Aus- und Wechselwirkungen: Streptococcus mutans – nicht nur ein Karieskeim?

Die zahlreichen Querverbindunggen zwischen gingivalen/parodontalen Entzündungen und systemischen Krankheiten zeigen eindrucksvoll die Bedeutung der Mundgesundheit für unseren Körper. Karies, immer noch die häufigste Krankheit der Menschen, wird in ihren Aus- und Wechselwirkungen mit dem Gesamtorganismus dagegen häufig unterschätzt.

Allein in Österreich hat fast 100% der erwachsenen Bevölkerung Karieserfahrung, in der Altersgruppe der sechs- bis siebenjährigen Kinder sind es an die 45%. Im Jahr 2016 hatten 33% der Sechsjährigen behandlungsbedürftige offene Karies mit durchschnittlich acht Kavitäten pro Kind. Allein diese hohen Zahlen geben zu denken. Die Ursachen der „Zahnfäule“ werden heute nicht mehr ausschließlich in einer Infektion mit dem Keim Streptococcus mutans gesehen. Vielmehr handelt es sich ähnlich wie bei der Parodontitis um einen multifaktoriellen Prozess bei dem auch genetische Komponenten, endo- und exogene Noxe und Ernährungsgewohnheiten mit erhöhter Konsumation niedermolekularer Zucker eine wichtige Rolle spielen. Letztlich führt dies zu einer Destabilisierung des ökologischen Gleichgewichts in der Mundhöhle und zu einer Veränderung in der Komposition des oralen Mikrobioms. Hier kommen dann S. mutans als Verursacher primärer kariöser Läsionen und in der Folge Lactobacillus und auch Candidaspezies als Betreiber und Verursacher tiefer Kavitäten zu tragen.

Mutans-Streptokokken verursachen bakterielle Endokarditis

Die Bedeutung von S. mutans liegt in seiner Fähigkeit zur raschen und effizienten Verwertung von Sucrose, zur direkten Anheftung an Zahnoberflächen und seiner hohen Säuretoleranz. Diese Faktoren ermöglichen ihm in weit höherem Maß als andere orale Streptokokken im Biofilm aktiv an der Destruktion des Zahnschmelzes und der Entstehung von kariösen Initialläsionen mitzuwirken. Nun wurde der Keim in inzwischen zahlreichen Untersuchungen auch in atheromatösen Plaques von Arteriosklerosepatienten und sogar in Blutkulturen und an den Herzklappen von Patienten mit infektiöser Endokarditis nachgewiesen. „Vergrünende“ Streptokokken sind noch vor Staphylococcus aureus die häufigsten Auslöser einer bakteriellen Endokarditis. Die Angaben über die Häufigkeit schwanken regional zwischen 21 und 49%, wobei S. mutans bei etwa 15% beteiligt ist. Forschungsergebnisse aus Japan belegen bei den durch orale Streptokokken ausgelösten Endokarditiden sogar einen 70%igen Anteil von S. mutans. Patienten mit Mutans-Endokarditis zählen meist zu den subakuten Fällen mit schleichendem Verlauf und Symptomen wie intermittierendem Fieber, Schüttelfrost, Anorexie, Gewichtsverlust und allgemeinem Krankheitsgefühl. Die Zahl der S. mutans verursachten Erkrankungen wurde lange Zeit deutlich zu gering eingestuft, da die Keime mit den üblichen Nachweisverfahren kaum oder nur schwer erfasst werden konnten. Sie benötigen bei der Kultivierung eine sehr lange Bebrütungsdauer (bis zu drei Wochen) und eine hohe Sauerstoffspannung. Mittels PCR und DANN Sequenzierung wird ein rascher Nachweis heute ermöglicht und so konnten unterschiedliche Strains sowohl aus dem Blut (Sepsis) als auch direkt aus den Vegetationen auf den Herzklappen nachgewiesen werden.

Oberflächenantigene als Pathogenitätsfaktoren

Dabei zeigten sich einige interessante Phänomene: Die primär kariesassoziierten Mutanskeime exprimieren auf ihren Zelloberflächen Kollagen-Bindeproteine, welche ihnen die Adhäsion an Oberflächen, unter anderem auch am Endokard und an Endothelien von Gefäßen ermöglichen. Sie haben typische Oberflächenantigene, die Glucosyltransferasen (GFT), die Protein Antigene (PA) und die Glucon-Bindeproteine (Gbp). Die GFT´s sind in die sucroseabhängige Bindung an die Zahnoberfläche involviert, während PA´s für die sucroseunabhängige initiale Adhäsion verantwortlich sind. Zusätzlich können die GFT´s allerdings auch die Interleukin 6 (IL6)-Bildung der Endothelzellen induzieren, welches mit dem Akutstadium bei Endokarditis assoziiert ist. Die vier Typen der Gbp´s sind ebenfalls Virulenzfaktoren, da sie glucanbindende Eigenschaften haben. Mutierte Strains von S. mutans mit defekter Expression von PA und/oder Gbp-Antigen können Karies nur deutlich langsamer induzieren. Allerdings stellen sie nach neuen Forschungsergebnissen die weit höhere Gefahr für den Gesamtorganismus dar. So haben Mutationen mit Protein A-Defekten und in etwas geringerem Ausmaß auch die Varianten mit Defekten der Glucon-Bindeproteine eine deutlich erhöhte Resistenz gegenüber Phagozyose. Wenn solche mutierten Formen in peripheres Blut eingeschwemmt werden, können sie von den Zellen der unspezifischen Abwehr weniger rasch und effektiv eliminiert werden. Das bedingt eine verlängerte Bakteriämiephase und gibt den Streptokokken mehr Zeit zur Absiedelung in den Gefäßen und auch im Endokard. Die Mutans Streptokokken werden auf Grund der chemischen Komposition von serotypischen Polysacchariden in vier Serogruppen, nämlich c, e, f und k eingeteilt. Während an Zähnen der Anteil der c-Mutans-Kokken am höchsten ist, findet man an Herzklappen und in den atheromatösen Plaques bevorzugt die k-Serotypen. Dies korreliert mit den Defekten in den Oberflächenantigenen.

S.mutans – ein Faktor bei der Arteriosklerose

S. mutans-Zellen binden an extrazelluläre Matrix Moleküle und an Fibrinogen. Ähnlich wie bereits für den Parodontalkeim Porphyromonas gingivalis nachgewiesen, induzieren sie Plättchenaggregation und Schaumzellbildung. Alle diese Faktoren begünstigen und fördern die Bildung atheromatöser Plaques in den Blutgefäßen. Neue Forschungen zeigen auch eine mögliche Involvierung von S. mutans bei der Aggravation entzündlicher Darmerkrankungen und der nicht alkoholischen Steatohepatitis durch ihre Fähigkeit zur Induktion massiver Zytokinausschüttung in den betroffenen Geweben. Weiterführende Untersuchungen über die systemischen Auswirkungen der Mutans-Streptokokken können dazu beitragen Assoziationen zu systemischen Erkrankungen herzustellen.

Ch. Eder, L.Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at