Rolle neutrophiler Granulozyten bei parodontalen Erkrankungen - Erste Abwehrfront gegen Bakterien

Funktion und Effektivität des Immunsystems bestimmen zu einem großen Teil das Ausmaß inflammatorischer Prozesse. Chronisch entzündliche Erkrankungen wie Parodontitis werden durch mikrobielle Aktivität und die daraus resultierende Reaktion der lokalen und systemischen Abwehr getriggert.

Zahlreiche exo- und endogene Faktoren koordinieren die Expression und Ausschüttung von Immunmediatoren und regeln die Funktion der Abwehrzellen. So führt etwa eine Variation im Interleukin-1 (IL-1) Gencluster zu einer überschießenden inadäquaten Immunantwort auf nur geringe bakterielle Reize und damit zu schweren, aggressiven Verlaufsformen einer Parodontitis. Ähnliche genetische Polymorphismen stehen in Zusammenhang mit der bereits im Kindesalter auftretenden, seltenen Early-onset-Parodontitis.

Leukozytäre Barriere gegen bakterielle Angriffe

An vorderster Front der Bekämpfung parodontal-pathogener Mikroorganismen steht die unspezifische zelluläre Abwehr. Die Infiltrate im Zahnfleisch setzen sich aus mononukleären Phagozyten (Monozyten, Makrophagen, Lymphozyten) und den segmentkernigen (neutrophilen, polymorphkernigen) Granulozyten zusammen. Letztere stellen über 50% der weißen Blutkörperchen am junktionalen Epithel der Gingiva. Sie bilden dort im Idealfall eine effektive Barriere gegen die invasiven Keime. Im Gegensatz dazu findet man die rundkernigen lymphoiden Zellen eher in tieferen Gewebeschichten. Die Funktion der polymorphkernigen Leukozyten als primäre Abwehrfront gegen Infektionen erklärt auch, dass Defekte dieser Zellen weit dramatischere Folgen für den Zahnhalteapparat haben als jene von Lymphozyten. Es kommt zu progressiven Entzündungsverläufen mit raschem Verlust von Weichgewebe und Knochen. Leider sind derartige Funktionseinschränkungen nicht selten und die Ursachen dafür vielfältig. Funktionsstörungen von Granulozyten können die Beweglichkeit, die Fähigkeit zur Chemotaxis und die Phagozytose betreffen. Der Weg eines neutrophilen Granulozyten von seiner Rekrutierung aus dem peripheren Blut bis zur Abtötung eines Infektionserregers verläuft über mehrere komplexe Schritte, was leider wiederum die Möglichkeiten von Fehlfunktionen erhöht. Um an den Ort der Infektion zu kommen, müssen die Granulozyten die Blutbahn verlassen und durch die interstitiellen Räume der Endothelien von postkapillären Venolen in das Gewebe migrieren. Dabei kommt es zunächst zum „Rollen“ am Endothel, welches über Zytokine wie IL-1 und den TNFa (Tumornekrosefaktor a) induziert wird. Danach wird über Chemokin die Integrin-Affinität verstärkt und schließlich eine Bindung und nachfolgende Durchwanderung der Abwehrzellen durch das Endothel ermöglicht.

Interaktion von zellulärer und humoraler Abwehr

Das subgingivale Keimspektrum in der Zahnfleischtasche wird im Normalfall von vorwiegend gramnegativen anaeroben oder fakultativ anaeroben Keimen dominiert. Für deren erfolgreiche Bekämpfung ist eine intakte Neutrophilen-AntikörperKomplement-Achse Voraussetzung. Antikörper wie IgG und Faktoren des Komplementsystems sind nämlich für die Opsonierung dieser bakteriellen Antigene verantwortlich. Erst dadurch werden sie von den Fresszellen als Feind erkannt und phagozytiert. Schon bei guter Funktion des Immunsystems kommt es bei entsprechend hoher Keimbelastung zu Problemen. Die chemotaktisch von den opsonierten Erregern angelockten Granulozyten treten in Massen aus den feinen Endverzweigungen der Kapillaren im Zahnfleisch aus und strömen dammbruchartig in den Sulkus. Ein derart massiver Ansturm geht leider nicht ohne gravierende Schäden für das Wirtsgewebe vor sich. Epithelien und Bindegewebe werden zerstört und bilden damit einen Nährboden für weiteres Bakterienwachstum. Nur rechtzeitige Reduktion der Gesamtkeimmenge durch entsprechende Mundhygiene und Prophylaxe kann ein gesundes Gleichgewicht zwischen Immunzellen und Gewebe aufrechterhalten.

Genetische Defekte begünstigen Parodontitis

Weit dramatischer wird die Situation bei den bereits angesprochenen Defekten der granulozytären Abwehr. Die Ursachen sind vielfältig. An der Basis stehen hier, ähnlich wie beim IL-1-Polymorphismus, genetisch bedingte Fehlfunktionen. Diese können in schweren Fällen als Syndrome auftreten und betreffen dann meist weit mehr als nur den Zahnhalteapparat. Die pathologische Veränderung von oralen Strukturen ist dann Teil des jeweiligen Symptomenkomplexes und erfordert die Mitarbeit des Zahnarztes am Gesamttherapiekonzept. Zu diesen Syndromen zählt etwa das LADS (Leukocyte Adhesion Defiency Syndrom), welches neben geistiger Retardierung und Wachstumsstörungen mit aggressiver Parodontitis einhergeht. Beim Kostmann-Syndrom (infantile genetische Agranulozytose) besteht bereits in früher Kindheit die Gefahr lebensbedrohlich verlaufender bakterieller und mykotischer Infektionen mit Absiedelungen von Bakterien in Leber, Knochen und weitere innere Organe. Auch bei hereditären und zyklischen Neutropenien, dem Papillon-Lefevre-Syndrom und beim Down-Syndrom (Trisomie 21) treten schwere Defekte der zellulären Abwehr mit Motilitätsstörungen und Verlust der Chemotaxis auf.

Bakterielle Produkte degradieren das Immunsystem

Neben genetischen Ursachen können auch chronische Krankheiten wie Diabetes mellitus sowie Nebenwirkungen bestimmter Medikamente die unspezifische zelluläre Abwehr einschränken. Zudem entwickeln sogar die parodontal-pathogenen Bakterien selbst effektive Mechanismen, um die Funktion der Abwehrzellen außer Kraft zu setzen. Keime wie Porphyromonas gingivalis und Aggregatibacter actinomycetem comitans stören direkt die Chemotaxis und die Phagozytosefähigkeit der neutrophilen Granulozyten. P. gingivalis kann über seine speziellen Virulenzfaktoren, die Gingipaine, Entzündungsmediatoren degradieren und die chemische Weiterleitung von Zellsignalen an die Abwehrzellen verhindern. Das komplexe Zusammenspiel zwischen dem oralen Mikrobiom, den Zellen und Geweben des Zahnhalteapparates und der Immunabwehr bedarf eines ausgewogenen Gleichgewichts, um Entzündung und Gewebeabbau hintanzuhalten. Individuell angepasste Prophylaxe und Therapie mit anamnestischer Erfassung möglicher Einflussfaktoren, regelmäßiger professioneller Mundhygiene und bei Bedarf rechtzeitige Intervention mit gezielter Keimeradikation und Stimulierung der körpereigenen Abwehr sind die Voraussetzung für die Wiederherstellung und Erhaltung der Mundgesundheit.

Ch. Eder, L. Schuder
DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at