Echte Allergien müssen gegenüber anderen Auslösern abgeklärt werden

Entzündliche Reaktionen der oralen Mucosa können sehr unterschiedliche Ursachen haben. In den meisten Fällen werden sie mikrobiell durch Bakterien, Pilze oder Viren ausgelöst, häufig auch durch exogene physikalische, mechanische, chemische oder traumatische Ursachen. Können solche ausgeschlossen werden, stellt sich die Frage nach einer möglichen allergischen Reaktion der Mundschleimhaut gegenüber einem zahnärztlichen Werkstoff oder oral angewendeten Substanzen wie Zahnpasten, Zahnbleichmittel oder Mundwässern.


Nun findet man nachweisbare allergische Reaktionen viel häufiger auf der Haut - in Zusammenhang mit zahnärztlichen Fragestellungen vor allem an den Lippen und perioral - als auf der Mucosa oder Gingiva selbst. Dies hängt mit den funktionellen und anatomischen Unterschieden dieser Epitope zusammen. Die Mundschleimhaut ist einerseits hoch permeabel für Fremdsubstanzen, zeigt aber gegenüber normaler Haut und auch anderen für Allergene weit empfindlicheren Schleimhäuten, wie etwa der Nase und des Respirationstrakts, erhebliche Unterschiede. Die Mundschleimhaut ist naturgemäß durch Nahrungsaufnahme, Inhalation und Respiration ständig einer Vielzahl verschiedenster Stoffe ausgesetzt, was eine erhöhte Toleranz gegenüber potenziellen Allergenen notwendig macht.


Antigenpräsentierende dendritische Zellen der Mundschleimaut erhöhen die Toleranz gegenüber Allergenen.So unterscheiden sich mucosale dendritische Zellen, denen eine wichtige Rolle bei der Aufnahme, Verarbeitung und Präsentation der potenziellen Allergene zukommt, in vieler Hinsicht von den Langerhanszellen der Haut.


In beiden Fällen werden die Antigene von den jeweiligen dendritischen Zellen, welche aus dem Knochenmark in periphere Gewebe einwandern, aufgenommen, zerlegt und prozessiert. Bruchstücke der Allergene werden in der Folge an ungeprägte (naive) T- Lymphozyten präsentiert. Diese werden dann zu aktivierten Th2-Zellen; gleichzeitig werden B-Lymphozyten aktiviert, welche in Interaktion mit den Th2- Zellen IgE-Antikörper bilden. Diese wiederum führen zu über Bindung an hochaffine Rezeptoren und Kreuzvernetzung an Mastzellen und basophile Granulozyten zu deren Degranulation. Es kommt zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Histaminen, Prostaglandinen, Chemokininen und Zytokinen wie Interleukinen, mit allen entsprechenden Konsequenzen für die betroffenen Gewebe. Gleichzeitig wird aber über die dendritischen Zellen auch die antiinflammatorische Gegenregulation moduliert.


In der Mucosa bewirken die hochaffinen FceRI-Rezeptoren der oralen dendritischen Zellen nun eine stärkere Aktivierung antiinflammatorischer Zytokine, wie Il 10 und TGF-ß1. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Reaktion vor allem aus dem speziellen mikrobiellen Milieu der Mundhöhle resultiert, welches direkten Einfluss auf die oralen Langerhanszellen nimmt und so zu einer Aktivierung von Zellen mit regulatorischer Funktion führt. Zentrale Mechanismen sind daher eine notwendige Aufrechterhaltung der Toleranz gegenüber mikrobiellen Produkten und einer Th2/Th1-Verschiebung .

Neben diesen hochkomplexen Mechanismen besitzt die orale Mucosa noch weitere spezielle Eigenschaften, wie ihre enge Assoziation mit lymphatischem Gewebe über die Tonsillen und immunologische Vorteile über das IgA des Speichels. Daneben kommt auch die gegenüber der Haut und der Nasenschleimhaut deutlich geringere Dichte an Mastzellen und eosinophilen Granulozyten in der Mundschleimhaut zu tragen.


Allergische Reaktionen vom Typ I und Typ IV


Trotz dieser protektiven Eigenschaften sind vor allem kontaktallergische Reaktionen im Mundraum nicht von vornherein auszuschließen. Etwa 0,5% der Schleimhautveränderungen im Zusammenhang mit Dentalstoffen beruhen tatsächlich auf echter allergischer Reaktion. Typ- IV-Reaktionen gehen mit Erythem, Brennen, Mucositis, Stomatitis und lichenoiden Veränderungen einher. Sie können über Materialien wie Metalle (Amalgam, Chrom, Nickel, Gold), Kunststoffmonomere aus Prothesen-, Kronen- oder Füllungsmaterial (Methacrylat, Acrylat, Epoxidharz), Abdruckmittel, Weichmacher und Farbstoffe ausgelöst werden Typ-I-Reaktionen mit Juckreiz, Brennen und Schleimhautödemen, werden vor allem durch Bestandteile von Zahnpflegemitteln, Antiseptika wie PVP-Jod, Chlorhexidin, Jodofom, Lokalanästhetika und lokal applizierte Medikamente wie etwa Antimycotika induziert.
Diagnose Allergie erst nach Abklärung sämtlicher Fakten.

Da die klinischen Erscheinungsbilder nicht allergiespezifisch sind, ist eine exakte differenzialdiagnostische Abklärung unerlässlich. Vor allem sind zunächst lokal-toxische Reaktionen durch erhöhte Freisetzung von Komponenten aus Metalllegierungen bei Verarbeitungsfehlern oder Korrosion zu beachten. Durch Kontakt zwischen Dentalmetallen mit unterschiedlichen Redoxpotenzialen können sich galvanische Elemente bilden, die zu Affektionen der umgebenden Schleimhaut führen. Bei Prothesenunverträglichkeit kann es durch mechanische Ursachen und durch Wärmestau an der Prothesenbasis zu oraler Dysästhesie kommen. Eine der häufigsten Ursachen ist die Prothesenstomatitis durch Candida. Hier ist zu beachten, dass die erythematöse Form nicht notgedrungen mit weißen Schleimhautveränderungen einhergehen muss.

Wichtige Hinweise auf eine tatsächlich echte allergische Reaktion sind:

• die entsprechende Schleimhautveränderung tritt in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem vermutetem Allergen auf
• die verdächtigte Substanz hat tatsächlich allergenes Potenzial
• die Substanz ist im Werkstoff vorhanden und wird auch in ausreichender Form und Menge freigesetzt
• das Allergen kann über einen positiven Epicutantest bestätigt werden

Als sogenannte Spitzenallergene gelten Kunststoffe, besonders Methylmetacrylat, sowie manche Compositematerialien. Durch mangelhafte Aushärtung kommt es hier zur Freisetzung von Molekülen, welche al-lergisierende Wirkung zeigen können.
Gold enthält Palladium, wobei Letzteres ein nicht zu unterschätzendes allergenes Potenzial besitzt. Die Al-lergie gegen Palladium, ebenso wie gegen Nickel, kann auch bereits vorher, etwa durch Ohrstecker, erworben sein. Besonders gefährdend sind Goldlegierungen mit zu geringem Edelmetallgehalt. Allergische Reaktionen gegen Amalgam sind sehr selten, sie machen nur etwa 0,01% der Fälle aus. Entscheidend ist hier die Testung auf anorganische Quecksilberverbindungen im Allergietest. Praktisch kaum Allergien findet man auf das in der Implantologie zum Einsatz kommende Titan.
Von lokal angewendeten Substanzen verdienen besonders Duftstoffe, ätherische Öle und Kolophoniumkomplexe Beachtung.
Die orale Schleimaut hat dank ihrer protektiven Eigenschaften eine sehr niedrige Hypersensibilisierungsrate, ist jedoch durch die Massenexposition zu möglichen Allergenen als anfällige Struktur zu werten.

Ch. Eder, L. Schuder