Arzneimittelreaktionen: Medikamentös induzierte Läsionen der Mundschleimhaut

Eine exakte Medikamentenanamnese kann Ursachen unklarer Läsionen klären.

Eine Vielzahl unterschiedlicher Veränderungen der Mundschleimhaut und der Gingiva können ihre Ursachen in den Nebenwirkungen von Arzneimitteln haben. Der behandelnde Zahnarzt ist mit plötzlich auftretenden Rötungen, Schwellungen, persistierenden Erosionen, Ulzera, Hyperpigmentierungen oder allgemeiner Verschlechterung des parodontalen Zustandes konfrontiert. Der Patient klagt über Zahnfleischbluten, Mundtrockenheit und/oder Geschmacksveränderungen. Die Genese dieser Verschlechterungen der oralen Gesundheit ist zunächst unklar. In solchen Fällen ist eine exakte Medikamentenanamnese - besonders hinsichtlich in letzter Zeit neu hinzugekommener Arzneimittel - oft hilfreich. Neben der Haut ist die Mundschleimhaut ein häufiger Prädeliktionsort von Arzneimittelreaktionen. In 5-10% der Fälle treten diese sogar nur isoliert auf der oralen Mukosa auf. Die Auslöser können dabei in eher selteneren Fällen allergischer Natur sein, viel häufiger allerdings sind sie die Folge von direkten toxischen Wirkungen der Inhaltsstoffe auf das orale Weichgewebe oder die Zellen der Immunabwehr.
Die wichtigsten Formen oraler Arzneimittelreaktionen lassen sich in wenigen Gruppen zusammenfassen und werden hier kurz aufgelistet und diskutiert. Der Patient sollte nach einer möglichen Einnahme von Medikamenten aus diesen Wirkstoffgruppen befragt und der Grund der Einnahme und die Dosierung eruiert werden.

1. Xerostomie-verursachende Pillen
Über 500 verschiedene Arzneimittel sind in diesem Zusammenhang bekannt. Zu den wichtigsten und häufigsten Verursachern gehören Antihistaminika,  Neuroleptika, wie Risperidon und Promethazin, Sympathicomimetika (Ephedrin, Amphetamin, Metamphetamin) Diuretika (Furosemid und Hydrochlorthiazid), Antidepressiva (Imipramin), Anticholinergika, Antihypertensiva aus der Gruppe der ß-Blocker, Ca-Antagonisten und a2-Blocker,  Scopalaminderivate (Antinausea),  Bronchodilatoren wie Ipratropium und Vitamin-A-Derivate wie Isoretinion.  Die verminderte Speichelproduktion lässt die Schleimhäute austrocknen, sie werden empfindlicher für mechanische Noxen. Bereits beim Kauen härterer Nahrungsmittel kommt es zu Mikrotraumen; die kleinen Verletzungen bilden dann Nährböden für potenziell pathogene Keime. Die im Speichel enthaltenen Immunglobuline und antimikrobiellen Sustanzen fehlen, die Keime können sich ungehindert vermehren und führen ihrerseits zu Entzündungen und Erosionen. Das gesamte orale Milieu ist gestört, atypische Keime siedeln sich an, gingivale und parodontale Erkrankungen verschlechtern sich.

2. Langzeitgaben von Breitbandantibiotika
Diese verschieben und stören im „Ökosystem Mundhöhle" das Gleichgewicht zwischen Wirtsgewebe und der natürlichen residenten Keimflora. Vor allem bei längerfristigen Gaben, bei Patienten mit chronischen Infektionen überwuchern dann. Resistente und besonders aggressive Keime. Häufig siedeln sich Pilze und Hefen, wie Candida - Spezies an und führen zu schweren Entzündungen.

3. Medikamente mit nachhaltigem Einfluss auf die systemische und lokale Immunabwehr
Dazu gehören alle myelodepressiven  Wirkstoffe aus den Gruppen der Chemotherapeutika, Zytostatika und Immunsuppressiva. Die oft massiven Auswirkungen von Multichemotherapien auf die oralen Schleimhäute sind bekannt. Sie äußern sich in schweren aphtoiden, erosiven und ulzerativen Stomatitiden und Gingivitiden.
Die Ulzerationen treten bei Metothrexat durchschnittlich 2-3 Wochen nach Therapiebeginn auf. Bleomycin und andere Chemotherapeutika führen zu Leukopenie und stören die Synthese von Immunglobulinen. Sie wirken zudem direkt zytotoxisch auf Lymphozyten und auch auf die Epithelien der Mukosa. Bei Patienten mit geplanten Chemotherapiezyklen sollten daher in den therapiefreien Intervallen immer Mundhygienetermine zur Verminderung des allgemeinen Keimloads und zur Beseitigung vorbestehender Läsionen eingeplant werden, um Streuherde von vornherein zu reduzieren.
Glukokortikoide werden routinemäßig zur entzündungshemmenden Therapie bei Asthma bronchiale, Rheuma, dermatologischen Erkrankungen und Allergien eingesetzt. Durch Langzeittherapien werden die Schleimhäute atroph und ausgedünnt sowie entsprechend anfälliger für Noxen.
Daneben können Medikamente ohne direkte Knochenmarksdepression zu schwerer Stomatitis mit Ulzerationen ohne zusätzliche Hautbeteilungung führen. Zu diesen gehören Antirheumatika wie Phenylbutazon, Oxyphylbutazon sowie Indometacin.

4. Medikamentös bedingte Induktion von lichenoiden Reaktionen und Pigment- störungen der Mundschleimhaut und Zunge
Die Läsionen ähneln morphologisch einem Lichen ruber mucosae und treten mit gleichzeitiger Hautbeteiligung relativ selten als Nebenwirkung von Tetrazyklinen und Sulfonylharnstoffen auf. Ausschließlich auf der oralen Mukosa findet man sie vor allem nach Gaben von Methyldopa und NSAR. Die Veränderungen bilden sich nach Absetzen der Medikamente meist rasch zurück.
Pigmentstörungen der Mundschleimhaut sind häufiger. So können nach Einnahme von Antimalariamitteln wie Chloroquin schiefergraue bis livide Läsionen am harten Gaumen und Zahnfleisch auftreten, welche allerdings nach Beendigung der Medikation relativ bald verschwinden. Langzeitgaben von Phenothiazin und Chlorpromazin können graubraune bis blaugraue Pigmentstörungen induzieren.
Durch die heute selten gewordenen Therapien mit Schwermetallen wie Gold, Silber und Wismut sind die in diesem Zusammenhang auftretenden Verfärbungen kaum noch zu finden.
Verfärbungen der Zunge im Sinne einer Lingua villosa nigra können im Rahmen von Tetrazyklinbehandlungen auftreten.

5. Medikamentös induzierte Gingivahyperplasie
Durch überschießende Vermehrung von Fibroblasten und Kollagenneubildung kommt es vor allem im Molaren- und im Tuberbereich, seltener auch generalisiert, zum Überwuchern der Gingiva. Das Ausmaß der Hyperplasie kann unterschiedlich sein. In jedem Fall führt sie durch das Entstehen von Pseudo-Zahnfleischtaschen zu Akkumulation von Bakterien und damit zu lokalen Entzündungen und Verschlechterung des parodontalen Status. Die Mechanismen der Pathogenese der Gingivahyperplasie sind nicht vollständig geklärt. Diskutiert werden ein Ungleichgewicht zwischen Metalloproteinasen und deren Inhibitoren sowie Veränderungen in den Interaktionen von Zytokinen.
In diesem Zusammenhang bekannte Medikamentengruppen sind das Anti-epileptikum Phenytoin,  aber auch weitere Antikonvulsiva wie Valproinat und Phenobarbital.
Ciclosporin A und Tacrolimus als Immunsuppressiva nach Organtranslantationen sowie Calciumkanalblocker wie Nifedipin und Amlodipin und Verapamil zur Blutdrucktherapie können ebenfalls zu Gingivahyerplasie führen. Dosisreduktionen der angeführten Medikamente können häufig das Ausmaß der Hyperplasien begrenzen. Bei schweren Fällen ist ein möglicher Wechsel der Medikation in Zusammenarbeit mit dem behandelnden praktischen Arzt oder Internisten anzustreben.

6. Bisphosphonate und aseptische Knochennekrose im Kieferbereich
Diese Medikamente beeinflussen die Mineralisation der Knochen und werden bei schwerer Osteoporose, Knochenmetastasen bei Karzinomen, Morbus Paget und tumorassoziierter Hypercalciämie verabreicht. Sie hemmen die Osteoklasten und damit den Knochenabbau. Durch Komplexbildungen kann es zu Hypocalciämien  und Mineralisationsdefekten des Knochens kommen. Besonders bei intravenöser Gabe im Rahmen von malignen Grunderkrankungen entstehen in der Folge nicht selten aseptische Nekrosen des Kieferknochens. Diese entsprechen radiologisch und klinisch einer Osteonekrose, wie sie auch nach Strahlenbehandlungen im Kieferbereich auftreten kann. Für den Zahnarzt bedeutet dies, den Patienten wenn möglich vor der Bisphosphonattherapie gründlich zu sanieren und bestehende Herde zu eliminieren. Während der laufenden Therapie muss von zahnärztlicher Seite engmaschig kontrolliert werden. Chirurgische Interventionen sollten in dieser Phase vermieden werden; sämtliche - auch minimal invasive - Behandlungen müssen unter Antibiotikatherapie erfolgen. Ergänzende Behandlungen mit Ozon und/oder photodynamischem Laser sind bei bereits bestehenden Nekrosen zu empfehlen.

7. Weitere seltene Arzneimittelnebenwirkungen
Gaben von Jod oder Brom über längere Zeiträume können zunächst zu Ödemen mit Rötungen mit blasiger Abhebung des Epithels führen. An Gingiva, Gaumen, Lippen und Zunge entwickeln sich, bevorzugt im vorderen Bereich der Mundhöhle, in der Folge zerklüftete, vegetierende Enantheme.
Oral zugeführte Medikamente können bei längerem Verweilen an der Schleimhaut Nekrosen hervorrufen. Relativ häufig ist hier das „Aspirin-Ulcus", welches durch Einklemmen von Tabletten zwischen Wange und Zahn zur vermeintlichen lokalen Schmerztherapie bei Zahnschmerzen entsteht.
Alendronsäurehaltige Tabletten haben ähnliche Wirkung, hier entstehen Pseudotumoren aus Granulationsgewebe.
Schwärzliche Verfärbungen an der Zunge können durch Eisenpräparate, aureomycinhaltige Mundspülungen und bei Langzeitanwendung von Chlorhexidin durch die Denaturierung der Zell-eiweiße entstehen. Die unterschiedlichen Manifestationen von Medikamentnebenwirkungen auf die orale Gesundheit verlangen eine rasche Identifizierung der Ursache und danach flexibles, problemorientiertes Eingreifen im Sinne der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der oralen Gesundheit.

Ch. Eder, L. Schuder