Berlin - Kinderzahnmedizin gestern & heute

„Die Geschichte des Zahnärztlichen Universitätsinstituts Berlin reicht ins Jahr 1884 zurück“, erläutert Prof. Dr. Paul-Georg Jost-Brinkmann, Abteilung für Kieferorthopädie, Orthodontie und Kinderzahnmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Nicht nur Miller (Kariestheorie), sondern auch Paetsch, Simon, Axhausen, Hoffmann-Axthelm, Häupl und Harndt haben hier gewirkt. „Allerdings steht z. B. Ewald Harndt für etliche, die der DDR (die Zahnklinik gehörte damals zur Humboldt Universität bzw. zur Charité) frühzeitig den Rücken gekehrt haben, um ihre berufliche Karriere an der Freien Universität Berlin fortzusetzen“, so Jost-Brinkmann. Die Zahnklinik an der Freien Universität Berlin wurde 1948 gegründet, 1955 erhielt sie in Berlin-Wilmersdorf in der Aßmannshauser Straße einen Neubau. Von 1968 bis 1991 leitete Prof. Wandelt die neugeschaffene Abteilung für Kinderzahnheilkunde, die danach Teil der Kieferorthopädie wurde.

Welche Entwicklungen gab es nach dem Mauerfall?

JOST-BRINKMANN: Als der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West fiel, gab es in Berlin drei Universitätszahnkliniken, eine zur Humboldt-Universität gehörend und zwei Zahnkliniken, die zur Freien Universität Berlin gehörten. Politisch gewollt wurde nach zweijähriger Verhandlung unter Leitung von Prof. Klaus-H. Rateitschak im Jahr 1996 der traditionsreiche Standort in der Invalidenstraße (bestand seit 1912) geschlossen. Damit ging die bis dahin von Prof. Roland Kluge geleitete Abteilung für Kinderzahnheilkunde in der Abteilung für Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde der Zahnklinik Nord auf, wo mit mehreren aus der Schweiz berufenen Hochschullehrern Prophylaxe ganz groß geschrieben wurde. Dies schlug sich auch in den Publikationen der Abteilung nieder. Wenngleich die Kinderzahnheilkunde keine eigenständige Abteilung war und es keine Kinderzahnheilkunde-Professur mehr gab, wurde hier äußerst engagiert und erfolgreich gearbeitet. Dietlind Petzold und Christian Finke ergänzten sich gut und brachten in die Kinderzahnheilkunde wichtige Qualifikationen mit (FZA für Oralchirurgie und FZA für öffentliches Gesundheitswesen). Der Standort der Zahnklinik Nord auf dem Campus Virchow-Klinikum der Charité machte es relativ leicht, auch multimorbide und Syndrom-Patienten erfolgreich zu therapieren. Als erneut politischer Wille dazu zwang, einen weiteren Zahnklinik-Standort aufzugeben, wurde 2003 die Zahnklinik Süd in der Aßmannshauser Straße erhalten und heißt heute CharitéCentrum 03 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit dem Arbeitsbereich Kinderzahnmedizin als Teil der Abteilung für Kieferorthopädie, Orthodontie und Kinderzahnmedizin. Leider ist die W2-Professur, die eigentlich die Kinderzahnmedizin leiten sollte, dem Rotstift zum Opfer gefallen.

Sind an diesem Standort Behandlungen in Narkose möglich?

JOST-BRINKMANN: Da das CC03 weit entfernt von den medizinischen Campi liegt, sind MKGChirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin nicht vor Ort. Daher investieren wir einen sechsstelligen Euro-Betrag, um endlich wieder bei Kindern und Behinderten Sanierungen in Narkose durchführen zu können, während gegenwärtig (nur) Behandlungen unter Lachgas möglich sind.

Was sind die Arbeitsschwerpunkte der Abteilung?

JOST-BRINKMANN: Neben der individualprophylaktischen Betreuung unserer Patienten arbeiten wir mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin zusammen, um angesichts der zunehmenden Polarisierung der Karies auch jene zu erreichen, deren Kariesrisiko hoch ist und in deren Mündern das Gros der Karies entsteht. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin des CC03 bewerten wir in klinischen Studien verschiedene Konzepte der unvollständigen Kariesexkavation zur Vermeidung iatrogener Pulpaeröffnungen. Ferner arbeiten wir an Therapien für Patienten mit Molar-Inzisivus-Hypomineralisation. Daneben kümmern wir uns klinisch wie wissenschaftlich um Leukämiepatienten mit Knochenmarktransplantation und viele andere (multi-)morbide Kinder und deren Eltern. Postgraduale Studierende der Universität Greifswald, die Master of Science in Pediatric Dentistry werden wollen, absolvieren ihren praktischen Teil samt Masterarbeit im Arbeitsbereich Kinderzahnmedizin des CC03. Dieser Austausch ist befruchtend, schafft internationale Kontakte und erhöht unsere Behandlungskapazität. Dennoch können wir nicht alle behandlungsbedürftigen Berliner Kinder therapieren. Vor diesem Hintergrund ist es gut und wichtig, dass die niedergelassenen Zahnärzte ab dem 6. Lebensmonat über den Berliner Kinderzahnpass (zaek-berlin.de) in die Betreuung der Kinder einbezogen sind.

Was genau ist der Berliner Kinderzahnpass?

JOST-BRINKMANN: Der Kinderzahnpass soll schon bei der Geburt in das kinderärztliche U-Heft (Vorsorgeuntersuchungen) eingeklebt werden und fordert die Eltern auf, sich ab dem 6. Lebensmonat jährlich bis zur Einschulung bei einem Zahnarzt vorzustellen. Dieser beurteilt nicht nur die Mundhygiene und untersucht die Zähne, sondern klärt auch über Habits, Fluoride sowie Ernährung auf und befundet Zahnfehlstellungen.

Herzlichen Dank
für das Interview!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Prof. Dr. Paul-Georg Jost-Brinkmann