Ein kurioser Fallbericht - Wichtigster Grundsatz: Alles selbst überprüfen!

Die 48-jährige Patientin kommt vom Allgemeinmediziner, sie hat eine lange Leidensgeschichte und war schon „überall“. Aktuelle Beschwerden: Schmerzen im linken Unterkiefer ausstrahlend zum Ohr. Der Molarenbereich schwillt alle paar Wochen bis zur Mundsperre an. Besonders im Frühjahr und im Herbst gibt es heftige Beschwerden. 

Zweimal pro Jahr bekommt sie Antibiotika, darauf stellt sich stets eine vorübergehende Besserung ein. Einmal hat sie ganze vier Monate Augmentin genommen, aber auch das hat nicht nachhaltig geholfen. Zwei Monate Dalacin waren auch nur eine Zeitlang erfolgreich. Da die Patientin auch an Vorhofflimmern leidet, sind die Internisten sehr großzügig mit Antibiotika. Im Lymphozytenstatus gibt es Hinweise auf eine chronische Entzündung mit Immundepression. Dazu passend sind Eisen und Zink erniedrigt.

Vorgeschichte

Vor zwölf Jahren wurde zuerst 38 extrahiert, dann 36. Aber im linken Unterkiefer kehrt keine Ruhe ein. Gute Allgemeinmediziner und Zahnärzte raten unisono zu operativer Sanierung, die vor zehn Jahren auch durchgeführt wird. In einer Privatklinik wird großzügig ausgefräst und mit Knochenersatzmaterial mit Vancomycin aufgefüllt. Die Histologie spricht von zwei Regionen mit zwei bzw. sieben Millimeter Durchmesser und sklerosierender Osteomyelitis – also eigentlich ein Befund wie bei einem Heilungsvorgang. Nach der Operation nimmt Frau M. ein dreiviertel Jahr Ciproxin ein. Sie macht auch Physiotherapie, Lymphdrainage und Akupunktur, in einer Schmerzklinik und als Kur. Und sie bringt mir einen Stapel Vorbefunde, darunter ein Computertomogramm, ein Spiral-CT und eine Magnetresonanz. Im Text zum aktuellen CT beschreiben die Radiologen eine 7x6x4 mm große Zone im Ramusbereich, entsprechend einer abgelaufenen Osteomyelitis. Ich nehme mir die Zeit, alle drei Spezialuntersuchungen auf Osteomyelitis anzuschauen, finde aber nichts Eindrucksvolles. Das sagt noch nicht unbedingt, dass dort auch tatsächlich „nichts“ los ist. In chronisch entzündliche Gebiete werden Schwermetalle, Mineralien oder Krankheitserreger (oft auch Parasiten) eingelagert, sodass man im Röntgen – und auch in allen Spezialröntgen – eine scheinbar normale Knochenstruktur sieht. Natürlich inspiziere ich auch die Mundhöhle. Im linken Unterkiefer sehe ich beim ersten Besuch – nichts! Die Zahnreihe endet mittlerweile distal von 35, die Schleimhaut ist blass, der Kieferkamm eher flach. Bei späteren Besuchen ist die Region 36 manchmal etwas dicker, wie leicht aufgetrieben, aber nie gerötet, es gibt auch keine Fisteln. Im Überblickstest sprechen Herdampullen an, auch Gangrängranulom und Neuralgie sowie passend zum Labor Immunschwäche. Im Kieferbereich fi nde ich ein Areal von etwa 8x4x2 mm regio 36/37, im direkten Resonanztest Kieferostitis und Mischinfekt sowie Strepto- und Staphylokokken. Erste Th erapie: Arthrokehlan-U als „homöopathisches Antibiotikun“ und Lymphdiaral (als „Müllabfuhr“). Nach sechs Wochen ist der Test zwar besser, die Patientin stellt aber fest, dass die Beschwerden stark wetterabhängig sind und daher schwanken. Diesmal suchen wir Viperglobuli und wieder Lymphdiaral aus. Nach den Sommerferien sieht man eine leichte Schwellung im Molarenberich und eine massive Verspannung des Massetermuskels. Neuer Versuch: Arthrokehlan und Phytohypophyson-C. Nach weiteren sechs Wochen geht es besser, wir suchen Crotalus-B-Tropfen aus (homöopathisches Klapperschlangengift, Sonnentau und Magnesium sulfuricum). Die Patientin ist einige Wochen schmerzfrei, im Test finden sich noch Bakterien – wir wählen wieder Viperglobuli. Nach zwei Monaten geht es subjektiv gut, aber der Test ist noch nicht in Ordnung – diesmal gibt es Kobragift in homöopathischer Form. Nach zwei Monaten berichtet die Patientin, dass im Kiefer etwas „arbeitet“, es zieht in die Halsregion. Heute spricht Lachesis an (Buschmeisterschlangengift). Die Schlangensammlung hat System: Homöopathische Schlangengifte stimulieren das Immunsystem, wirken gegen alle Krankheitserreger und können verhärtete chronische Entzündungsregionen auflösen – ähnlich wie die Enzyme der Schlangengifte im Fall eines Bisses zersetzend wirken. Beim nächsten Besuch aber spürt die Patientin wieder Spannung im Kieferbereich, ein Lymphknoten am Unterkieferrand ist tastbar. 15 Monate nach dem Erstbesuch (und fast zwei Jahre nach dem letzten CT) machen wir ein Panoramaröntgen – und starren ungläubig darauf: Vom Zahn 36 gibt es noch eine mesiale Wurzel, ca. 6 mm lang und beherdet! Nun überprüfen wir nochmals die alten CTs: Wenn man Bescheid weiß, ist die Wurzel natürlich auf allen Bildern zu sehen. Im CT schauen aber auch die Wurzeln der Prämolaren wie Wurzelreste aus, und niemand von uns hat nachgezählt, alle waren auf Ostitisbezirke fixiert. Die Beherdung, die eigentlich hätte auff allen müssen, ist im Panorama ebenfalls viel deutlicher zu sehen als in den vielen Spezialaufnahmen. Zwei Wochen später entfernen wir den dunkel verfärbten Wurzelrest operativ. Die Curettage ergibt nur wenig Granulationsgewebe. Das Kontrollröntgen zeigt keine Entzündungsspuren mehr. Zur Heilungsförderung und wegen einer Nervenreizung durch die langdauernde Entzündung verordnen wir Vitamin B, Zink und Hypericum. Zwei Monate lang wird alles besser, gegen gelegentliches Stechen testen Aconitglobuli. Dann gibt es einen Rückfall, natürlich genau dann, als die Ordination ein paar Tage geschlossen ist. Schmerzen und Schwellung sind wieder da, Parkemed hilft nicht – der Hausarzt verordnet erfolgreich zwei Wochen Dalacin. Wir schließen diesmal Crotalus-C an. Laut Test gibt es noch Keime im zumindest röntgenologisch gut eingeheilten Kochenersatzmaterial. Da die Nachschubquelle für Gangränkeime, die infizierte Wurzel, nun entfernt ist, kann die Immunumstimmung greifen – und wir möchten die Therapie durchziehen, bis auch im Test keine Entzündung mehr aufzuspüren ist.'

MR Dr.
EVA-MARIA HÖLLER

Zahnärztin und
Kieferorthopädin in Wien
Schwerpunkt: Komplementärverfahren
Gerichtlich beeidete Sachverständige
mit Zusatzbezeichnungen
Kieferorthopädie und
Komplementärverfahren
ordi.hoeller@aon.at

Panoramaröntgen mit „unübersehbarem“ Wurzelrest 36