Detektivarbeit - Ein bisschen Dr. House steckt doch in jedem von uns

Wieder einmal so ein Fall, bei dem ich Kollegen für ihren Weitblick bewundere. Denn in diesem Fall auch nur den Verdacht zu äußern, dass Zusammenhänge bestehen könnten, mutet sicher für die meisten Patienten und sicher auch Ärzte mehr als komisch an.

Auf der Überweisung des Osteopathen stand die Bitte um Abklärung, ob die Neuropathien der Füße, also eine Brennen und Kribbeln, eine zahnärztliche Ursache haben können. Ich war zuerst etwas verwundert. Aber inzwischen bin ich ja zu der Erkenntnis gelangt – es gibt nichts, was es nicht gibt. Der Patient, ein ehemaliger Beamter, stellte sich vor. Und ich war beeindruckt, wie gut er sich in seine verschiedenen allgemeinmedizinischen Befunde eingearbeitet hatte. Er wisse schon, er rauche zu viel, seine Leberwerte seien zu hoch, aber seit der Alkoholreduzierung schon deutlich verbessert, er habe zu viele Triglyceride, einen Reflux, immer wieder Divertikel und Entzündungen im Magen und Darm. Sein Zahnarzt läge ihm schon lange in den Ohren, dass eine PA-Behandlung notwendig wäre. Aber mit all den „kleinen Problemchen“ könne er gut leben. Das zunehmende Brennen und Schmerzen der Füße beeinflusse ihn nun aber doch beträchtlich in seiner Lebensqualität. „Es macht einfach keinen Spaß mehr, spazieren zu gehen oder im Garten zu arbeiten, wenn jeder Schritt eine Qual ist. Sonst ist ja alles soweit in Ordnung. Ich musste bisher außer Protonenpumpenhemmern auch nichts weiter einnehmen, aber jetzt nehmen der Schmerz und das Brennen immer weiter zu. Aspirin hat auch nicht wirklich geholfen. Ich weiß zwar nicht, was ich beim Zahnarzt soll, aber ich vertraue meinem Osteopathen.“

Engmaschige Verknüpfungen

Das sind die Momente, für die ich mir einen inneren Dr. House – eine freundlichere Ausführung als im Fernsehen allerdings – zugelegt habe. In der heutigen Medizin reicht es nämlich in der Regel nicht mehr, A und B verknüpfen zu können, sondern es müssen im Kopf oft ein paar Fäden zu ganzen Spinnennetzen verknüpft werden. Haben Sie schon eine Idee, wie es möglich sein könnte, dass der Osteopath vielleicht richtig liegt? Wie kann sich aus der Krankengeschichte des Patienten ein Zusammenhang zwischen der oralen Situation und der aktuellen Beschwerdesymptomatik herstellen lassen? Meine Vermutung war, dass nicht die Ursache im stomatognaten System lag, sondern, dass auch die vorhandene Parodontitis nur eine Symptom des eigentlichen Problems darstellt. Die Untersuchung mit Applied Kinesiology/Funktioneller Myodiagnostik und ein Blick auf die Zunge führte zur ersten Verdachtsdiagnose: starker B-Vitamin-Mangel und Gewebsübersäuerung. Um eine Bestätigung zu bekommen, ließ ich eine Vollblutmineralanalyse durchführen und die B-Vitamine abklären. Das Ergebnis: Übersäuerung ersten Grades (Na und Ca erhöht, K und Mg erniedrigt) sowie ein Mangel vor allem an B12, aber auch anderen B-Vitaminen. Und wie kann man nun die Zusammenhänge erklären? Der Patient führt durch seine Lebensgewohnheiten des Alkoholkonsums und des stark fleischlastigen Essens seinem System viel Säurelast zu. Um hier abzupuffern, versucht der Körper zuerst einen natürlichen Basenspeicher anzuzapfen. Das Calcium in unseren Knochen wird gelöst und im Blut als Puffer eingesetzt. Das erklärt, wieso ein erhöhter Calciumspiegel in der Vollblutmineralanalyse eigentlich für eine Calciumlösung, nämlich im Knochen, spricht. Und das geschieht dann, wenn das im Blut kreisende Calcium für die Pufferung bereits aufgebraucht ist.

Zusätzliche Trigger

Die Folge davon ist im zahnärztlichen Bereich, besonders wenn zusätzliche Trigger wie Rauchen und eine eher mittlere Mundhygiene dazukommen, der Abbau des Kieferknochens im Sinne einer parodontalen Erkrankung. Wird die Übersäuerung nicht behandelt und folglich immer weiter Calcium aus dem Knochen gelöst, nennt man es ab 10% Verlust der Ca-Reserven Osteoporose. Die zweite Reaktion des Körpers auf eine Überlastung mit Säure im Gewebe ist vermehrte Produktion von Magensäure, auch wenn gerade nicht gegessen wird. Zu merken ist dies am Reflux, den der Patient vor allem zwischen den Mahlzeiten beschreibt. Der Körper gibt Säure in den Magen ab, da bei dieser biochemischen Reaktion immer gleichzeitig Basen gebildet und in die Basendepots und dann ins Blut abgegeben werden. Der Körper und jede einzelne Zelle ist sehr empfindlich, was das Säure-Basen-Gleichgewicht angeht. Eine Zelle, die zu sauer ist, kann keine Energie über den Citratsäurezyklus mehr gewinnen und stellt auf Glycolyse um, die Energiegewinnung von Krebszellen. Ein Mensch, dessen Blut-ph sich jenseits des Ideal-ph-Wertes von 7,3–7,4 befindet ist extrem gefährdet. Um also weiter gut zu funktionieren, fordert der Körper quasi beim Magen über diese biochemische Reaktion Basen an. So wird auch ohne Nahrungsaufnahme Salzsäure in den Magen ausgeschüttet. Protonenpumpenhemmer, wie der Patient sie einnimmt, unterdrücken dann die Magensäurebildung. Dadurch bleibt die Säurelast im Gewebe unverändert. Protonenpumpenhemmer lösen also nicht das Problem, sondern unterdrücken nur das Symptom. Deshalb sollte dieses Medikament in so einem Fall also nur kurzfristig eingesetzt und dann durch eine ursächliche Therapie ersetzt werden. Zu den bekanntesten Nebenwirkungen von Prothonenpumpenhemmern gehört sicherlich der Vitamin-B-12-Mangel. Dazu kommt bei diesem Patienten der ohnehin erhöhte B-Vitaminkomplex-Bedarf, damit die alkoholgeschädigte Leber ihre Arbeit durch Methylierung vollbringen kann. Folgen des Vitamin-B-12-Mangels können Nervenstörungen mit Schmerzen, Taubheit, Kribbeln, Lähmungen, Koordinationsstörungen, Gedächtnisstörungen sein, aber auch Entzündungen in Magen, Mund und Darm.

Schuld ist die Übersäuerung

Und damit schließt sich der Kreis bei diesem Patienten. All seine Beschwerden sind letztlich seiner Übersäuerung geschuldet. Wird diese nicht behandelt, können die Folgen schwerwiegende chronische Erkrankungen sein.

Und was ist nun die Therapie?

Der Patient wird seinen Alkohol und Zigarettenkonsum noch weiter einschränken müssen. Zudem wurde gemeinsam mit seiner Frau eine Ernährungsumstellung besprochen. Der Protonenpumpenhemmer konnte nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt abgesetzt werden, um die Magensäureproduktion nicht weiter zu unterdrücken. Stattdessen nimmt der Patient initial Basenpulver ein, wann immer er ohne Nahrungsaufnahme den Reflux verspürt, um die produzierte Säure zu neutralisieren. Da das Basenpulver auch einen hohen Anteil an Calcium enthält, kann er darüber zeitgleich seine Calciumreserven wieder auffüllen. Hierzu erhält er auch Vitamin D und die nötigen Co-Faktoren, um den Einbau in den Knochen zu unterstützen. Anschließend verspricht auch die Durchführung einer PA-Therapie Aussicht auf den erhofften Attachmentgewinn. Zusätzlich bekommt er zum Ausgleich seines Vitamin-B-Mangels eine orthomolekulare Substitution. Die Behandlung hat bereits nach vier Wochen deutliche Verbesserungen der Neuropathien in den Beinen bewirkt und der Reflux tritt viel seltener auf. Allerdings ist, nach sicherlich einigen Jahren des belastenden Lebenswandels, eine längerfristige Therapiedauer von 3¬6 Monaten sicher realistisch. Langfristig kann der Patient seine Situation auch nur dann stabil halten, wenn er sich entscheidet, seine Lebensgewohnheiten in beschriebenem Maße umzustellen und dauerhaft beizubehalten. Das ist für mich das Faszinierende an „ganzheitlicher Medizin“ – alles greift ineinander. Von uns Ärzten wird verlangt, die einzelnen Symptome zu einem Gesamtbild zu verbinden, um nicht nur Symptome, sondern Ursachen behandeln zu können. Dafür braucht es dann schon das eine oder andere Mal den guten diagnostischen Riecher eines Dr. House.

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at