One fits all? Der Mensch - das komplizierte Wesen

Manchmal wird in der Medizin so getan, als wäre das menschliche System geradlinig statt komplex. Da weiß ein Arzt schon: Wenn der Patient kommt und Symptom A angibt, dann hat er auf jeden Fall Erkrankung B und bekommt logischerweise  Medikament C.

Die Ganzheitsmedizin lehrt mich da, deutlich demütiger zu sein, mir jeden Tag vor Augen zu führen, wie wenig wir noch immer über die Komplexität des menschlichen Systems wissen und deshalb unvoreingenommen an die Patientenfälle heranzugehen. Allerdings habe ich gelegentlich auch Glück, weil meine Vorbehandler schon eine Menge Alternativen als Ursachen ausgeschlossen haben und die Sache dadurch für mich einfacher wird.
Frau Sabine B. war so ein Fall. Sie klagte bereits seit mehr als zwei Jahren über „Magenschmerzen“. Die hatte sie vorher schon einmal gehabt, aber nie so langfristig und kontinuierlich. Sie hatte inzwischen das Gefühl, bei Pontius und Pilatus gewesen zu sein. Ihr Hausarzt hatte sie nach verschiedenen Medikamenten zum Magenschutz und einer leicht auffällig ausgefallenen Magenspiegelung, aber keiner Verbesserung der Symptome, an eine Menge Spezialisten weiterverwiesen. Zuerst zum Kardiologen, dann zum Nephrologen, dann zum Hepatologen. Der eine oder andere der Ärzte hatte auch Auffälligkeiten gefunden und Medikamente verschrieben, allerdings hat nichts die Beschwerden dauerhaft lindern können. Nachdem sie jetzt mit der Inneren Medizin so weit durch war, hatte ihr Hausarzt vorsichtig angedeutet ob sie nicht vielleicht einmal einen Psychologen aufsuchen wollte.
Auf Empfehlung eines Kunden war Frau B. nun aber erst mal bei mir, der Zahnärztin, gelandet. Sie wollte sich noch nicht damit abfinden, dass das Ganze wirklich nur kopfgesteuert sein sollte.
Als erstes gratulierte ich Frau B. zu ihrem Hausarzt. Er war nicht nur sehr engagiert bemüht, für seine Patientin eine Lösung zu finden, meiner Meinung nach hatte er auch weit größere Kreativität bei der Ursachenforschung an den Tag gelegt, als das in der Einheitsmedizin der Fall ist.

Blutüberfüllung des Magens

Eine durch Herzschwäche bedingte verringerte Leistung kann dazu führen, dass aus den Gefäßen des Magens zu wenig Blut abtransportiert wird und es so zur krankhaften Blutüberfüllung des Magens kommt. Gleichzeitig werden auch Schadstoffe ungenügend abtransportiert, was die leichte Reizung des Magens (Gastritis) in der Magenspiegelung erklären könnte. Eine alleinige Behandlung des Magens würde in so einem Fall fehlschlagen. Der Kardiologe könnte der entscheidende Schlüsselfaktor sein und durch eine sinnvolle medikamentöse Unterstützung des Herzens, z.B. durch Medikamente aus den Blättern des Fingerhuts (Digitalis), die auch in der klassischen Schulmedizin angewendet werden, die Magenschmerzen als Fernwirkung des schwachen Herzens beseitigen.
Ähnliches kann passieren, wenn die Leber im Erkrankungsfall eine Stauung entwickelt. Dann staut sich zwangsläufig auch das venöse Pfort-aderblut, das sie entgiftet. Weil auch das Blut des Magens über die Pfort-ader zur Leber fließt, dort aber nicht adäquat aufgenommen wird, staut das venöse Blut in den Magen zurück. Die dadurch entstehenden Magenbeschwerden verschleiern oft den Ursprungsherd Leber. Ohne eine entsprechende Behandlung der Erkrankung der Leber oder, falls es sich nicht um eine temporäre Belastung handelt, ohne Unterstützung mit Leberreinigungskuren, Leberwickeln oder Bitterstoffen wird eine Behandlung der Beschwerden dann nicht zielführend sein. Auch der Nephrologe kann bei der vorliegenden Beschwerdesymptomatik daher eine gute Idee sein. Es gibt Fälle, in denen eine verringerte Nierenleistung vom Körper sowohl durch vermehrtes Schwitzen auf der Außenhaut als auch durch vermehrte Abgabe von Körperflüssigkeiten an den Schleimhautarealen des Magens und des Darms die ungenügende Nierenfunktion kompensiert. Hierbei kann es passieren, dass durch die vermehrte aggressive Säureausschüttung im Magen eine entsprechende Schleimhautreizung ausgelöst wird. Eine Unterstützung der Nierenfunktion über Medikamente oder Tees aus Berberis, Solidago oder Juniperus ist dann der richtige Weg, den Magen zu entlasten, damit er abhalten kann. Auch die Psyche ist bei der Magenproblematik ein Faktor, den wir als Ärzte bedenken dürfen. Es heißt nicht umsonst: „Das schlägt uns auf den Magen“. Natürlich gibt es noch eine Menge weiterer Ursachen, die der Beschwerdesymptomatik der Patientin zu Grunde liegen hätten können. Fehl-ernährung, Pilzbesiedlung oder andere Formen der Dysbiose können durch gesteigerte Gärungsvorgänge im Darm einen Zwerchfellhochstand oder auch wieder eine Leberproblematik hervorrufen. So hängen hier jede Menge Faktoren eng zusammen.
Im Fall der Patientin – und das war auch der Grund gewesen, mich aufzusuchen – lag die Ursache in einem anderen Bereich. Ihr Kunde hatte ihr zufälligerweise erzählt, dass seine Beschwerden am Sprunggelenk und an den Adduktoren verschwunden waren, nachdem er bei mir eine Behandlung an einer lange zurückliegenden Weisheitszahn-Operationsstelle hatte durchführen lassen. Er hatte es eigentlich nur erzählt, um ihr Mut zu machen, weiter nach den Ursachen ihrer Beschwerden zu forschen. Es gebe immer eine Lösung, meinte er, auch wenn sie sich im ersten Moment vielleicht völlig verrückt anhörte. Plötzlich machte es Klick im Kopf von Frau B. Bereits vor drei Jahren hatte sie einmal zunehmend Magenschmerzen empfunden. Kurz darauf wurden ihr die beiden beherdeten Zähne 46 und 47 entfernt. Diese OP war schon länger angestanden, sie hatte sich aber erst, als die Beschwerden massiv wurden, dazu durchringen können. Deshalb waren die Magenbeschwerden zu dieser Zeit auch ihr geringstes Problem, die Zahnschmerzen waren störender. Und danach hatte der Magen ja auch wieder Ruhe gegeben. Als sie ca. drei Monate später ein Implantat in Bereich 46 einbringen ließ, hatte es dort eigentlichen keine besonderen Probleme oder Schmerzen gegeben. Wenn sie jetzt allerdings darüber nachdachte, hatten ihre Magenbeschwerden etwa zeitgleich wieder angefangen.
Von Voll und Kramer ist im Rahmen der Zahnorganbeziehung beschrieben, dass die Zähne 46, 47 zu Lunge und Dickdarm gehören. Manchmal kann es aber auch vorkommen, dass die Zuordnung von Molaren und Präemolaren, die Magen und Pankreas zugeordnet sind, vertauscht ist. Dies scheint bei der Patientin der Fall gewesen zu sein. Radiologisch konnten wir feststellen, dass sowohl Regio 46 als auch 47 keine adäquate Ausheilung zeigte. In der Testung mit Applied Kinesiology/ Funktioneller Myodiagnostik fanden wir eine massive bakterielle Belastung. Nach Systemstützung und dem Versuch der konservativen Therapie, kombiniert mit Neuraltherapie, haben wir mit der Patientin die Entfernung des Implantates sowie die Knochensanierung beider Regionen besprochen. Bereits während der OP hatte sie das Gefühl, es falle ihr ein Stein vom Magen. Nach einer Woche waren ihre Beschwerden verschwunden und sind nun seit sechs Wochen ausgeblieben.
Der Fall zeigt wieder einmal schön, wie vielfältig die Ursachen von Beschwerden sein können und, dass wir deshalb mit A-B-C-Verknüpfungen zwar vielleicht eine Maschine reparieren, allerdings sicher keinen Menschen heilen können.

Dr. EVA Meierhöfer
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt

praxis@meierhoefer.at