Kongress: Implantate und Kiefergelenkserkrankungen – eine komplizierte Beziehung

Die Beziehung zwischen Erkrankungen der Kiefergelenke und Implantaten sind bislang kaum ein Thema in der Implantologie gewesen. Das ändert sich auf dem 32. Kongress der DGI, der in Wiesbaden stattfindand. Prof. Dr. Peter Rammelsberg, Heidelberg, beleuchtet in seinem Eröffnungsvortrag diese komplizierte Verbindung.

Zahnärzte beschäftigen sich eher selten mit Implantologie und Störungen des Kiefergelenks gleichermaßen. „In manchen Lehrbüchern steht sogar, dass Kiefergelenksprobleme oder eine Okklusionsproblematik eine Kontraindikation für Implantate seien“, sagte Prof. Dr. Peter Rammelsberg, ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Heidelberg. Er sieht diese Beziehung differenzierter: „Auch Patienten mit Kiefergelenksproblemen können von Implantaten profitieren:“ Schließlich könnten Patienten immer beides haben – einen Bedarf an Implantaten und gleichzeitig Probleme am Kiefergelenk oder Probleme im Kaumuskelbereich.“ Dies gilt auch für Patienten, die mit den Zähnen knirschen. Zwar wird der Bruxismus nicht zu den Kiefergelenkserkrankungen gerechnet, steht jedoch gleichwohl mit diesen in Beziehung. Knirschen kann Auswirkungen auf das Kiefergelenk haben. „Bruxismus ist ein Risikofaktor, der vor allem technische Komplikationen erhöht, aber er ist keine Kontraindikation für Implantate“, betonte Professor Rammelsberg. Wenn Patienten, die knirschen, mit implantatgetragenem Zahnersatz versorgt werden, müsse der Zahnarzt stabile Materialien für den Zahnersatz wählen und diese auch auf einer stabilen Abstützung auf Implantaten einbauen. Dann seien, so die Erfahrung des Experten, die erhöhten Risikofaktoren verantwortbar. Man könne das Risiko noch weiter reduzieren indem keine Verblendmaterialien auf die Kauflächen gepackt würden, sondern hochfeste Hochleistungskeramiken oder Metall.

Wenn es im Gelenk knackt

Strukturelle Kiefergelenkserkrankungen heilen nicht richtig aus, im Sinne einer Wiederherstellung von idealen anatomischen Verhältnissen. Ein Beispiel dafür ist die Verlagerung der Knorpelscheibe (Diskus) im Kiefergelenk. Diese Gelenkscheibe kann aus ihrer normalen Position herausrutschen. Wenn sie bei der Mundöffnung wieder zurückgleitet, knackt es im Kiefergelenk. Wenn dies nicht mehr geschieht, kann eine schmerzhafte Kieferblockade der Fall sein. „Eine Diskusverlagerung verschwindet als solche nicht, auch wenn die funktionellen Einschränkungen und die Gelenkschmerzen im Zuge von Anpassungsvorgängen im Kiefergelenk meist abklingen“, sagte Professor Rammelsberg. „Wenn derart betroffene Patienten eine Implantatbehandlung benötigen, wird die Verlagerung dadurch natürlich nicht beeinflusst. Es ist dann ein Implantatpatient mit Diskusverlagerung.“ Gleichwohl wissen die Experten aus Untersuchungen, dass eine stabile Seitenzahnabstützung zur Entlastung der Kiefergelenke hilfreich sein kann, selbst wenn die Diskusverlagerung dadurch natürlich nicht geheilt werden kann. Schwieriger ist es bei myofaszialen Schmerzen, die bei zwei Drittel der Patienten mit schmerzhafter Kaumuskulatur einen chronischen oder wiederkehrenden Verlauf nehmen. „In solchen Fällen ist eine sorgfältige Diagnose entscheidend“, betont Professor Rammelsberg. Man dürfe jedoch nicht erwarten, dass die Erkrankung aufgrund einer Implantattherapie verschwindet. Dennoch können auch bei diesen Patienten Implantate zur Verbesserung der Kaufunktion nötig werden.

CMD-Patienten: Screening obligat

„Bei Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) machen wir stets ein psychosomatisches Screening im Verlauf der Diagnostik“, erklärte Professor Rammelsberg. Bei einer ausgeprägten psychosomatischen Belastung versuchen die Experten, Implantate zu vermeiden oder zumindest aufzuschieben. Sollten Implantate zur besseren Abstützung von Brücken oder Prothesen dennoch dringlich werden, so muss der Zahnarzt den Patienten darüber aufklären, dass durch die Implantattherapie weder eine Besserung der Kiefergelenk- oder Kaumuskelproblematik noch der häufigen unspezifischen Beschwerden zu erwarten ist. Und noch einen Rat für seine Kollegen hat der Experte: „Manche Kollegen meinen, dass sie eine Beschädigung des Implantats vermeiden, wenn sie die Kaufläche mit „weichen“ Kunststoff verblenden. Aber alles, was durch langfristige Verschleißbeständigkeit eine stabile statische Okklusion sichert, entlastet die Gelenke.“ Natürlich dürfe man keine harte Zirkoniumdioxidkeramik nehmen und sie nicht sorgfältig einschleifen. Doch bei präzisem Einschleifen und sorgfältiger Politur der Kauflächen, sei das stabilere Material besser. Die Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich e.V. (DGI) ist mit mehr als 8.500 Mitgliedern – aus den Bereichen Zahnmedizin, Oralchirurgie sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – die größte wissenschaftliche Gesellschaft im Bereich der Implantologie in Europa und die zweitgrößte weltweit. Als einzige implantologische Fachgesellschaft ist sie auch Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Markenzeichen der DGI ist die enge Kooperation von Praktikern und Hochschullehrern. Deren gemeinsames Ziel ist die schnelle Umsetzung gesicherten Wissens und neuer Erkenntnisse in die Praxis durch ein differenziertes Fortbildungsangebot – zum Nutzen von Patientinnen und Patienten.

Dipl. Biol. Barbara Ritzert,
Pro Science Communications