Das orale Mikrobiom/Teil 2: Schlüssel zum Verständnis von Mundgesundheit und Erkrankung

Seit der Erforschung des Core-Mikrobioms des menschlichen Körpers und der daraus gewonnenen Kenntnisse über die Komplexität der uns besiedelnden Mikroflora wird in zunehmendem Maß deren Bedeutung für Diagnose und Therapie unterschiedlicher Erkrankungen erkannt und berücksichtigt.

Immerhin beherbergt der menschliche Körper auch im gesunden Zustand weit mehr prokaryontische Bakterienzellen als körpereigene Zellen. Neben dem Darmmikrobiom stellt das orale Mikrobiom zweifellos das heterogenste und auch individuellste Mikro-Ökosystem unseres Körpers dar. Die durchgeführten metagenomischen Analysen führten nicht nur zur Bestimmung vieler nur schwer kultivierbarer, potenziell pathogener Keime, sondern auch zu neuem Wissen über die mikrobiellen Stoffwechselprodukte und deren
Einfluss auf unseren Organismus.

Pathogenität als Resultat von Veränderungen des Mikrobioms

Orale Entzündungen wie Gingivitis, Parodontitis oder Stomatitis sind demnach nicht, wie lange angenommen, weniger „Leitkeime“, sondern vielmehr ein Überhandnehmen bestimmter Bakterien, Pilze im Verhältnis zur restlichen Mikroflora. Zudem ermöglichen die spezifische Aktivierung bestimmter Gene und die Zusammenwirkung mit anderen Mikroorganismen in Lebensgemeinschaften wie Biofilmen auch ursprünglich als eher harmlos eingestuften Keimen einen Switch zu erheblicher Virulenz. Bereits 1992 postulierten Socranscy und Haffajee die Schwierigkeit der Definition von prädominanten parodontalen Pathogenen. Sowohl parodontale als auch endodontale Erkrankungen und Stomatitis sind mit wenigen Ausnahmen polymikrobielle Infektionen, wobei den potenziellen Erregern sehr unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die Pathogenität hängt dabei sowohl vom mikrobiellen Umfeld der Lokalisation der Läsion und nicht zuletzt von wirtsspezifischen Faktoren ab, welche die Interaktion von Keimkollektiven mit den oralen Geweben in vieler Hinsicht modulieren. Neben dem „Bakteriom“ sind dabei auch die zahlreichen Arten von Hefen und Pilzen („Mycobiom“) und die eng mit bestimmten Keimen vergesellschafteten Viren („Virom“) zu beachten. Immerhin konnten in einer Studie mit 20 oral gesunden Probanden 101 verschiedene Pilzarten nachgewiesen werden. Dominant waren erwartungsgemäß die Candidaspezies, aber auch Aspergillus, Cryptococcus, Cladosporium, Saccharomycetales und einige mehr waren unter den detektierten Arten. Das Virom setzt sich weitestgehend aus Bakteriophagen zusammen, welche allerdings durch ihre enge kommensale Vergesellschaftung mit den jeweiligen Wirtsbakterien deren Eigenschaften und Virulenz verändern können. Sie sind vor allem wichtige Faktoren für den artübergreifenden Austausch genetischen Materials, der durch die Weitergabe von Resistenzgenen gegen Antibiotika massive Auswirkungen auf die therapeutischen Möglichkeiten hat. Die starke individuelle Komponente des oralen Mikrobioms lässt eine allgemeine Leitkeimdefinition nicht mehr zu. Vielmehr wird die Virulenz über spezifische interagierende Bakterienkollektive definiert. Eine typische Eigenschaft eines krankmachenden Mikrobioms ist die Verarmung an beteiligten Spezies. Das natürliche Verteilungsmuster der Keime im Ökosystem Mundhöhle wird durch exo- und endogene Noxen gestört, wodurch die Artenvielfalt und Diversität abnimmt. Die veränderten Umweltbedingungen ermöglichen dann gerade den mit potenten Pathogenitätsfaktoren ausgestatteten Arten eine überproportionale Vermehrung und eine Besetzung der von der ursprünglichen gesunden Flora besiedelten Nischen. Gleichzeitig wird dadurch deren Fähigkeit zur Bildung von Biofilmen
gefördert.

Mikrobielle Komponenten der Kanzerogenese

Der Einfluss des oralen Mikrobioms geht allerdings nach neuen Forschungsergebnissen noch weit über die Förderung oder Protektion entzündlicher Erkrankungen hinaus. Immer mehr Daten belegen mögliche Zusammenhänge zwischen Veränderungen im Mikrobiom und der Induktion von Krebserkrankungen. So zeigten Forschungen am University of Rochester Medical Center, dass Bakterien bestimmte Signalwege aktivieren können, welche dann die Entstehung oraler Plattenepithelkarzinome auslösen und betreiben. Im Krebsgewebe selbst konnten im Vergleich zu gesundem Gewebe signifikant mehr Keime aus den anaeroben Gruppen Fusobacterium, Prevotella, Porphyromonas, Actinomyces und Veilonella, aber auch Hefen wie Candida albicans isoliert werden. Auch kam es zu einer deutlichen Zunahme primär nicht oraler Bakterien wie Enterobakterien und Clostridien. Mittels 16s RNA Assay zeigten einige kulturell nicht erfassbare Keime wie beispielsweise Gemella haemolysans, Peptostreptococcus stomatis und S. gordonii eine starke Assoziation zu Krebsgewebe. Gleichzeitig kam es im entarteten Gewebe, aber auch bereits in präkanzerösen Läsionen zu einer massiven Reduktion von Bakterien der Stämme Firmicutes und Actinobacteria. Die qualitative und quantitative Zusammensetzung des oralen Mikrobioms scheint neuen Forschunsergebnissen zufolge auch auf die Entstehung weiterer Malignome Einfluss zu nehmen. Die Tumorinduktion resultiert vor allem aus der Fähigkeit assacharolytischer anaerober oraler Keime zur Biofilmbildung. Der Schlüsselkeim Fusobacterium nucleatum ist hierbei sowohl als Brückenbildner für die Festheftung weiterer pathogener Mikroben als auch wegen seiner Fähigkeit zur Bildung von bestimmten Adhäsinen von besonderem Interesse. Diese interagieren mit korrespondierenden Strukturen an den Zellen des Plattenepithels der Mundhöhle, was die Expression von onkogenen und inflammatorischen Genen erhöht und in der Folge eine Kanzerogenese begünstigt. Die Forschungen zum Thema krebsassoziierte Biofilme und Mikrobiome stehen noch am Beginn, aber die Fähigkeit der oralen Biozönosen zur Interaktion mit den Zellen unseres Körpers lassen richtungsweisende Ergebnisse erwarten.

Ch. Eder, L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und
Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at