Eingespeichelt - Dr. Haririan über Speichel und Speicheltests

„Speichel stört uns Zahnärzte beim Arbeiten und wird weggesaugt“, so Univ.-Ass. Dr. Hady Haririan, Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie der Universitätszahnklinik Wien. „Wir denken zu wenig daran, welch wichtige physiologische Funktionen Speichel hat und wie er als Screening-Instrument genutzt werden könnte“. ZMT sprach mit Dr. Haririan, der auch Vorstandsmitglied der ÖGP und Österreichischer EFP (European Federation of Periodontology)-Delegierter ist.

Könnten Sie bitte einen kurzen Überblick über unser Thema – den Speichel – geben?

HARIRIAN: Speichel enthält neben Amylase (zur Vorverdauung), Mucinen und Mineralstoffen weitere Enzyme sowie diverse Proteine und Peptide. Enthalten sind etwa Peptide, die die Wundheilung fördern. Jeder weiß ja, wie schnell im Mund eine Wunde heilt. Zum Teil ist die Funktion der Proteine und Peptide nicht genau bekannt. Auch antimikrobielle Proteine sind im Speichel zu finden.
Die Bedeutung des Speichels sieht man etwa bei TumorpatientInnen, wenn durch die Bestrahlung weniger Speichel produziert und die Schleimhaut nicht gut befeuchtet wird. Es kommt zu Gingivitis und Missempfindungen. Auch bei Mundatmern wird die Schleimhaut nicht gut befeuchtet. Speichel ist auch wichtig für die mechanische Clearance und beugt so Karies vor.
Im Speichel finden sich über 1.000 verschiedene Mikroorganismen. Es ist wichtig, dass sie in Symbiose leben und es nicht zu einer bakteriellen Dysbalance kommt. Eine Gingivitis ist noch reversibel, die Herausforderung liegt darin, zu erkennen, wann sie in eine Parodontitis übergeht. Hier wäre es sehr günstig, einen Marker (im Speichel) zur Verfügung zu haben. Mit der Paro-Sonde hinkt man immer der Entwicklung hinterher, bei einer Taschentiefe von 6mm ist Gewebe unwiederbringlich verloren. Eine „chemische Keule“ – antibakterielle Mittel – sollten mundgesunde Patienten übrigens nicht jeden Tag einsetzen.
Die Speichelflussrate nimmt im Alter ab, hinzu kommt oft eine Polypharmazie. Etliche Medikamente, z.B. Antidepressiva oder Antihypertonika, verringern den Speichelfluss. Dieser ist auch bei Rauchern reduziert. In der Anamnese sollte man immer nach trockenem Mund und Brennen fragen. Man merkt es auch bei der Behandlung, dass man bei einem Patienten mit Xerostomie deutlich weniger absaugen muss.
Nicht unerwähnt soll noch bleiben, dass Speichel für den Zahnarzt und sein Team auch eine Infektionsquelle darstellt (speziell Hepatitis).

Wie weit ist die Entwicklung bei verschiedenen Speicheltests?

HARIRIAN: Speichel ist zweifellos ein diagnostisches Medium. Die Medizin ist hier weiter als die Zahnmedizin. Es gibt etwa einen HIV-Speicheltest (Oraquick) mit hoher Sensitivität und Spezifität, und auch Brustkrebsmarker wurden schon im Speichel gefunden. Auch der Nachweis von Drogen ist im Speichel möglich. Ich denke, für Entzündungen im Mund wird es letztlich mehr als einen Biomarker geben. In einer im Februar publizierten Arbeit konnten wir zeigen, dass Calprotectin im Speichel durchaus geeignet ist, Patienten mit Parodontitis von gesunden Individuen abzugrenzen (Haririan et al., J Periodontol 2016 Feb; 87: 184–192).
Obwohl sich Parodontitis und Diabetes gegenseitig (negativ) beeinflussen, denken sowohl Zahnärzte als auch Allgemeinmediziner und Internisten zu wenig an diesen Zusammenhang. Es wäre aber durchaus naheliegend, einem adipösen Patienten mit Parodontitis eine Gesundenuntersuchung ans Herz zu legen, um so einen eventuellen Diabetes aufzudecken. Ideal wäre es natürlich, wenn es einen Speicheltest auf Diabetes gäbe. Erste Ansätze dazu existieren. Der Speichel könnte so als Screening-Instrument für Allgemeinerkrankungen und für Erkrankungen der Mundhöhle fungieren.
Generell haben Speicheltests bisher aber den Durchbruch nicht geschafft. Wenn man an einem Labor vorbeikommt, liest man von Blut-, Harn und Stuhluntersuchungen, nie von Speicheltests. Es ist natürlich sicher einfacher, das Serum zu untersuchen, da die Konzentrationen im Speichel deutlich geringer sind. Warnen möchte ich davor, Speichel zur DNA-Analyse irgendwohin zu schicken. Was hilft mir z.B. das Wissen, ein erhöhtes Risiko für verschiedene Erkrankungen zu haben? Es besteht auch immer die Gefahr, dass die Daten in falsche Hände (Krankenversicherungen, Arbeitgeber) gelangen. In anderen Ländern gibt es auch die Möglichkeit, Knochenmarksspender über Speichelproben zu finden, das erscheint mir sinnvoll.

Wie sehen Sie die Zukunft der Speicheltests?

HARIRIAN: Wir führen derzeit gemeinsam mit dem AKH eine Analyse des gesamten Speichelproteoms durch. Man sieht, dass es z.B. bei manchen systemischen Erkrankungen ein bestimmtes Proteinmuster im Speichel gibt. Für orale Erkrankungen wurde bisher kein entsprechendes Muster gefunden. Solche Untersuchungen sind aufwändig und man muss auch bedenken, dass jeder Mensch über ein individuelles Proteom verfügt. Insgesamt denke ich, die Entwicklung geht in die Richtung, dass man am Point of Care/chairside entsprechende Speicheltests durchführen wird.

Herzlichen Dank für das Interview!

Dr. PETER WALLNER

Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

Univ.-Ass. Dr. Hady Haririan - Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie
der Universitätszahnklinik Wien