Seit 400 Jahren in Wien: Barmherziges Zahnziehen

Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien-Leopoldstadt besteht seit über 400 Jahren. Die Barmherzigen Brüder sind ein Bettelorden, der von Johannes von Gott (1690 heiliggesprochen) gegründet wurde. Anfangs hatte das Spital der Brüder 12 Betten, heute ist es das größte Krankenhaus der österreichischen Ordensprovinz (eine von weltweit 21 Provinzen). Seit jeher waren die Barmherzigen Brüder im 2. Wiener Bezirk für Menschen mit Zahnschmerzen da, wobei nicht bekannt ist, ab wann genau Zahnbehandlungen durchgeführt wurden. Man nimmt aber an, dass seit der Gründung des Spitals Zähne gezogen wurden. Auch heute noch ist die Zahnambulanz im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder recht bekannt.

Bis wann haben eigentlich die Barmherzigen Brüder Zähne gezogen?

Bis in die frühen 1970er-Jahre. Früher gab es immer einen Barmherzigen Bruder, der auf Extraktionen spezialisiert war. Der letzte Bruder, der Zähne zog, war Frater Gregor Hochegger. Heute besteht das Team der Zahnambulanz aus zwei Zahnärzten: Dr. Sorin-Radu Adam und Dr. Stefan Machalik.

Wie funktioniert die Zahnambulanz?

Auch heute noch fungieren die Barmherzigen Brüder als „Retter in der Not“, wenn akut kein Zahnarzt aufzutreiben ist. Die Zahnambulanz ist eine Notfallambulanz und dient der Erstbehandlung von Zahnschmerzen. Viele der Patienten haben keine Versicherung und kommen erst dann in die Ambulanz, wenn der Schmerz gar nicht mehr auszuhalten ist. Die Zahnärzte versuchen dann, so gut es geht, zu helfen. Patienten ohne Krankenversicherung werden kostenlos behandelt.
Weiters kommen auch zahlreiche Menschen, die große Angst vor dem Zahnarzt haben. Sie schämen sich für ihre schlechten Zähne, aber schaffen es einfach nicht, zum Zahnarzt zu gehen. Einfühlungsvermögen ist bei den Patienten der Zahnambulanz besonders wichtig.
Die akute Schmerzbehandlung besteht in Abszesseröffnung, sofern es kein Fall für den Kieferchirurgen ist, in Zahnextraktion und medikamentöser Therapie.
Für weitere Behandlungen, die zur Schmerzbeseitigung erforderlich sind (wie z.B. Wurzelbehandlung oder Füllungen), werden die Patienten an niedergelassene Zahnärzte/Zahnärztinnen, Zahnambulatorien oder die Universitätszahnklinik verwiesen. Generell betonen die Zahnärzte der Ambulanz immer, dass eine Extraktion die letzte Möglichkeit ist und dass oft zahnerhaltende Behandlungen sinnvoller sind als eine Extraktion. Die Entscheidung, ob ein Zahn gezogen wird, liegt freilich beim Patienten. Schmerzstillende Injektionen sind zu bezahlen – allerdings nicht von unversicherten Patienten. Die Ambulanzzeiten sind auf der Startseite der Website der Barmherzigen Brüder zu finden. Sie können auch beim Krankenhausportier erfragt werden.

Wie viele Patienten kommen heute pro Jahr in die Zahnambulanz, und wie viele Zähne werden gezogen?

In den letzten Jahren hat die Frequenz leicht abgenommen. Im Jahr 2018 zählte man knapp 1800 Patientenkontakte, und es wurden etwas über 600 Zähne gezogen. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen für 2019 sehr ähnlich sein werden. Um 1900 sahen die Zahlen noch ganz anders aus: Pro Jahr kamen rund 45.000 Patienten ins „Ambulatorium“!

Gibt es vergleichbare Einrichtungen in anderen Krankenhäusern der Barmherzigen Brüder in Österreich?

Nein, eine Zahnambulanz gibt es nur in Wien.

Wie sieht der Blick in die Zukunft aus?

In der nächsten Zeit wird die Zahnambulanz in neue Räumlichkeiten übersiedeln. Ein großer Wunsch der Barmherzigen Brüder ist die Neuanschaffung mancher Instrumente und vor allem einer neuen Behandlungseinheit. Sie vertrauen dabei auf die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung.

Quelle: www.barmherzige-brueder.at

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com