Adipositas und Parodontitis – eine bidirektionale Beziehung: Kann parodontal-pathogenes Mikrobiom dick machen?

Die Prävalenz von Adipositas hat in den letzten 20 Jahren sowohl in den westlichen Industrieländern als auch in den Staaten der Dritten Welt extrem zugenommen und betrifft nach Daten der WHO weltweit 600 Millionen Menschen.

Adipositas definiert sich über den BMI (body mass index von 30 kg/m2 und darüber). Mit Übergewicht, insbesonders bei Konzentration der Fettansammlung im abdominalen Bereich, sind Systemerkrankungen wie das metabolische Syndrom assoziiert. Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre bestätigen eine signifikante Korrelation zwischen Fettleibigkeit und dem Risiko einer schweren chronischen Parodontitis und beschäftigen sich mit den möglichen biologischen Mechanismen, welche diese Zusammenhänge erklären.

Adipokine alterieren die Immunantwort im parodontalen Gewebe

Die Ursache für diese Vernetzung liegt in den entzündlichen Prozessen, die beiden Krankheitsbildern zugrunde liegen. Im Fettgewebe ebenso wie auch im entzündeten Gewebe des Zahnhalteapparats werden proinflammatorische Zytokine produziert und in den Organismus freigesetzt. Sowohl bei Adipositas als auch bei Parodontitis bestehen nachweislich Zusammenhänge mit Diabetes mellitus II, erhöhtem Risiko von Atherosklerose, koronaren Herzerkrankungen und Hypertonie. In den Adipozyten werden endokrin aktive Proteine, die Adipokine, gebildet und sezerniert. Der bekannteste Vertreter ist das 1994 erstmals beschriebene Leptin. Inzwischen sind eine Reihe weiterer Verbindungen wie Adiponectin, Resistin, Interleukin 6 (IL6), Tumornekrosefaktor a (TNFa), Plasminogen Aktivator Inhibitor 1 (PAI 1) und Monozyten Chemotactic Protein (MCP-1) bekannt. Sie regulieren die Energiehomöostase und stellen eine direkte Verbindung zwischen metabolischen Prozessen und dem Immunsystem her. Adipokine stehen in engem Zusammenhang mit der Förderung und Unterdrückung chronisch entzündlicher Erkrankungen und regulieren damit im Idealfall die Immunantwort auf infektiöse Noxen. Ist allerdings das Gleichgewicht zwischen pro- und anti-inflammatorischen Komponenten gestört, kommt es zu überschießenden Entzündungsreaktionen, welche sich gegen das Wirtsgewebe richten.

Hoher BMI verursacht Zunahme von Entzündungsmediatoren

Einige dieser Proteine wie TNFa, IL-6 und PAI-1 werden auch bei florider Parodontitis im oralen Gewebe produziert und sind dort am Entzündungsgeschehen und der damit einhergehenden Gewebedestruktion beteiligt. Erhöhte Spiegel von TNFa und IL-6 im Sulkusfluid korrelieren signifikant mit einem hohen BMI. Die zusätzliche Produktion von Entzündungsmediatoren im Fettgewebe adipöser Patienten wirkt damit verstärkend auf das Ausmaß und die Progression der parodontalen Erkrankung. Beide Proteine werden vor allem im tiefen abdominalen Fettgewebe gebildet. TNFa und IL-6 stimulieren die Produktion von Akute-Phase-Proteinen wie dem C-reaktiven Protein (CRP) in der Leber. In zu hoher Konzentration führen sie zu einem inadäquaten Immunrespons auf bakterielle Infektionen. Auf diesem Weg kann es, besonders bei einem bereits destabilisierten oralen Mikrobiom, zu einer massiver Progression der Erkrankung kommen. TNFa ist ein treibender Faktor bei der Rekrutierung von Osteoklasten, welche den alveolären Knochenabbau vorantreiben. Der zu den Adipokinen zählende Plasminogen-Aktivator-Inhibitor hemmt in den Gefäßen die Fibrinolyse und verursacht in den feinverästelten dünnen Gefäßen der Gingiva eine Ischämie. Der Blutfluss im Parodontium wird reduziert, weniger Nahrungsstoffe und Sauerstoff können transportiert werden. Dies begünstigt Wachstum und Vermehrung anaerober Bakterien. Im Gegensatz zu den entzündungsfördernden Adipokinen sind protektive Faktoren wie Adiponectin und Leptin bei Adipösen und Diabetikern sowohl im Serum als auch im Sulkusfluid deutlich reduziert. Zusätzlich verstärkt Adipositas die Zirkulation reaktiver Sauerstoffverbindungen (ROS) bei gleichzeitiger Reduktion antioxidativer Substanzen. Der gesteigerte oxidative Stress im gingivalen Gewebe bewirkt die Zerstörung von Kollagen, Lipiden und der DNS und führt damit zu einer Exazerbation der Parodontitis.

Parodontalkeime destabilisieren das Darmmikrobiom

Umgekehrt haben aber auch parodontale Erkrankungen Einfluss auf Gewichtszunahme und Fetteinlagerung. Die Mechanismen laufen über orale Bakterien. Immerhin wird täglich durchschnittlich 1g Bakterienmasse mit dem Speichel verschluckt. Parodontal-pathogene Spezies wie Fusobacterium nucleatum und Porphyromonas gingivalis geraten dabei direkt in den Verdauungstrakt und werden in die Darmflora integriert. P. gingivalis, einer der bestuntersuchten oral-pathogenen Keime, funktioniert als sogenanntes „Keystone Bakterium“. Die wenn auch nur in geringer Zahl nachweisbare Anwesenheit solcher Bakterien führt zu einer Dysbiose im jeweiligen Mikrobiom. Ganz ähnlich wie im Sulkus kommt es nun auch im Darm zu einer Destabilisierung der residenten Flora und zu einer markanten Verschiebung der Anteile der jeweiligen Arten. Erhöhte Level von Bakterien aus dem Stamm der Firmicutes zu Ungunsten der Bacteroidetes bewirken aber eine deutlich effizientere Verwertung von Nahrungsstoffen und damit erhöhte Energiespeicherung in Form von Fetteinlagerung. Dieses Phänomen ist Thema zahlreicher Studien und wird als „Infectobesity“ bezeichnet. Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Anaerobier erleichtern über die Induktion vermehrter TNFa-Ausschüttung und gleichzeitiger Reduktion von Adiponectin die Entstehung einer Insulinresistenz. Chronische Parodontitis wird durch Fettleibigkeit begünstigt, kann aber ihrerseits durch die systemische Erhöhung der inflammatorischen Parameter den Lipidhaushalt und die Fettspeicherung alterieren.

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at