Es war 2011: Ich stand am Empfang der Praxis und während ich mit meiner Empfangsdame gerade eine Terminkoordination besprach, kam Johannes, unser Assistenzarzt, mit seiner Patientin und deren Mutter dazu. Er stellte mir seine Patienten vor – was dann passierte war eigentlich unglaublich.
Er sagte zu mir: „Eva, darf ich dir kurz Lara vorstellen. Wir sind jetzt schon die dritte chirurgische Praxis, in der sie ist. Irgendwie gibt eine Weisheitszahnstelle seit der Entfernung keine Ruhe, obwohl sie jetzt schon mehrfach wieder aufgemacht wurde. Sie bekommt jetzt von mir noch mal Penicillin, aber wenn es nicht besser wird, könntest du mit deinen Methoden“ – eine charmante Beschreibung für die Funktionelle Myodiagnostik und Naturheilkunde! – „noch mal schauen, was los ist?“ Ich gab dem Mädchen die Hand, um mich vorzustellen, und blickte sie an. Und dann passierte etwas, das ich nicht erklären kann, für das ich aber sehr dankbar bin. Meine Augen fielen auf einen kleinen, vielleicht 1cm großen Fleck, ca. 2cm vor und über dem Kieferwinkel. Es war als würde mein Gehirn einen Scheinwerfer darauf richten und mir gleichzeitig einen Text theoretischen Wissens einspielen, den ich mal fürs Examen gelernt hatte: brettharte, durch Vernarbung auftretende Schwellung mit bläulich-livider Verfärbung, aggressive gewebszerstörende Infektion mit Actinomyces israelii... Ich langte dem Mädchen an die blaue Stelle. Bretthart und schmerzhaft! Ich fragte Lara und ihre Mutter, ob sie jetzt noch einen Moment Zeit hätten, damit wir einen Blick darauf werfen könnten. Damals begann ein Bakterium, von dem man mir im Studium noch erzählt hatte, dass es nur extrem selten vorkäme und ich mir nichts dazu merken müsse, zu einem realen Faktor in der täglichen Praxis zu werden. Fälle wie der bei Lara sind mir seither zum Glück selten untergekommen. Allerdings ist die chronische Actinomykose in meiner Wahrnehmung auf dem Vormarsch und sollte deshalb als mögliche Diagnose in der Praxis immer bedacht werden. Actinomyces israelii ist ein grampositives Stäbchenbakterium aus der Familie der Aktinomyzeten und verursacht die sogenannte Aktinomykose. Es gehört zu den fakultativen Anaerobiern. Das Bakterium selbst kann bei sehr vielen Menschen an den Schleimhäuten der Nase oder auch im Speichel nachgewiesen werden. Es bevorzugt allerdings die Anwesenheit von CO2 und verändert unter diesen Lebensbedingungen sein Wachstumsverhalten. Dann kann es sogenannte Drusen ausbilden, also kompakte Kolonien, die im Mikroskop eher wie ein Pilz aussehen. Daher trägt es auch den Namen „Strahlenpilz“, weil lange nicht klar war, dass es sich eben um ein Bakterium handelt und nicht um einen Pilz. Wir als Zahnärzte eröffnen im Rahmen der Zahnentfernung oder von Implantationen den Kieferknochen. Ist der Actinomyces israelii Teil der Normalflora und befindet sich der Patient gleichzeitig in einer immunschwachen Situation, bekommt der Erreger seinen anaeroben Lebensraum geliefert, wenn die Schleimhaut über der Wunde bereits verschlossen, aber die Knochenheilung noch nicht erfolgt ist. Die besondere Herausforderung, die die Drusenbildung der Actinomykose und das gewebsangreifende Wachstum des Erregers mit sich bringt, sind die sogenannten Mischinfektionen. Actinomykose scheint ein Nährboden zu sein, auf dem sich andere Bakterien, aber auch Pilze und Viren festsetzen können. Das klinische Bild kann dann ein ganz anderes sein, als man es von der Actinomykose erwarten würde. Ein Hinweis ist allerdings, wenn sich nach Operationen keine Ruhe einstellt und wiederholt verschiedenste Infektionen nachgewiesen werden können. Ich habe schon Fälle erlebt, in denen die Patienten bereits seit mehr als zehn Jahren Beschwerden in einer bestimmten Region angegeben hatten, die sich dann als Actinomykose therapieren ließen. Was allerdings in meinem Studium völlig untergegangen ist, war, dass neben der zervikofazialen Verlaufsform auch andere wie die pulmonale und die intestinale Verlaufsform beschrieben sind. Allerdings scheint sich der Actinomyces israelii in den letzten Jahren auch noch weiter entwickelt zu haben. Mir wurden ein Patient mit Nachweis des Erregers in einer Nierenzyste und auch schon ein Patient mit Nachweis bei einer Muskelbiopsie überwiesen, mit der Bitte, einen zahnärztlichen Infektionsherd auszuschließen.
Therapeutisches Vorgehen
Wie ist nun aber das therapeutische Vorgehen, wenn Sie Actinomykose in Ihrer Praxis über Histologie oder bioenergetische Testverfahren diagnostiziert haben oder wenn bei einer Operation schon die klinische Erscheinung des Knochens darauf schließen lässt? Bei meinen Erkundigungen für Lara bekam ich damals folgende Aussage der ansässigen Uniklinik: Chirurgische Revision. Aktinomykosen zeigen eine sehr hohe Rezidivneigung, da das Entfernen aller Abszesse und Fistelgänge nur in sehr seltenen Fällen gelingt. Eine Ergänzung der Therapie mit Antibiotika bis zu sechs Monaten (!!!) ist deshalb notwendig. Aufgrund der Mischinfektionen muss ein Breitbandantibiotikum verabreicht werden, da sonst Aktinomyceten, aber nicht die Begleitkeime erfasst würden. Amoxicillin mit Clavulansäure, Doxycyclin und Metronidazol wurden mir in verschiedensten Kombinationen empfohlen. Meine Erfahrung mit chirurgischen Revisionen ist zumindest in den akuten Infektionsphasen schlecht. Meist ging es den Patienten eher schlechter und teilweise dehnten sich Infektionen noch großräumiger aus und mussten später erneut revidiert werden. Und auch wenn ich durchaus für einen sinnvollen Einsatz von Antibiotika bin, liegt für mich hier das Augenmerk auf dem Wort „sinnvoll“. In einer Zeit, in der längst wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte, dass der Darm einen Teil unseres Immunsystems darstellt, zerstören wir diesen Immunanteil durch eine halbes Jahr Antibiose und das, obwohl sich ein aggressiver Erreger in unserem System befindet. Für mich klang das nicht besonders sinnvoll. Ich kann hier nur meine Praxiserfahrung mit einer kombinierten naturheilkundlich-schulmedizinischen Behandlung, die aus drei Säulen besteht, vorstellen, für welchen Therapieweg Sie sich dann entscheiden obliegt Ihrer medizinischen Einschätzung. Zur Behandlung des Actinomyces israelii selbst hat sich in meiner Praxis folgendes bewährt: Entweder mit Antibiose wie mit der vorgeschlagenen Kombination aus Amoxicillin mit Clavulansäure 875:125 morgens und abends in Kombination mit Metronidazol 400 am Mittag zu arbeiten oder mit dem Antibiotikum Acitromycin (hier muss vorab ein Leberschaden des Patienten ausgeschlossen werden, und bei der Notwendigkeit längerer Einnahmen sind auch zwischenzeitlich Leberwerte zu erheben). Beide Varianten gebe ich nur, wenn sie sich im Test mit funktioneller Myodiagnostik als sinnvoll erweisen. Die Gabe erfolgt über sechs Tage und wird dann von mir erneut überprüft und gegebenenfalls in Rücksprache mit dem Allgemeinarzt jeweils um eine Woche bis zur nächsten Kontrolle verlängert. Länger als vier Wochen war bisher keine Antibiotikakur notwendig. Bei einigen Patienten war allerdings eine Antibiotikakur nicht möglich. Alternativen waren dann die homöopathische Aufbereitung von Actinomyces israelii oder eine spezielle Mischung ätherischer Öle mit antibiotischer Wirkung (im Sinne Orth H14) indiziert. Was bei welchem Patienten die beste Lösung ist, konnte ich nur über einen individuellen Muskelfunktionstest bestimmen. Gleichzeitig unterstütze ich immer naturheilkundlich Leber, Niere und Lymphsystem, die ja für die Ausscheidung der Zerfallsprodukte der Erreger, aber auch der Medikamente unumgänglich ist. B-Vitamine sind für den in der Leber stattfindenden Methylierungsprozess fast immer notwendig. Vor allem falls eine Antibiose verabreicht wird. Des Weiteren unterstütze ich nach Test die Knochenheilung mit Neuraltherapie, kombiniert mit Homöopathie (z.B. Symphytum D12), Organpräparaten (z.B. Medulla ossium D30) und Orthomolekularia (z.B. B12 oder Zink). Wichtig ist, darauf zu achten, die Therapie erst abzusetzen, wenn nicht nur die lokale Stelle, sondern auch die Entgiftungssysteme frei von einer Actinomycose-israelii-Belastung sind. Auch halte ich eine Kontrolle nach acht Wochen mittels funktioneller Myodiagnostik und nach sechs Monaten mittels Röntgendiagnostik für zwingend notwendig, um die Ausheilung zu kontrollieren. Die Zunahme der Patienten, bei denen in den letzten Jahren die Diagnose Actinomykose gestellt werden musste, macht es für mich notwendig, den Erreger wieder in unser aller Gedächtnis zu rücken.
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Patienten mit Actinomykose sind leider in den letzten Jahren immer häufiger geworden.
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