals andere Erwartungen an ihre Lebensplanung hat, als dies in früheren Jahrzehnten der Fall war. Die junge Generation in unseren Reihen erwartet sich heute zumeist ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Berufstätigkeit und Freizeit bzw. Familienleben und sie möchte ihren Beruf von Anfang an mit möglichst wenig wirtschaftlichem Risiko ausüben. Im Ausland hat das viele Jungzahnärztinnen und Jungzahnärzte dazu veranlasst, vermeintlich sichere Angestelltenverhältnisse in von Kapitalgesellschaften geführten zahnmedizinischen Versorgungseinrichtungen einzugehen. Sie mussten dort aber sehr schnell erkennen, dass sie durch Umsatzvorgaben der Eigentümer in Wahrheit sowohl menschlich als auch fachlich schamlos ausgebeutet wurden. Diese fatale Entwicklung müssen wir in Österreich, wie im Übrigen bisher erfolgreich geschehen, weiterhin bereits im Keim ersticken. Es führt daher auch für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen letztlich kein Weg an der Selbstbestimmtheit der Freiberuflichkeit vorbei, um den zahnärztlichen Beruf auch in Zukunft mit Freude und Idealismus ausüben zu können. Unser Ziel speziell für die junge Generation innerhalb der Zahnärzteschaft muss daher darin bestehen, für sie und mit ihr gemeinsam neue, moderne Arbeitsmodelle zu entwickeln, die alle oben genannten Vorhaben erfüllen.

Herzlichen Dank für das Gespräch,
das Dr. Birgit Snizek führte.

 

MR DDr. Claudius Ratschew, Präsident der Wiener Zahnärztekammer