Orale Keime und das intestinale Mikrobiom - Kommunikation zwischen mikrobiellen Biozönosen

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen sowie Störungen der Verdauung und Resorption von Nahrungsstoffen sind ganz ähnlich wie Parodontitis und Gingivitis meist mit einer Imbalance des residenten Mikrobioms assoziiert.

Die mikrobiellen Biozönosen unseres Körpers zeigen in Abhängigkeit von exo- und endogenen Faktoren sowohl qualitativ als auch quantitativ unterschiedliche Kompositionen. Ein Ungleichgewicht in der Homöostase der Kleinökosysteme von Mund, Verdauungstrakt und Haut führen zu einer Verarmung an bakteriellen und fungalen Spezies und zu einem Switch in Richtung pathogener Mikroflora.

Organische Erkrankungen als Folge eines destabilisierten Mikrobioms

Chronische Infektionen führen zu einem systemischen Anstieg von Entzündungsmediatoren im gesamten Körper. Im Fall einer floriden Parodontitis werden sowohl die proinflammatorischen Zytokine als auch die Keime selbst in das Blut eingeschwemmt und zu den Organen transportiert. Diese tägliche Bakteriämie kann, vor allem bei gleichzeitig bestehenden immunologischen oder metabolischen Grunderkrankungen, nicht rechtzeitig durch die spezifische und unspezifische Abwehr beseitigt werden. So kommt es in der Folge zur Auslösung und/oder Progression schwerer Krankheiten, wie Atherosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus, um nur einige Beispiele zu nennen. Neue Forschungen belegen nun weitere Möglichkeiten der Einflussnahme des oralen Mikrobioms auf den systemischen Status. Durch tägliches Verschlucken von 0,75 bis 1,5 Liter Speichel werden große Mengen an oralen Mikroorganismen in den Magen-Darm-Trakt eingebracht. Viele der mit parodontalen Entzündungen assoziierten anaeroben gramnegativen Bakterien sind säureresistent und können daher den niedrigen pH-Wert des Magens überleben und so bis in den Darm gelangen. Typischerweise findet man bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa stark erhöhte Level primär oraler Parodontitiskeime im Darm. Mittels PCR konnten idente Spezies aus den Biofilmen der Zahnfleischtaschen und aus den Stuhlproben der betroffenen Patienten nachgewiesen werden. Besonders Wolinella, S. aureus und S. anginosus, aber auch Fusobakterien, Treponema denticola, Tannerella forsythia und Porphyromonas gingivalis waren unter den identifizierten Arten. Es besteht offensichtlich ein Transfer von virulenten Arten von der Mundhöhle in das Intestinum, welche das dort präexistente Mikrobiom verändern und modulieren.

Keystone-Bakterien verändern die Darmbiozönose

Interessanterweise ist die Transkriptionsaktivität der oralen Keime im Darm als eher niedrig einzustufen. Vielmehr scheint den Mundbakterien die Rolle sogenannter KeystoneBakterien zuzukommen. In dieser Hinsicht ist Porphyromonas gingivalis wohl am besten untersucht. Im Tierversuch konnte durch orale Einbringung dieses aggressiven parodontalen Leitkeims eine dramatische Veränderung des Dünndarmmikrobioms ausgelöst werden. Es kam zu einer signifikanten Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den Stämmen der grampositiven Firmicutes und der gramnegativen Bacteroidetes. Gleichzeitig stiegen die Level von Plasmaendotoxin und Insulin massiv an. Im Dünndarm kam es in der Folge zu einer Störung der Durchlässigkeit der Epithelien durch Degradierung von Proteinen wie Occludin und Claudin, welche für die tight-junctions zwischen den Zellen verantwortlich sind. Dennoch konnte keine auffällige Steigerung der Vermehrung von P. gingivalis im Dünn- oder Dickdarm nachgewiesen werden. Die Ursache für die krankmachende Veränderung im Darmmikrobiom liegt vielmehr in der Etablierung eines dysbiotischen Environments ohne eigene dominante Beteiligung von P. gingivalis an der Biozönose. Das Bakterium manipuliert durch seine Pathogenitätsfaktoren die Wirtsgewebe und induziert so ein Remodelling der ursprünglich benignen Biozönose. Diese Fähigkeit von P. gingivalis war bisher nur in Bezug auf seine Rolle als parodontales Pathogen bekannt. Auch hier ist Porphyromonas
im Verhältnis zu den anderen gramnegativen Anaerobiern meist nur in geringer bis moderater Menge direkt nachweisbar. Dennoch bewirkt sein bloßes Vorhandensein im subgingivalen Biofilm eine massive Verschiebung in Richtung eines aggressiver gewebedestruktiven Mikrobioms.

Gingipaine forcieren die Entzündungsaktivität

Sowohl im Darm als auch in der Mundhöhle spielen hier die Gingipaine von Porphyromonas gingivalis eine entscheidende Rolle. Es handelt sich dabei um Proteasen, welche das Entzündungsgeschehen direkt beeinflussen. So werden Zytokine abgebaut, Komplementfaktoren und deren Rezeptoren auf den Leukozyten alteriert und über die Hemmung der Synthese von Interleukin-8 die Rekrutierung neutrophiler Granulozyten behindert. Das Ergebnis ist sowohl in der Mundhöhle als auch im Darm eine überschießende Entzündungsreaktion bei gleichzeitiger Unfähigkeit der Leukozyten zur Eliminierung aggressiver Keime. Alterierte Wirtsgewebe und gleichzeitiges Vorliegen eines pathogenen Mikrobioms fördern die Progression chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Diese Mechanismen erklären die häufig gemeinsam mit M. Crohn und Colitis ulcerosa auftretende aggressive Parodontitis und vor allem die in Darm und Mund parallelen Exazerbationen der Entzündung. Die Therapie aktiver Zahnfleischtaschen, bei Bedarf unter gezielter Antibiose, hat nachweislich auch positive Wirkung auf den Darm. Einmal mehr zeigt sich die wechselseitige Abhängigkeit körpereigener und mikrobieller Strukturen und Systeme.

Ch. Eder, L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at

Gesunde Zähne, gesunder Darm