Modeerscheinung: Das Mikrobiom - Haustierchen oder heimliche Herrscher?

Unsere symbiontischen Keime sind in Mode gekommen – kein Werbeblock ohne probiotisches Joghurt oder spezielle Darmkeimmischungen für die verschiedensten Wehwehchen. Einige werden von Freundinnen mit Verdauungsstörungen und Blähbauch empfohlen, andere widmen uns den neuesten Krimi …

Wer meine Artikel fleißig liest, dem wird aufgefallen sein, dass auch ich bei zahlreichen Indikationen eine Symbioselenkung empfehle. Das beginnt bei Schreibabys, geht weiter über myofunktionelle Probleme bei Kindern, Allergien und Unverträglichkeiten aller Art bis hin zu spezifischen Zahnproblemen. Materialprobleme, toxisch oder allergisch, chronische Entzündungen, Parodontalerkrankungen oder Kiefergelenksstörungen, jegliche Immunstörung und alle Bindegewebsprobleme hängen mit dem Zustand unseres Verdauungsapparates zusammen.
Am Anfang standen Versuche, durch eine Milieuänderung schlechte Keime auszuhungern und gute wieder anzusiedeln. Die eingesetzten Maßnahmen waren Entsäuerung, Entgiftung und Entlastungsdiäten. Sanummittel sollten negative Keime wieder in physiologische Urformen zurückführen. Sehr beliebt waren auch angegorene Milchprodukte wie Joghurt, Kefir … Das funktionierte zuerst gut. Ziemlich zeitgleich stiegen dann einerseits der Einsatz von Antibiotika und Hormonpräparaten in der Medizin und andererseits die Zugabe von Konservierungsmitteln in der Nahrung rapide an. Schließlich wurde offiziell, dass Antibiotika natürlich auch unsere Darmkeime bekämpfen. Die erste (und letztendlich sehr sinnvolle) Maßnahme war die Empfehlung, bei durch Antibiotika verursachtem Durchfall Joghurt zu verzehren, später dann wurden Milchsäurepräparate und Bifiduskapseln verordnet.
Die Forschung ging weiter, die Präparate wurden immer ausgeklügelter. Die Zubereitung wurde verfeinert: Die Keime wurden haltbar gemacht und können durch das Quellen in Wasser wieder zum Leben erweckt werden. Spezielle Aufgaben unterschiedlicher Keime wurden analysiert, die Mischungen wurden dann so kombiniert, dass sie Stressfolgen mindern oder bei der Gewichtsreduktion helfen können. Und die Keimkonzentration wurde erhöht. Diese ausgeklügelte Technik schlägt sich natürlich im Preis nieder. Leider werden aber nicht alle Erwartungen der Patienten erfüllt; relativ viele Patienten berichten, dass trotz Einnahme von Keimmischungen die Durchfälle eher schlimmer werden.

Darmflora-Studien

Es gibt Studien, dass sich auch nach völliger Eradikation der Darmkeime beim einzelnen Patienten immer wieder die Darmflora einstellt, die in den ersten Tagen nach der Geburt entstanden ist. Das sollten wir bedenken, wenn Neugeborene gezuckerte Tees und Fertigbabynahrung bekommen. Stillen und intensiver Hautkontakt mit der Mutter impfen die Zwerge auch mit erwünschten, gut verträglichen Symbionten. Übertriebene Krankenhaushygiene (z.B. Desinfektion der Brustwarzen) ist hier kontraproduktiv. Es gibt übrigens ein Beispiel aus dem Tierreich: In Australien gibt es Baumkängurus und eine Tierfreundin, die Jungtiere aufzieht, wenn die Mütter überfahren wurden. Damit sie überleben, flößt sie ihnen Mageninhalt der verunfallten Muttertiere ein – ohne diese unappetitliche Aktion können die Kleinen die Nahrung nicht aufschließen und sterben.
Dass auch im späteren Leben immer wieder dieselben Keimstämme stabil anwachsen, hängt mit dem Immunsystem zusammen, das erkennt, welche Bakterien nicht fremd (und damit potenziell pathogen) sind. Führt man jetzt solch eine hochkonzentrierte Supermischung zu, wachsen viele nicht erkannte Keime nicht an – der Durchfall steigert sich eher.
Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Experimente der Mikrobiomtransplantation: Schwerkranken Intensivpatienten wurde ein Stuhltransplantat von eng verwandten Kindern eingesetzt. Diese Flora wuchs sehr gut an. Die Schleimhaut erholte sich, Resorption von Nahrung war wieder möglich und das Immunsystem funktionierte wieder.
Schon lange bestehende Verdauungsstörungen sind vergesellschaftet mit dem Leaky Gut Syndrom, d.h. mit einer nicht dichten Darmschleimhaut. Schadstoffe können diffundieren: Große Nahrungsbruchstücke, Keime, Toxine. Die für Entgiftung und Funktion der Darmwand wichtigen Vitalstoffe werden nicht ausreichend resorbiert – es entsteht ein Teufelskreis.
Vor der Verabreichung der erwünschten Keime muss die Funktion der Schleimhaut wiederhergestellt werden.
Eine routinemäßige Reinigung ist bei Patienten mit Durchfällen nicht nötig, bei Verstopfung hingegen wichtig. Eine Entlastungsdiät (kein Vollkorn oder Rohkost) und Meiden von bekannt unverträglichen Nahrungsmitteln für einige Wochen ist sinnvoll. Wesentlich ist die Beruhigung der entzündlich veränderten Darmschleimhaut. Betroffen sind meist große Abschnitte des Dickdarms. Das ist die Domäne der Omega-3-Fettsäuren (Leinöl, Fischöl oder Krillöl, etwa 2x1000 mg).
Die Aminosäure L-Glutamin kann die feste Verbindung zwischen den Darmzellen wieder herstellen (tight junctions) – ½ Stunde vor dem Essen 1 Kapsel mit 250mg (3xtgl.).
Nach kinesiologischem Test oder Laborwerten zusätzlich Zink (als Schlüsselmineral für zahlreiche Enzyme), Vitamin B1 (für die neuronale Vernetzung der Darmzellen) und Lebermittel (durch Gärung im Darm kommt es oft zu nichtalkoholischer Fettleber). Besonders gut verträglich sind Mariendistelpräparate.
Nach etwa drei Wochen ist die Zufuhr von Darmkeimen sinnvoll. Am allerbesten wären tatsächlich möglichst natürliche Milchpräparate. Praxisgerecht sind die „alten“ Aufbaupräparate, weil sie noch eine naturnahe Zusammensetzung haben. Im Test passen meist Symbiolact compositum, Hylak, Bioflorin, Omniflora … Die hochgezüchteten Präparate enthalten spezielle Keimkulturen, die nicht absolut der natürlichen Flora entsprechen, und werden gerade von stark betroffenen Patienten schlecht vertragen. Am ehesten toleriert werden die Kinderpräparate, und selbst bei diesen kann man mit der halben Dosis arbeiten.
Sinnvoll ist die Anwendung der Keimmischungen nach dem Essen, dann siedeln sich die Keime am besten an und verursachen keinen neuen Durchfall.
Immer noch gilt die Empfehlung, eine spezielle Mischung etwa vier Wochen einzunehmen, dann sollte ein anderes Präparat verwendet werden. Je nach Schwere der Erkrankung dauert es drei bis sechs Monate, bis sich aus dem reichlichen Angebot das individuell passende Mikrobiom wieder herausgebildet hat. Dieses ist dann eigentlich recht stabil. Dauerstress und unreflektierte Fehlernährung über längere Zeit verändern aber die Lebensbedingungen im Darm und begünstigen wieder Gärungsbakterien und Pilze, bis wieder Beschwerden auftreten und eine neue Kur notwendig wird.

MR Dr.
EVA-MARIA HÖLLER

Zahnärztin und
Kieferorthopädin in Wien
Schwerpunkt: Komplementärverfahren
Gerichtlich beeidete Sachverständige
mit Zusatzbezeichnungen
Kieferorthopädie und
Komplementärverfahren
ordi.hoeller@aon.at

Am besten funktioniert Joghurt, auch laktosefrei oder vom Schaf