Zahnerhaltung und Parodontologie: Speichel, Stress, Alter, automatische Zahnbürste, Kitzbühel

Die Preisträger des Rudolf Slavicek-Preises 2018 waren Dr. Florian Beck, Dr. Alice Blufstein und Dr. Hady Haririan, PhD, MSc. ZMT sprach mit Univ.-Ass. Haririan, Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie der Universitätszahnklinik Wien, über die preisgekrönte Arbeit (publiziert im Journal of Periodontology) und andere parodontologische Themen.

Zu welchen Schlussfolgerungen gelangte die Publikation „Salivary neuropeptides, stress, and periodontitis“?

HARIRIAN: Vasoaktives Intestinales Peptid (VIP) und Neuropeptid Y (NPY), die u.a. von Entzündungszellen ausgeschüttet werden, waren bei Patienten mit Parodontitis signifikant erhöht. Dies betraf aber nur den Speichel, nicht das Serum. Frauen hatten niedrigere VIPWerte als Männer. Stress wurde mit Hilfe von Fragebögen erhoben, hier fanden sich keine Unterschiede zwischen der Parodontitis- und der Kontrollgruppe. Dies traf auch auf die Cortisol-Konzentrationen zu. Stress ist meiner Ansicht nach eher ein Risikoindikator, kein Risikofaktor für Parodontitis. Das Immunsystem wird sicherlich durch Stress supprimiert, speziell inadäquates Stress-Copingverhalten („sich nicht dem Problem stellen“) fördert Parodontitis, wie Doz. Wimmer zeigen konnte. Es erscheint mir aber auch gut möglich, dass von Stress Betroffene mehr Süßigkeiten essen und schlechter Zähneputzen und Raucher mehr rauchen. VIP und NPY sind jedenfalls nach unserer Studie als Parodontitis-Biomarker prinzipiell geeignet.

Wie ist generell der aktuelle Wissensstand zu Biomarkern?

HARIRIAN: Laut systematischen Reviews sind drei Biomarker sehr gut geeignet (MIP-1Alpha, IL-1ß, IL-6); einige andere Marker wie das Calprotectin sind noch nicht so profund untersucht. Calprotectin wird übrigens bereits als Marker bei entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt. Es geht um einen Parodontitis-Vortest, man kann damit die Bevölkerung erreichen. Schließlich wird nach meiner Erfahrung die parodontale Grunduntersuchung in etlichen Ordinationen nicht routinemäßig durchgeführt. Hier gibt es sicher Aufholbedarf. Frühdiagnostik ist sehr wichtig, allerdings sind Speicheltests oft unspezifisch. Der bereits kommerzialisierte MMP-8-Test kann auch nicht zwischen Gingivitis und Parodontitis unterscheiden.

Was ist aus Ihrer Sicht zur 10-Sekunden-Zahnbürste zu sagen?

HARIRIAN: Ich habe den Entwickler, Herrn Musialek, seinerzeit hinsichtlich Anforderungen an Zahnbürsten beraten und halte eine automatische Zahnbürste für eine gute Idee, etwa für alte Menschen in Heimen. Die Zahnbürste muss aber noch weiterentwickelt werden. Derzeit ist sie noch für manche zu klobig und die Putzleistung dürfte noch nicht gut genug sein. Entsprechende (verblindete) Vergleichsstudien werden in Innsbruck und Wien durchgeführt.

Alte Menschen und Parodontitis?

HARIRIAN: Es gibt immer mehr alte Menschen mit eigenen Zähnen und mit Implantaten. Daher ist davon auszugehen, dass die Zahl der Parodontitis- und Periimplantitisfälle zunehmen wird. Bereits heute haben über zwei Drittel der alten Menschen eine Parodontitis. Wir planen, uns dazu die Daten der über 75- bzw. über 85-jährigen Patienten an der Zahnklinik (und die Entwicklungen) anzusehen. Leider wird in Pflegeheimen immer noch viel zu wenig Zähne geputzt. Dabei weiß man, dass eine professionelle Zahnreinigung mit einer mobilen Einheit zweimal im Jahr sehr viel bringen würde. Allerdings gibt es keine wirtschaftlichen Anreize dafür. Man sollte auch daran denken, wie eine festsitzende Versorgung im Alter in einen abnehmbaren Zahnersatz umgewandelt werden kann. Solche Rückbauten sind ja möglich.

Sie haben mit Frau Dr. Pachel-Tettinger eine Publikation verfasst, in der das Patientenkollektiv des Jahres 1933 mit demjenigen von 2013 verglichen wurde?

HARIRIAN: Während des Umbaus der Wiener Zahnklinik habe ich alte Ambulanzbücher gefunden. Am vollständigsten waren die Einträge für den Zeitraum von Jänner bis Mai 1933, diese wurden mit 2013 verglichen. Pro Tag wurden ungefähr gleich viele Patienten behandelt, allerdings waren sie 1933 im Schnitt fast 11 Jahre jünger. Damals gab es über 30 Prozent Arbeitslose, und es wurden viel mehr Extraktionen als heute vorgenommen. Ein Röntgen stellte damals die Ausnahme dar, während es heute die am häufigsten abgerechnete Leistung ist.

Was erwartet die Besucher heuer in Kitzbühel?

HARIRIAN: Beim Jubiläumskongress (25. Paro-Experten-Tage) vom 23.-25. Mai sind fast alle österreichischen Universitäten vor Ort und werden ihre Konzepte vorstellen. Die Keynote wird Dirk Stermann halten. Es werden u.a. die neuen Klassifikationen von Parodontalerkrankungen vorgestellt, und die ÖGP-Youngsters betreuen eine Session, in der es um ältere Patienten geht. Zum Abschluss gibt es Live-OPs, es wird ein Keramik-und ein Titanimplantat gesetzt.

Was liegt Ihnen noch am Herzen?

HARIRIAN: Parodontitis wird immer noch unterschätzt, von den Patienten und in der Kollegenschaft. Ich sehe an der Zahnklinik nach wie vor 30-Jährige mit massivem Knochenabbau, so etwas muss nicht sein. Es wäre wichtig, mehr Menschen hinsichtlich Speicheltests oder der parodontalen Grunduntersuchung zu erreichen. Der European Gum Health Day am 12. Mai soll die Awareness steigern; wir planen in Wien Mitte-The Mall einen Infostand, wo Menschen mit Hilfe einer App einen Parodontitis-Fragebogen beantworten können. Wir würden auch gerne die genaue Parodontitis-Prävalenz in Österreich wissen. Derzeit stehen uns nur Schätzungen zur Verfügung, diese sprechen von einer Million Betroffenen.

Herzlichen Dank
für das Interview!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Univ.-Ass. Haririan, Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie der Universitätszahnklinik Wien