Mund-Rachen-Krebs - Bei Radiotherapie weniger Schluckstörungen als bei robotergesteuerter OP

Bei Karzinomen im Mund-Rachen-Bereich werden in Abhängigkeit von der Ausdehnung des Tumors Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie singulär oder in Kombination eingesetzt.

Bei Tumoren im Frühstadium steht in vielen Ländern die Operation im Vordergrund; dieser Trend wird durch die Roboterchirurgie verstärkt. Randomisierte Vergleiche zwischen einer Radio(chemo)therapie und Operation fehlen. Diese erfolgten nun erstmals im Rahmen einer kanadisch-australischen Studie [1]: die tumorspezifischen Daten (z.B. Überlebensrate) beider Verfahren waren vergleichbar, aber die Lebensqualität (bezogen auf Schluckstörungen nach einem Jahr) war nach einer Radiochemotherapie signifikant besser. Die Therapie von Mund-RachenKrebs hängt von der genauen Art des Tumors (feingewebliche Diagnose) und der Größe bzw. der lokalen Ausbreitung sowie dem Vorhandensein von Lymphknoten- oder Fernmetastasen ab [2]. Wenn keine Fernmetastasen vorliegen, ist es für eine Heilung notwendig, den Tumor und eventuelle Metastasen in Halslymphknoten zu behandeln. Unter Einbeziehung von Alter bzw. Allgemeinzustand des Patienten kommen Operation, Bestrahlung (Radiotherapie) und Chemotherapie zum Einsatz. Die Heilungsaussichten sind am größten, wenn der Tumor komplett operativ entfernt oder erfolgreich durch Bestrahlung (gegebenenfalls zusammen mit einer Chemotherapie) behandelt werden kann. Der Primärtumor kann durch robotergestützte Operation entfernt werden, bei Lymphknotenbefall im Halsbereich werden diese mittels einer Neck Dissection entfernt.
Die Ergebnisse der radioonkologischen Behandlung haben sich durch die Einführung der intensitätsmodulierten Strahlentherapie maßgeblich verbessert, nicht befallene Regionen können heute wesentlich besser geschont und gravierende Nebenwirkungen wie langfristige Schluckstörungen oder Mundtrockenheit minimiert werden. Aber auch die operativen Techniken sind durch robotergestützte Verfahren und verbesserte Operationstechniken am Hals (selektive Neck Dissection) schonender für die Patienten geworden. In den USA hat inzwischen die transorale Roboterchirurgie (TORS) plus Neck Dissection (ND) die Radiotherapie immer weiter zurückgedrängt.
Bislang lagen zum Vergleich dieser beiden Therapiemodalitäten – Operation vs. Radio(chemo)therapie – nur Fallserien vor, bei der die Vergleichbarkeit zwischen beiden Methoden kaum gewährleistet war. Erstmals wurde jetzt ein randomisierter Vergleich zwischen diesen beiden Methoden durchgeführt. „Die Kollegen in Kanada und Australien sind für die Durchführung dieser Studie zu beglückwünschen, da es sehr schwierig ist, Patienten zufallsgemäß zwei so unterschiedlichen Therapieverfahren zuzuordnen. Umso höher ist der Stellenwert dieser Studie einzuordnen“, betont Prof. Rainer Fietkau, Erlangen, Präsident der DEGRO.
In der kanadisch-australischen Studie [1] (ORATO: „oropharynx radiotherapy versus trans-oral robotic surgery“) wurden die beiden Behandlungsmodalitäten nun hinsichtlich der Lebensqualität der Patienten nach einem Jahr verglichen. Gefördert wurde die Studie vom Canadian Cancer Society Research Institute, dem Ontario Institute for Cancer Research Clinician-Scientist Research und von Wolfe Surgical Research Professorship in the Biology of Head and Neck Cancers, die Phase-II-Studie war also nicht pharmafinanziert. Sie schloss Patienten von sechs Zentren ein (2012–2017), die ein Oropharynxkarzinom im Stadium T1-T2, N0-2 (≤4 cm) hatten sowie einen ECOGScore von 0-2 aufwiesen (d.h. eine Lebensqualität gemäß der „Eastern Cooperative of Oncology Group“, ECOG, ähnlich dem Karnofsky-Index). Die Patienten wurden randomisiert (1:1) in zwei Gruppen zu je 34 Patienten eingeteilt. Eine Gruppe erhielt eine Radio(Chemo)therapie (Dosis 70 Gy, plus Chemotherapie bei Lymphknotenbefall cN1-2); die andere Gruppe erhielt eine Operation plus Neck Dissection (TORS+ND), gefolgt von einer Strahlentherapie mit oder ohne zusätzliche Chemotherapie bei bestimmten wohl-definierten Risikofaktoren (abhängig von der Gewebeuntersuchung). Die mediane Nachbeobachtungszeit lag in der Strahlentherapie-Gruppe bei 25 (2033) Monaten und in der TORS+NDGruppe bei 29 (23–43) Monaten.
Der primäre Endpunkt war die Lebensqualität nach einem Jahr, bezogen auf eine fortbestehende Beeinträchtigung des Schluckvermögens, gemessen mittels MDADIScore („MD Anderson Dysphagia Inventory“). Der Fragebogen umfasst Themen wie veränderte Essgewohnheiten oder Anstrengung beim Schlucken, auch ob etwas gar nicht mehr geschluckt werden kann, Häufigkeit von Verschlucken/Husten, Gewichtsverlust, Einfluss der Schluckstörungen auf das tägliche Leben, Sozialleben, Aktivitäten und Ausgehverhalten sowie das Berufsleben/ Verdienstminderung. Der Score geht von 20 bis 100 (schlechteste bis normale Schluckfunktion).
Ein Jahr nach der Therapie betrug der mittlere MDADI-Score für Schluckstörungen (Dysphagie; je höher der Wert lag, desto weniger Schluckstörungen lagen vor) in der Strahlentherapie-Gruppe 86,9 (SD 11,4) und in der TORS+ND-Gruppe 80,1 (SD 13,0). In der Strahlentherapie-Gruppe gab es gegenüber der TORS+NDGruppe häufiger Blutbildveränderungen mit erniedrigten weißen Blutkörperchen (Neutropenie: 6/34 vs. 0/34 Patienten), Hörminderung (13 vs. 5), Tinnitus (12 vs. 2) und Schleimhautentzündungen (4 vs. 0 Patienten mit Mukositis Grad 3). In der TORS+ND-Gruppe war dagegen eine drittgradige Dysphagie häufiger (9 vs. 6 Patienten) sowie Krämpfe der Unterkiefer-Kaumuskulatur (9 vs. 1 Patient); ein Patient verstarb nach der Operation an Blutungskomplikationen; daher wurde bei den operierten Patienten dringend ein permanenter Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) empfohlen. Bei operierten Patienten war darüber hinaus häufiger ein subjektives Schwächegefühl vorhanden (11 vs. 4 Patienten). Insgesamt waren also in der Strahlentherapie-Gruppe Schluckstörungen und Krämpfe der Kaumuskulatur seltener als nach der Operation. Der Unterschied von knapp 7 Punkten im Dysphagie-Score (86,9 vs. 80,1) war zwar statistisch signifikant (p=0,042), als klinisch bedeutsam gilt jedoch erst ein Unterschied von 10 Punkten. Die Autoren der Studie fordern, dass alle Patienten immer über beide Therapieoptionen informiert werden sollten.

Dr. Bettina Albers