Lebenselexier Wasser - Therapien fast zu einfach um wahr zu sein

Im März landete eine Anamnesemappe auf meinem Tisch. Der Grund warum die junge Dame mich aufsuchen wollte, war eine immer schlimmer werdende Migräne.

Die junge Frau hatte vor ein paar Jahren mit immer wieder auftretenden Kopfschmerzen begonnen. Dann hatte sie zunehmend festgestellt, dass sie schon morgens müde aufwachte, als ob sie einen Kater hätte. Die Leistungsfähigkeit litt. Nun allerdings hatte sich ihr Zustand mit der mehrmals auftretenden Migräne zu einer echten Einschränkung der Lebensqualität ausgeweitet.
Ein MRT und andere Untersuchungen hatten nach Patientenaussage keine Ursachen ergeben. Jetzt war ihre Fragestellung, ob es zahnärztliche Zusammenhänge wie eine Fehlbisslage gäbe, die ihre Symptome erklären könnten. Beim Durchlesen der Mappe sprang mich die eingetragene Trinkmenge geradezu an: 0,5 Liter.
Meine Ausbilder aus Klinikzeiten klangen da gleich wieder in meinen Ohren: Bei der Trinkmenge untertreiben die Patienten beim Alkohol schamlos und übertreiben beim Wasser.
Der Auftrag für meine Sekretärin bei solchen Mappen ist klar. Der Patient wird angerufen und befragt, wieso er so wenig trinkt. „Ich habe keinen Durst“, ist die häufigste Antwort. Dieses Gefühl ist dazu geschaffen, den Körper vor Austrocknung zu schützen. Allerdings ist es kein frühes Warnsystem, das einen Hinweis gibt, jetzt etwas trinken zu müssen. Es ist eher ein Indikator, dass schon über längere Zeit zu wenig getrunken wurde. Und wenn Patienten häufig zu wenig trinken, wie mit zunehmendem Alter, scheinen wir uns den Durst-Mechanismus nahezu abzugewöhnen. Wenn deshalb der fehlende Durst der einzige Grund für die spärliche Flüssigkeitsaufnahme ist, bekommt der Patient den Auftrag, seine Trinkmenge deutlich zu erhöhen. Manchmal übersehen wir bei all dem, was die Medizin so kann, dass es etwas Simples, Pures und Preiswertes gibt, das die Basis aller Gesundheit ist und das zudem für die meisten von uns im Überfluss vorhanden ist: Wasser. Zudem bekommt der Patient Hinweise, wie er seine Trinkmenge einfach erhöhen kann, z.B. indem er es mit anderen Stimuli verknüpft. Auch Apps können für den Anfang, bis das Trinken wieder zur Gewohnheit geworden ist, eine große Hilfe sein.
Die benötigte Trinkmenge ist individuell sehr unterschiedlich. Zum einen richtet sie sich nach den Lebensgewohnheiten. In heißen Regionen oder bei uns an heißen Sommertagen, bei viel Bewegung oder eiweißreicher Ernährung ist der Flüssigkeitsbedarf größer. Natürlich ist auch das Gewicht der Person ausschlaggebend für die optimale Trinkmenge. Als durchschnittliche Faustformel empfehle ich 30–40ml/kg Körpergewicht.

Patienten kotaktieren

Nach 14 Tagen werden die Patienten erneut kontaktiert. Hat sich die Trinkmenge erhöht, bekommen sie einen Termin, sonst noch einmal 14 Tage Zeit. Falls der Patient nicht bereit ist, diese kleine Veränderung seines Lebensstils durchzuführen, wäre meine Frage, wie viel meiner restlichen Therapieempfehlungen er durchziehen wird? Und da Erfolg in meiner Arbeit ohne die Mithilfe des Patienten nicht zu erzielen ist, stelle ich dann schon in Frage, ob das der richtige Patient für mich ist.
Ein Flüssigkeitsmangel kann zu einem langfristig teuren Fehler werden. Dehydration bedeutet, dass mehr Flüssigkeit abgegeben wird als aufgenommen. Für gesunde Erwachsene ist das zwar, wenn es mal vorübergehend auftritt, kein gefährlicher Zustand, aber er beeinträchtigt Stoffwechsel und Leistungsfähigkeit. Im Alltag spürt der Patient diesen Zustand deshalb meist gar nicht. Die Symptome entstehen schleichend, sind recht unspezifisch und deshalb schwer zuzuordnen. Erst wenn die Wasserbilanz über einen langen Zeitraum nicht stimmt, entsteht ein Krankheitsgefühl.
Zurück also zur Migränepatientin. Nach 14 Tagen entsprechender Flüssigkeitszufuhr berichtete sie am Telefon, dass sie bereits deutlich weniger Migräneschübe hätte als zuvor. Statt ein paar Tage pro Woche würde sie vielleicht alle 14 Tage bis vier Wochen noch einen Tag ausfallen. Zudem wären auch ein paar andere störende Punkte aus ihrem Leben einfach verschwunden: Mundgeruch, trockene Haut, Muskelkrämpfe, Frösteln und Heißhunger – alles weg. Die Patientin war platt. Und das alles nur, weil sie ihre Trinkgewohnheiten geändert hatte. Ja, manchmal kann eine kleine Anpassung so viel verändern.
Meine Patientin hat sich deshalb selbst versprochen, zukünftig regelmäßig auf ihren Wasserhaushalt zu achten. Und falls sie doch mal nicht dazukommen sollte, kennt sie jetzt zwei Möglichkeiten, anhand derer sie eine Dehydratation ganz leicht feststellen kann:

1. Der Urin-Check:  Urin sollte bei ausreichendem Flüssigkeitskonsum hellgelb oder farblos sein. Gelb und orange sind die „Warnfarben“, die ihr sagen: mehr Wasser trinken. Einen Flüssigkeitsverlust von etwa 3% des Körpergewichts erkennt man an der gelben Farbe des Urins. Bei 5% Dehydratation ist er bereits dunkelgelb, eine orange Farbe tritt normalerweise erst bei einer starken Dehydration (über 5% des Körpergewichts) auf.

Hinweis: Einige Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin-B-Komplexe können Urin dunkler färben. Deshalb sollten wir als Ärzte beim Verschreiben unsere Patienten über diese temporäre Veränderung informieren.

2. Der Haut-Check: Eine Hautfalte am Handrücken wird mit zwei Fingern der anderen Hand gegriffen und etwa 0,5-1 cm nach oben gezogen. Wird die Falte wieder losgelassen, sollte die Haut innerhalb von Sekunden wieder normal zu liegen kommen. Wenn die Haut sich nur langsam zurückbewegt, kann auch dies ein Zeichen für Flüssigkeitsmangel sein.

Besser ist nicht gut

Die Frage, die bleibt, ist natürlich: War jetzt Wassertrinken das einzige Geheimnis und sind wir damit mit der Behandlung fertig? In diesem Fall sind wir noch mitten in der Behandlung. Besser heißt ja noch lange nicht gut.
Als die Patientin wieder in die Ordination kam, konnten wir am Biss nichts feststellen, dafür allerdings einige Mineralstoffmängel wie B-Vitamine, Magnesium, Omega-3 und Coenzym Q10. Hier substituiert die Patientin, bis die Mängel gedeckt sind und die Erhaltungsdosis über die Nahrung zugeführt werden kann. Gemäß der Studie von J. Schoenen (1998) haben wir nach Test zusätzlich, neben einem Vitamin B-Komplex, B2 in Hochdosis mit 400mg eingesetzt. Dies wird die Patientin für die nächsten drei Monate weiter unter Kontrolle einnehmen. Bisher ist sie migränefrei und wir hoffen, das bleibt so. Wie schön ist es doch, wenn Medizin zwischendurch auch mal so schnell und einfach gehen kann.

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at

Die Wirkung des Wassers wird oft unterschätzt