Neue Serie Teil 1: Antibiotikahygiene - eine verantwortungsvolle Aufgabe der Zahnmedizin

Antimikrobiell wirksame Substanzen werden auch im zahnärztlichen Bereich vermehrt bei unterschiedlichen Indikationen eingesetzt. Dennoch gibt es gerade für die speziellen Fragestellungen der Zahnmedizin nur unzureichende Richtlinien hinsichtlich Behandlungsdauer, Wirkstoffauswahl und Dosierung. Auch die Unterscheidung zwischen antibiotischer Prophylaxe und kurativer Antibiotikagabe führt nicht selten zu Unklarheiten.'

Antibiotika sind wertvolle, notwendige und sogar lebenserhaltende Medikamente. Ein problemorientierter und sorgfältiger Umgang mit diesen Arzneimitteln ist daher schon auf Grund der zunehmenden Resistenzen gegen viele gängige Antibiotika eine Voraussetzung für deren Anwendung.

Weltweite Zunahme von multiplen Resistenzen gegen antibiotische Wirkstoffe

Neben den natürlichen intrinsischen Resistenzen einiger bakterieller Spezies fördert der Kontakt mit Antibiotika die Selektion resistenter Stämme. Diese können ihre Resistenzgene dann nicht nur innerhalb der Art sondern sogar zwischen unterschiedlichen Spezies austauschen und weitergeben. Besonders zu häufige, unspezifische und nicht gezielt auf das Erregerspektrum abgestimmte Gaben stellen eine hohe Gefahr für die Erhaltung der Wirksamkeit dieser Substanzklassen dar. Verbindliche Daten und Empfehlungen in Form eines Antibiotic Stewardship gibt es in erster Linie für den klinischen Bereich. Allerdings werden fast 75% der in Österreich verabreichten Antibiotika von niedergelassenen Ärzten, davon zumindest 10% von Zahnärzten, verschrieben. Besonders problematisch erweist sich die Gabe von Breitbandantibiotika. Sie geben zwar primär eine gewisse Sicherheit, sämtliche oder zumindest den Großteil potenziell pathogener Keime zu erfassen, haben aber negative Auswirkungen auf die Mikrobiome des gesamten Organismus. Die Darmflora und auch die normale Residentflora der Mundhöhle werden reduziert und verändert, die gesunde Artenvielfalt verarmt. Es besteht die Gefahr einer Neubesiedelung durch atypische und oft auch multiresistente Bakterien und Pilze. Daher gilt für den Einsatz eines Antibiotikums immer der Merksatz: Das Wirkungsspektrum sollte so schmal wie möglich und nur so breit wie unbedingt notwendig sein. Keimbegrenzung statt vollständiger Eliminierung der gesunden normalen Biozönose verhindert Rezidive und negative Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit.

Resistenzen bei oralen Infektionserregern erschweren die Therapie

Für zahnmedizinisch relevante oralpathogene Bakterien ist die Datenlage bezüglich der Resistenzen derzeit noch unzureichend. Dies liegt vor allem daran, dass es noch zu wenige Sensibilitätstestungen speziell für parodontal aktive Keime gibt. Lediglich für den oral-chirurgischen Bereich liegen von Kliniken einige Angaben vor. Frank Halling zeigte 2014 in einer Studie die globale Resistenzentwicklung gegen dental wichtige Antibiotka in odontogenen Abszessen über einen Verlauf von sieben Jahren auf. Demnach haben sich die Resistenzen der beteiligten Erreger in diesem Zeitraum bis zu sechsfach erhöht. Besonders für Clindamycin und Doxycyclin zeigen Prevotellaspezies, Actinomycesarten und Peptostreptokokken bis zu 30% (mit regionalen Unterschieden) Resistenzen. Ebenso bilden viele Porphyromonasstämme Betalactamasen, was den Einsatz von Penicillinen limitiert. Gegenüber dem Makrolidantibiotikum Erythromycin sind nur noch 60% der beteiligten pathogenen Keime sensibel.

Antibiotika wirken nicht nur an der gewünschten Lokalisation

Das Hauptproblem bei der Resistenzentwicklung liegt allerdings nicht bei den primär oralen, häufig anaeroben bis fakultativ anaeroben Mischfloren. Breitbandantibiosen wie etwa der bei aggressiven Parodontalerkrankungen oft ohne vorherige mikrobiologische Abklärung verabreichte Winkelhoff-Cocktail (Kombination Metronidazol und Amoxicillin) haben massive Auswirkungen auf den gesamten Organismus. Besonders die Keime der Darmflora, wie E. coli und andere Enterobakterien, werden negativ beeinflusst. Es kommt zu Resistenzanstiegen gegenüber Betalactamantibiotika wie Cephalosporinen und Penicillinen, in manchen Fällen sogar gegen Carbapeneme, Sulfomethoxalol und Fluorchinolone. Da gerade die Enterobakterien oft für schwere Harnweginfektionen besonders bei älteren Menschen verantwortlich sind, verursachen die so geförderten Multiresistenzen erhebliche Probleme bei deren Behandlung. ESBLKeime (Extended Spectrum Betalactamase-Bildner und CPEs (Carbapenemasebildner) können wegen der erschwerten und sehr eingeschränkten Therapieoptionen nicht selten sogar Ursache für lebensbedrohende systemische Infektionen werden. Gerade gegen gramnegative Erreger stehen nur wenige Reserveantibiotika zur Verfügung; es gibt sogar bereits Stämme, bei welchen kein bekanntes Antibiotikum mehr Wirksamkeit zeigt. In Österreich und Deutschland ist die Situation zwar noch nicht so prekär wie etwa in Portugal oder Griechenland und im Vorderen Orient, aber die Multiresistenzen sind auch bei uns im Zunehmen begriffen. Ärzte aller Fachrichtungen, sowohl im Krankenhaus als auch in niedergelassenen Praxen, zu welchen auch die Zahnärzte zählen, sind in gleichem Maße verantwortlich für die Erhaltung der Wirksamkeit unserer Antibiotika. Beim therapeutischen Einsatz der Antiinfektiva muss neben den vordringlichen lokalen Problemen, wie etwa einer aggressiven Parodontitis, auch der gesamte Gesundheitsstatus des jeweiligen Patienten berücksichtigt werden. Eine exakte Anamnese mit Erfassung der Grunderkrankungen und der laufenden Medikationen bildet die Basis für eine erfolgreiche Therapie. Fragen der antibiotischen Prophylaxe, der kurativen gezielten oder kalkulierten Therapie sowie zu beachtende Richtlinien bei der Antibiose sind auch in der Zahnheilkunde zentrale Themen, welche im zweiten Teil des Artikels detailliert erörtert werden.

Ch. Eder, L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und
Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at