Fallbeispiele aus der Kinderzahnheilkunde - Kariesinaktivierung mittels Silberdiaminfluorid

Frühkindliche Karies (ECC, Early Childhood Caries) zählt nach wie vor zu einer der häufigsten Erkrankungen bei Kindern weltweit. Es ist bekanntermaßen eine multifaktorielle Erkrankung und wird neben nächtlichen Nuckelflaschen durch übermäßigen Genuss zuckerhaltiger Lebensmittel und Getränken rasch vorangetrieben.

Neben offensichtlicher Beeinträchtigung der Mundgesundheit können schwere Formen der ECC aber auch oft andere weitreichende Probleme nach sich ziehen. Sprachentwicklungsstörungen, Schwierigkeiten im Zuge der Nahrungsmittelaufnahme und kieferorthopädische Problematiken bei frühzeitigem Milchzahnverlust, sollen hierbei beispielshaft Erwähnung finden. Die Behandlung von ECC und ihre Folgen verursacht erhebliche Kosten, sowohl für Familien als auch für das Gesundheitssystem (1–3). Neben konventionellen therapeutischen Methodiken mehren sich in den letzten Jahren die Fallberichte über die Anwendung von SDF zum Zwecke der Kariesarretierung im Milchgebiss. Silberdiaminfluorid ist eine klare, farblose Flüssigkeit, die aus Silberionen, Ammoniak und Fluorid besteht. Es wurde erstmals in den 1960er Jahren in Japan zur Behandlung von Karies verwendet. Seitdem hat es weltweit an Bedeutung gewonnen. Neben der Einfachheit in der Anwendung beruht die Wirksamkeit in der Hemmung des Bakterienwachstums und Remineralisation von Kariesläsionen und findet daher insbesondere bei Kindern aber auch älteren Erwachsenen (4, 5) Anwendung. In der bisherigen Literatur wird es daher als eine wirksame Alternative beschrieben, die Kariesprogresssion zu verlangsamen und speziell bei Kindern mit hohem Kariesrisiko die Entstehung neuer Läsionen zu verhindern (6, 7). Hierzulande ist das einzig verfügbare Produkt dieser Art das Silberdiaminfluorid von Riva Star® und Riva Star Aqua®, SDI Dental Limited. Obgleich die Nutzung als „Off-Label Use“ zu klassifizieren ist, bietet es speziell bei Kindern mit ausgeprägter Zahnarztangst oder -phobie eine valide therapeutische Alternative (8–10), da es im Gegensatz zu konventionellen kavitären Behandlungsmethoden ohne Notwendigkeit einer Anästhesie oder Bohren auf dem betroffenen Zahn aufgebracht wird. Das folgende Fallbeispiel schildert die Anwendung von SDF (Riva Star®, SDI Dental Limited) bei einem Patient mit ECC.

Fallbericht

Erstbesuch:

Der fünfjährige Patient stellte sich in Begleitung seiner Mutter in der Zahnklinik der Sigmund Freud Universität zum Zwecke der zahnärztlichen Kontrolle vor. Die  klinische Untersuchung ergab multiple kariöse Läsionen sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer. Zurückliegende zahnärztliche Kontrollen wurden verneint. Im Zuge der Folgetermine wurde in Anbetracht der Gesamtplanung, gepaart mit insuffizienter Compliance, einerseits die Applikation von SDF als auch die Option einer Narkosesanierung thematisiert. Da der nächstmögliche Narkosetermin jedoch 12 Wochen entfernt war, wurde entschieden, jene Zähne ohne pulpäre oder periapikale Pathologie mittels SDF zu behandeln. Damit sollten weitere pulpale Konsequenzen profund kariöser zerstörter Zähne im Zuge der Wartezeit minimiert werden.

Termin der SDF Applikation:

Nach entsprechend mündlicher und schriftlicher Aufklärung erfolgt die Vorbereitung der Zähne vor SDF Applikation. Speisereste wurden entfernt und der Zahn mit einer fluoridfreien Polierpaste sanft gereinigt. Danach wurden unter relativer Trockenlegung mittels Watterollen die Zähne mit einem Tropfen SDF (Riva Star®, SDI Dental Limited) Step1 für ca. 60 Sekunden mit einem Microbrush bepinselt. Überschüsse wurden abgetupft. Es zeigte sich nach 1–2 Minuten bereits eine beginnende Schwarzfärbung der kariösen Läsionen.

Kontrolltermin 1 Woche später:

Patient war nach wie vor beschwerdefrei. Die Kontrolle der arritierten Stellen erfolgte vorsichtig mit zahnärztlicher Sonde. Frische Biofilmablagerungen an den genannten Stellen waren zum Teil sichtbar. Insuffiziente Arritierung wurde mit einer erneuten Applikation von SDF behandelt.

Fazit

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es einige Herausforderungen im Zusammenhang mit der Anwendung von SDF. Dazu gehören ästhetische Bedenken, da SDF die Zähne dunkel verfärbt. Hierzu ergaben die Ergebnisse von Almarwan et al., dass die elterliche Akzeptanz in der Anwendung von SDF im Molarenbereich deutlich höher war als für die Frontzähne. Weiters waren Eltern eher geneigt, die Nebenwirkung einer irreversiblen Schwarzfärbung der Zähne in Kauf zu nehmen, wenn das Kind bereits mehrmalige frustrane und schmerzhafte Zahnarztbesuche hinter sich hatte (11). Da es über die Verwendung von SDF als kariespräventive Behandlungsmethode noch vergleichsweise begrenzte Langzeitdaten zu den Auswirkungen der langfristigen Exposition auf Zähne und umliegendes Gewebe gibt, sind weitere Studien erforderlich, um das langfristige Sicherheitsprofil von SDF besser zu verstehen.

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Quellennachweis

1
 Meyer F, Enax J. [Early Childhood Caries: Epidemiology, Aetiology, and Prevention.] Int J Dent. Vol. 2018, Article ID 1415873, 7 pages, 2018

2
 American Academy of Pediatric Dentistry [Policy on Early Childhood Caries (ECC): Classifications, Consequences, and Preventive Strategies] Oral Health Policies. Reference Manual 2016; 39(6): 59-61

3
 Schwendicke F, Cheng L, Dörfer C, Paris S, Meyer-Lueckel H. Prospektive, randomized, controlled trial on arresting dental root caries using silver diamine fluoride: a microcomputed tomography analysis. Caries Res. 2020; 55(6):450-457.

4
 Contreras V, Toro MJ, Elías-Boneta AR, Encarnación-Burgos A. Effectiveness of silver diamine fluoride in caries prevention and arrest: a systematic literature review. Gen Dent. 2017 May-Jun;65(3):22-29. PMID: 28475081; PMCID: PMC5535266.

5
 Mei ML, Lo EC, Chu CH. Clinical Use of Silver Diamine Fluoride in Dental Treatment. Compend Contin Educ Dent. 2016 Feb;37(2):93-8; quiz100. PMID: 26905088.

6
 Luciano Zaffarano, C. Salerno, G. Campus, S.Cirio, A.Balian, L.Karanxha & M. Garzia Cagetti (2022) Silver Diamine Fluoride (SDF) Efficacy in Arresting Cavitated Caries Lesions in Primary Molars: A Systematic Review and Metanalysis. Int J Environ Res Public Health, 19(19):12917

7
Basheer N A, Jodalli PS, Nayak N, K S A, Badekkila AR Effectiveness of Silver Diamine Fluoride for Early Childhood Caries Among Children Aged 24 to 72 Months: Protocol for a Randomized Controlled Trial JMIR Res Protoc 2023;12:e46144

8
 
Mei, M.L., Chu, C.H., Lo, E.C.M., & Samaranayake, L.P. (2013). Fluoride and silver concentrations of silver diammine fluoride solutions for dental use. International Journal of Paediatric Dentistry, 23 (4), 279-285.

9
 
Rosenblatt, A. Stamford, T.C.M., & Niederman, R. (2009). Silver Diamine Fluoride: A Caries „Silver-Fluoride Bullet.“ Journal of Dental Research, 88(2), 116-125.

10
BaniHani A, Santamaria RM, Hu S et al (2021) Minimal intervention dentistry for managing carious lesions into dentine in primary teeth: an umbrella review. Eur Arch Paediatr Dent. 10.1007/s40368-021-00675-6

11
Almarwan M, Almawash A, AlBrekan A et al (2021) Parental acceptance for the use of silver diamine fluoride on their special health care-needs child's primary and permanent teeth. Clin Cosmet Investig Dent 13:195-200. 10.2147/CCIDE.S307190

Dr. Anna Schütze

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