Graz: Corona, Teamgeist & Zukunftspläne

Prof. DDr. Norbert Jakse ist seit 1. Oktober letzten Jahres neuer Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit. ZMT führte mit ihm folgendes Interview.

Können Sie in der aktuellen Situation zu Beginn Ihren Corona-Klinikbetrieb reflektieren?

JAKSE: Wie alle anderen auch wurden wir vom allgemeinen Lockdown mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen überrascht. Ab 16. März stellten wir auf einen Notbetrieb um. Dabei ging es zunächst einerseits darum, mit täglich wechselnden interdisziplinären Teams ausreichend personelle und räumliche Ressourcen bereitzustellen, um trotz Corona dauerhaft die Patientenversorgung hinsichtlich akuter zahnmedizinischer Notfälle sicherzustellen. Andererseits galt es auch, Behandlungsprozesse und Schutzmaßnahmen im Sinne der Sicherheit unserer Patienten und Mitarbeiter anzupassen. Um für jede Phase der Pandemie hinsichtlich Patientenversorgung, Studium und Forschung vorbereitet zu sein, haben wir schon in der Akutphase ein „Corona-Betriebskonzept“ entwickelt, das sich als dynamischer Prozess versteht. Dieses beschreibt während der unterschiedlichen Pandemie-Phasen für alle Bereiche den Klinikbetrieb. Unter anderem galt es auch über LiveStreaming den Lehrbetrieb aufrechtzuhalten. Mittlerweile entwickeln wir uns dem Konzept entsprechend wieder behutsam und verantwortungsvoll aus dem akuten Notbetrieb heraus in einen Corona-Normalbetrieb.

Können Sie uns bitte kurz Ihre berufliche Laufbahn skizzieren – wir haben da von einer familiären Vorbelastung gehört?

JAKSE: Es ist richtig, dass ich medizinisch und im Speziellen zahnmedizinisch familiär „vorbelastet“ bin. Schon mein Vater und Großvater waren Zahnärzte, und darüber hinaus waren bzw. sind auch weitere nahe Verwandte Ärzte und Ärztinnen. Ich habe in Graz Medizin studiert und wollte eigentlich zunächst ganz bewusst nicht Zahnarzt, sondern plastischer Chirurg werden, erhielt dann aber 1991 nach dem Studium eine Assistentenstelle an der Grazer Kieferchirurgie. Nach Abschluss sowohl der Facharztausbildung für MKG-Chirurgie als auch für ZMK-Heilkunde entwickelte ich mich fachlich und wissenschaftlich in die ambulante zahnärztliche Chirurgie. Im Rahmen meiner Habilitation, die ich 2003 abschloss, forschte ich u.a. zum Thema „Einfluss von PRP auf die Knochenregeneration“. 2004 wurde ich als Nachfolger von Prof. Eskici zum Leiter des Departments für Zahnärztliche Chirurgie und Röntgenologie (nach Umstrukturierung heute die Klinische Abteilung für Orale Chirurgie und Kieferorthopädie) ernannt. Es folgte die Berufung zum Professor für Orale Chirurgie 2010 und 2019 die Bestellung zum Klinikvorstand.

Wie viele Personen arbeiten derzeit an der Grazer Universitäts-Zahnklinik?

JAKSE: Insgesamt sind an unserer Klinik inklusive externer Lehrender und der zugeordneten Pflege ca. 250 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tätig. Dazu kommen im klinischen Praktikum 72 ZahnmedizinStudierende des 7. bis 12. Semesters.

Wie sind Ihre Pläne als neuer Leiter der Grazer Zahnklinik?

JAKSE: Mein Ziel ist es grundsätzlich, auf unseren bestehenden Stärken aufzubauen und die Klinik als anerkanntes, universitäres Kompetenzzentrum in der Patientenversorgung, der Lehre und der Forschung zu präsentieren. Hinsichtlich der Patientenversorgung wollen wir die langjährig sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kollegen im niedergelassenem Bereich weiterentwickeln und vertiefen. Ziel ist es jedenfalls, in enger Abstimmung mit der ZÄK und der ÖGK eine abgestufte zahnmedizinische Versorgung der steirischen Bevölkerung sicherzustellen. Die Universitätsklinik sieht sich dabei mit den diversen Spezialambulanzen als Partner in einer spitzenmedizinischen Versorgung für spezielle, komplexe und seltene zahnmedizinische Krankheitsfälle. Eine hochwertige Ausbildung liegt mir besonders am Herzen. Aktuell erarbeiten wir einen neuen Lernzielkatalog. Mein Ziel ist es, in der Folge auch das Gespräch mit unseren Kolleginnen und Kollegen an der Wiener und Innsbrucker Klinik zu suchen – mit der Vision eines vor allem auch hinsichtlich der praktischen Leistungen national abgestimmten Lernzielkataloges. Ein Austausch von Studierenden und Lehrenden zwischen den österreichischen Universitäten sollte eigentlich unkompliziert möglich sein. Auch die Mobilität ins Ausland sollte noch viel mehr forciert werden. In Bezug auf unser bereits bestehendes postgraduelles Fortbildungsangebot wollen wir dieses in einer universitären, auch international wahrgenommenen Fort- und Weiterbildungsakademie bündeln und weiter ausbauen. Wir durften 2015 in eine sehr modern ausgestattete Klinik übersiedeln und wollen sie auch diesbezüglich bestmöglich nützen. Selbstverständlich entspricht es der Tradition unserer Klinik, mit Fortund Weiterbildungen auch zahnärztliche Assistentinnen und Zahntechniker anzusprechen. In der Forschung werden wir internationale Kooperationen weiter vertiefen und in jeglicher Hinsicht junge Forscher in ihrer Entwicklung unterstützen und ein wissenschaftlich produktives Umfeld sicherstellen.

Welche zukünftigen Entwicklungen erwarten Sie in der Zahnmedizin?

JAKSE: Beim digitalen Workflow gibt es sicher noch viel Entwicklungs- und Forschungsbedarf. Mit den uns an der Klinik zur Verfügung stehenden Technologien haben wir jedenfalls alle Voraussetzungen, um uns an der Umsetzung zur Praxistauglichkeit zu beteiligen. Auch in der Geweberegeneration und in der Entwicklung entsprechender Biomaterialien gibt es noch spannende Fragestellungen. Wir betreiben dazu in einer sehr produktiven Kooperation mit der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie ein eigenes Forschungslabor. Viel tut sich auch im Bereich der Zahntransplantationen. Hier haben wir eine Technik eingeführt, bereits voll entwickelte Zähne mit guter Prognose und bleibender Vitalität zu transplantieren.

Gibt es noch etwas, was Ihnen besonders am Herzen liegt?

JAKSE: Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass sich alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an unserer Klinik wohl ühlen, sie die Klinik als berufliches Zuhause empfinden, dass die Arbeit Freude bereitet und wir alle ein entsprechendes Zusammengehörigkeitsgefühl spüren. Es gilt: Leistung wird wertgeschätzt und belohnt, jeder kann sich mit seinen und ihren Stärken einbringen, und im Team sind wir gemeinsam stark. Die Bedeutung des Teamgeistes hat sich während der Corona-Krise ganz besonders gezeigt.

Herzlichen Dank für das Interview!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Prof. DDr. Norbert Jakse