Für den Zahnarzt: Verantwortungsbewusste Antibiotikagabe - eine Herausforderung

Die Verschreibung oraler Antibiotika zur Therapie bakteriell verursachter oraler Entzündungen ist heute auch in der Zahnarztpraxis Standard. Dennoch sind viele Parameter, wie die Auswahl des geeigneten Wirkstoffes, die zu verabreichende Dosis und die optimale Dauer der Therapie, nicht ausreichend definiert.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Medikamenten ist angesichts der zunehmenden Resistenzen der Keime dringend erforderlich. Der größte Anteil der Antibiotika, nämlich an die 75%, wird im niedergelassenen Bereich, zu welchem auch die Zahnärzte zählen, verschrieben. In den vergangenen zehn Jahren ist es nicht zuletzt durch allzu sorglosen Umgang mit diesen Medikamenten zu einer erheblichen Zunahme von resistenten Bakterienstämmen gekommen. Durch häufige, unreflektierte Gaben bestimmter Substanzklassen wird auf die Krankheitserreger ein stetiger Selektionsdruck ausgeübt. Dadurch kommt es zu einer Auslese von Keimen mit entsprechenden Resistenzgenen. Diese können dann innerartlich und teilweise sogar zwischen verschiedenen Spezies weitergegeben werden, wodurch ganze Kollektive resistenter Bakterien entstehen. Während vor nicht allzu langer Zeit solche Mechanismen vor allem bei den grampositiven Infektionserregern wie koagulasepositive Staphylokokken mit dem methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) auftraten, sind heute in zunehmendem Maß die gramnegativen Keime betroffen. Hier kommen vor allem die Resistenzen gegen sämtliche Betalactamantibiotika, aber auch vermehrt gegen Fluorchinolone zu tragen. Auch die sogenannten Reserveantibiotika weisen inzwischen breite Lücken in ihrer Wirksamkeit auf.
Eine adäquate problemorientierte Verschreibung sowie sachgerechte Anwendung von antibiotischen Substanzen ist daher die wichtigste Voraussetzung zur Erhaltung der Wirksamkeit dieser wertvollen Arzneimittel.

Nicht selektiver Antibiotikaeinsatz führt zu steigenden Resistenzraten

Im zahnärztlichen Bereich stellt vor allem die Vielzahl unterschiedlicher potenziell pathogener Mikroorganismen das Hauptroblem bei der Wahl eines geeigneten Antibiotikums dar. So sind allein bei odontogenen Abszessen mindestens 2–5 Erreger beteiligt; bei aggressiver Parodontitis oft sogar eine noch größere Artenzahl. Eine Analyse des Keimspektrums und die Erstellung eines Antibiogramms können hier eine sehr wertvolle Hilfe sein.
Für spezielle Fragestellungen der Zahnmedizin existieren kaum umfassende Darstellungen der Resistenzsituation. Verbindliche Daten gibt es nur für stationär behandelte Patienten mit orofazialen Abszessen oder Osteomyelitiden. Besonders für Clindamycin hat sich Studien zufolge die Resistenzrate sowohl für Aerobier als auch Anaerobier seit 2005 deutlich erhöht. Doxycyclin, Makrolide wie Erythromycin und ß-Lactamantibiotika weisen ebenfalls hohe Resistenzen auf. Die Selektion resistenter Erreger ist vor allem auf den zu häufigen Einsatz von Breitbandantibiotika zurückzuführen. Verursacher sind dabei nicht nur die von Zahnärzten verschriebenen Medikamente. Auch im allgemeinmedizinischen und im HNO-Bereich werden bei diversen, oft fälschlicherweise sogar bei viralen Infektionen, Antibiotika verordnet. Diese wirken aber nicht nur am Ort ihrer Bestimmung, sondern verändern auch das natürliche Mikrobiom der Mund- und Darmflora. Dies fördert die Entstehung atypischer, hoch resistenter Keimspektren, vor allem bei vorbestehenden chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Parodontitis und anderen odontogenen Infektionen.

Kurative Antibiose und Prophylaxe verfolgen unterschiedliche Ziele

Häufig ergeben sich Unklarheiten bezüglich der Unterscheidung zwischen kurativer und prophylaktischer Antibiotikagabe. Während erstere zur Unterstützung der  Sanierung einer bestehenden Infektion dient, wird die Prophylaxe bei Risikopatienten vor bestimmten zahnärztlichen oder oralchirurgischen Eingriffen zur Vermeidung postoperativer Infektionen gegeben. Sie soll den Gesamtorganismus vor gefährlicher Keimaussaat in die Blutbahn schützen und Komplikationen an vorgeschädigten Organen vermeiden, hat aber keinen Einfluss auf eine bestehende infektiöse orale Erkrankung. Bakteriämien treten nach Zahnextraktionen, Wurzelspitzenresektionen, Zystenexstirpationen und allen mit Perforation der Mundschleimhaut einhergehenden Eingriffen auf. Bei entsprechend hoher Keimbelastung genügen auch kleinere Manipulationen wie professionelle Mundhygiene und deep scaling zur Auslösung einer zunächst passageren Bakteriämie. Während bei immunologisch und organisch Gesunden die Erreger durch die natürliche Abwehr rasch eliminiert werden, kann es bei bestehenden Vorerkrankungen zu schweren Schäden bis zur Sepsis kommen.
Für die Endokarditisprophylaxe bei Patienten mit definierten Herzerkrankungen gibt es sowohl hinsichtlich der Indikation als auch der Dosierung klare Richtlinien vonseiten der WHO und der American Heart Association. Daneben muss im Einzelfall eine Prophylaxe auch für eine Reihe anderer Indikationen angedacht werden. Die prophylaktische Antibiose erfolgt ganz im Gegensatz zur therapeutischen Verabreichung als „One-Shot-Gabe“, ca. eine Stunde vor der geplanten zahnärztlichen Intervention. Bei einer Eingriffsdauer von mehr als drei Stunden muss eine weitere Dosis gegeben werden.

Gezielte vs. kalkulierte Therapie

Die systemische orale Antibiotikagabe wird hingegen als eine Ergänzung mechanischer Interventionen oder chirurgischer Eingriffe zur Eliminierung von Infektionserregern in oralen Läsionen verabreicht. Eine gezielte, am verursachenden Keimspektrum orientierte Therapie basiert auf dem mikrobiologischen Befund und einer Resistenztestung. Sie ist einer kalkulierten Antibiotikagabe vorzuziehen. Notfälle mit raschem Interventionsbedarf wie schwere ulzerierende Gingivitis/Parodontitis oder Eiterungen im Zahn-/Kieferbereich rechtfertigen selbstverständlich auch eine sofortige kalkulierte Therapie. In jedem Fall gelten für adjuvante Antibiotikagaben einige wichtige Richtlinien:
1. Wirksamkeit gegen vorhandene Erreger
2.Gute Verfügbarkeit, Sulkusgängigkeit und Anreicherung des Wirkstoffes im Gewebe
3. Möglichst schmale, keimorientierte Therapie zu Schonung der gesunden Platzhalteflora. Merksatz: So schmal wie möglich – so breit wie notwendig. Keimbegrenzung statt Keimeliminierung
4. Ausreichende Dosierung des Wirkstoffes – Unterdosierung fördert Resistenzbildung
5. Ausreichende Dauer der Antibiose – Patientencompliance abschätzen!
6. Bei der Therapie parodontaler Entzündungen muss die adjuvante Antibiotikagabe zeitgleich mit dem Aufbrechen des Biofilms durch mechanische Sulcusreinigung erfolgen
7. Beachtung patientenspezifischer Faktoren: Allergien und Unverträglichkeiten, Nieren- und Leberfunktionsstörungen etc.

Ch. Eder, L. Schuder

DDr. CHRISTA EDER

FA für Pathologie und
Mikrobiologin
eder.gasometer@chello.at