Neue Serie – Teil 4 Antibiotikahygiene – verantwortungsvolle Aufgabe der Zahnmedizin

Die antibiotische Prophylaxe vor der Durchführung schleimhautdurchdringender und oralchirurgischer Eingriffe wirft aufgrund der häufig uneinheitlichen Angaben zahlreiche offene Fragen auf.

Klare Richtlinien existieren lediglich für die Endokarditisprophylaxe bei Patienten mit definierten Herzerkrankungen. Die Beurteilung der Notwendigkeit einer Prophylaxe bei anderen Krankheitsbildern wie konsumierenden Erkrankungen, immunologischen Einschränkungen und bei Patienten mit Gelenksendoprothesen obliegt im Einzelfall der Beurteilung des behandelnden Zahnarztes. Patienten unter oder unmittelbar nach Chemo- oder Radiotherapie, ebenso wie Patienten unter immunsuppressiver Behandlung, bedürfen immer einer antibiotischen Abschirmung. Auch Personen mit Autoimmunerkrankungen und Rheuma unter Langzeit-Cortisontherapie sind als gefährdet einzustufen. Ein Sonderfall ist die systemische Bisphosphonattherapie bei Knochentumoren, Metastasen oder bei schwerer Osteoporose. Hier können zahnärztliche Eingriffe ohne entsprechende Antibiotikaprophylaxe zu einer aseptischen Kiefernekrose führen. In Einzelfällen können besonders bei älteren nicht mehr vollständig immunkompetenten Patienten Gelenksendoprothesen an Hüfte und Knie zu einer Gefahrenquelle werden. Eine massive Bakteriämie fördert die Ausbildung von Biofilmen auf dem Prothesenmaterial. Mikrobiologische Untersuchungen von schweren Infektionen an Gelenksprothesen wiesen bis zu 15 verschiedene orale Keime als Verursacher nach.

Prophylaxe schützt vor systemischen Infektionen

Selbstverständlich ist die Prophylaxe strikt von einer kurativen Antibiose zu unterscheiden. Während sich erstere gegen potenziell pathogene Keime und deren Auswirkung auf die Mundgesundheit richtet, dient die Prophylaxe ausschließlich dem Schutz des Gesamtorganismus vor den Auswirkungen einer iatrogen induzierten Bakteriämie durch orale Mikroorganismen. Es ist zu bedenken, dass diese bakteriellen Gemische bei Einschwemmung in das Blut organisch gesunder Menschen etwa 45 Minuten persistieren, bevor sie vom Immunsystem eliminiert werden. Bei Versagen der Abwehrmechanismen und beim Angebot von besiedelungswürdigen Substraten, wie etwa prothetischen Kunststoffen und Metallen, kann es aber zu schweren Infektionen bis zur Sepsis kommen. Die Entscheidung für eine Antibiotikaprophylaxe orientiert sich also sowohl am Gesamtgesundheitszustand des Patienten als auch an der Dauer und Invasivität der geplanten Intervention. Bei gefährdeten Patienten sind hierbei besonders Eingriffe wie Wurzelspitzenresektionen, Weich- und Hartgewebsaugmentationen, Scaling, Root Planing, Setzung von Implantaten sowie alle Eingriffe in der Kieferhöhle anzusehen. Die Prophylaxe wird als „One-Shoot-Gabe“ eine Stunde vor dem geplanten Eingriff verabreicht. Sollte die zahnmedizinische Intervention länger als drei Stunden in Anspruch nehmen, muß eine weitere Dosis gegeben werden.

Prophylaxe für Risikopatienten

Die von der New York Heart Association vorgegeben Richtlinien sind nicht nur für kardiale Patienten, sondern auch für alle als „gefährdet“ einzustufenden Personen gültig: Erwachsene Personen: 2g Amoxicillin oder 2g Cefalexin; bei nachgewiesener Penicillinallergie werden alternativ 600mg Clindamycin oder 500mg Clarythromycin verabreicht. Etwas modifiziert ist die Empfehlung der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde), welche eine Gabe von 3x750mg Amoxicillin vor der Intervention und optional eine weitere 750mg-Dosis eine Stunde nach dem Eingriff vorgibt. Bei Penicillinallergie können wahlweise entweder 1g Cefuroxim oder 600mg Clindamycin oder 500mg Clarythromycin gegeben werden. Bei Kindern ist selbstverständlich eine entsprechende Dosisanpassung notwendig. Diese entspricht 50mg Amoxicillin oder 20mg Clindamycin jeweils pro Kilogramm Körpergewicht. Besonders gefährdet sind Personen nach vorangegangener bakterieller Endokarditis oder nach biologischem oder mechanischem Herzklappenersatz mittels alloprothetischen Materials. Weiters ist eine strikte Prophylaxe bei angeborenen zyanotischen Herzfehlern ohne systemische Shuntoperation oder nach nur palliativer Operation, bei residualen Herzfehlern nach korrigierender Operation, Conduits und Gefäßprothesen vorgesehen. Hohes Komplikationsrisiko besteht auch bei Patienten innerhalb der ersten sechs Monate nach Klappenrekonstruktion mit Fremdmaterial sowie bei Insuffizienz oder Prolaps der Mitralklappe. Keine unbedingte Prophylaxeindikation sind hingegen Klappenstenosen, Vorhofseptumdefeke vom Sekundumtyp, operativ vollständig sanierte Vitien, alle nicht-zyanotischen Herzfehler sowie Zustand nach Herzschrittmacher- oder Bypassoperation.

Kurative Antibiose als ergänzende Maßnahme

Im Einzelfall sollte aber dennoch eine mögliche Antibiotikagabe sorgfältig abgewogen werden. Besonders wenn beim Patienten massive orale oder parodontale Entzündungen bestehen, können auch bei geringerer primärer Gefährdung Probleme auftreten. Hier empfiehlt sich im unmittelbaren Anschluss an die eigentliche Prophylaxe eine keimorientierte kurative Antibiose. Eine längere Fortführung der Prophylaxe-Antibiotika ist nicht sinnvoll, da diese in erster Linie gegen die Bakterien der normalen Mundflora wie Streptokokken der Viridansgruppe gerichtet ist. Besonders problematisch sind die Keime der HACEK-Gruppe, welche die sogenannte „kulturnegative Endokarditis“ verursachen können. Die beteiligten Keime Haemophilus parainfluenzae, Aggregatibacter actinomycetem-comitans, Cardiobacterium hominis, Eikenella corrodens und Kingella kingae gehören alle zur oralen Flora und zur Rachenflora. Die Bezeichnung rührt davon, dass sie nur schwer zu kultivieren sind und auf Nährböden sehr langsam aufwachsen. Aber auch zahlreiche Anaerobier, allen voran Porphyromonas gingivalis, finden sich häufig in mikrobiellen Absiedelungen am Herzen und an inneren Organen. Prophylaktische Antibiose in der Zahnmedizin erfordert vom Behandler einiges an Fingerspitzengefühl und vor allem eine umfassende Kenntnis des Gesundheitszustandes seines Patienten. Die Kenntnis einschlägiger Befunde und Abklärung möglicher Risiken hilft, unnötige Komplikationen zu vermeiden.

Ch. Eder. L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER
FA für Pathologie und
Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at