Alarmstufe Rot - Was hat das chronische Müdigkeitssyndrom (CFS) mit Selbstliebe zu tun?

Wir leben in seltsamen Zeiten. Es ist schick geworden zu viel zu tun und zu wenig Zeit zu haben. Wer Stress hat, der muss wohl erfolgreich sein oder zumindest auf dem Weg dorthin, sonst wäre er nicht so gefragt. Doch wie gesund ist diese Verhalten auf Dauer?

Stress zu haben, gehört und gehörte schon immer zum menschlichen Leben, etwa seit der Zeit, in der der erste Mensch das erste Mal einem Säbelzahntiger begegnet ist. Tritt solch eine Belastung für eine zeitlich begrenzte Spanne auf, ist unser Körper bestens dafür gerüstet. Die Nebennieren schütten entsprechende Hormone aus, die dem Körper helfen, die Energie hervorzubringen, die er braucht, um die unmittelbare Krise, der er gegenübersteht, zu bewältigen. Allerdings müssen diese Stoffe auch wieder abgebaut werden. Ruhezeiten und moderate Bewegung sind dafür notwendig. Wenn also unsere Vorväter (und -mütter) dann zum Beerensammeln durch den Wald streiften und ihren Gedanken nachhingen, kamen sie wieder in einen entspannten Zustand.
Heute gönnen wir uns diese Ruhe kaum noch. Rund um die Uhr sind wir per Telefon und E-Mail erreichbar, wenn wir im Urlaub sind, reizen wir unsere Stresssysteme mit Ex-tremsportarten oder Freizeitstress, und statt nach der Arbeit eine Runde spazieren zu gehen, legen wir uns auf das Sofa und sehen fern. Fernsehen macht, wie so oft behauptet wird, tatsächlich ein entspanntes Gefühl, weil die Bilder sich bewegen und unserem Gehirn diese Bewegung gemeldet wird. Nur ist das leider ein Trugschluss des Gehirns. Eigentlich verlangt es nach körperlicher Bewegung, um die Stresshormone abbauen zu können. Die Bewegung nur in der Flimmerkiste zu sehen, hat dafür keinen Effekt. Bleiben nun diese Stresshormone im Körper und wird gleichzeitig dauernd ihre Produktion durch unseren Lebenswandel gefordert, kann sich dies langfristig negativ auf unseren Körper auswirken. Jeder Mensch, der über Monate und Jahre ohne Pause arbeiten müsste, erschöpft, dies gilt aber auch für die Nebennieren.
Stresshormone, die nicht abtransportiert werden, wirken als entzündliche Chemikalien im Körper. Sie schaffen einen ständigen Zustand von „Kampf“ oder „Flucht“. Aber auch Gefühle wie geringes Selbstwertgefühl und der Mangel an persönlicher Macht können zur Erschöpfung der Nebennieren beitragen.

Negative Gedanken

Genauso schädlich wie die körperlichen Überforderungen sind negative Gedanken. Diese bewirken ebenfalls die Freisetzung von Cortisol und Adrenalin, damit wir emotionalen Problemen oder anderen Stressoren entsprechend begegnen können und sie lösen. Hier sind einige konkrete Beispiele für solche emotionalen Stressoren, die den Nebennieren zusetzen:

• Sich sorgen
• Zorn
• Schuld
• Angst
• Niedergeschlagenheit
• Mangel an lustvollen Erfahrungen
• Chronischer Schmerz
• Chronische Krankheit
• Gefühle von Mangel
• Schamgefühle usw.

Und was passiert bei den „inneren Dialogen“? Die meisten Menschen denken – also reden – innerlich, wenn sie einmal bewusst darauf achtgeben, oft stundenlang beschämend und beleidigend auf sich selbst ein: Ich bin zu dick. Ich bin zu alt. Ich bin zu dumm. Wie bescheuert kann man denn sein? Lernst du es denn nie?
Können Sie sich vorstellen, wie die Nebennieren ständig auf diese negativen Schimpftiraden reagieren? Es gibt zwar keinen körperlichen Notfall, trotzdem versetzen diese Nachrichten den Körper in „höchste Alarmstufe“.
Gedanken, genau wie Handlungen, die sich schlecht anfühlen, verursachen eine physiologische Reaktion, die die Nebennieren entwässert, Stresshormone freisetzt und andere Aspekte erzeugt, die unsere Gesundheit gefährden. So können ein Mangel an persönlicher Macht und Selbstwertgefühl oder ein Übermaß an Stress und Sorgen im Laufe der Zeit zu Nebennierenfunktionsstörung führen.
Das ist es, was wir im Gesundheitssystem doch gerade erleben: eine Zunahme an chronischen Erkrankungen, Entzündungen unklarer Genese bis hin zur steigenden Burnout-Problematik.

Burn-out, Stress, Müdigkeit

Eine Praxis muss noch nicht mal ganzheitlich orientiert sein. Alleine wenn ich mir ansehe, wie in den letzten zehn Jahren in den Anamnesebögen die Angaben über ein bestehendes CFS, Burn-out, Stress und Müdigkeit zugenommen haben, sehe ich eine Welle auf uns zukommen, für die es sinnvoll ist, Strategien für die eigene Praxis zu entwickeln. Wenn ich dann noch dazunehme, wie viele Patienten nicht angeben, aber im Gespräch klar wird, dass sie genau auf diese Problematik zusteuern oder schon mittendrin sind, sehe ich, dass wir als Mediziner und Vertrauenspersonen unserer Patienten hier eine Verantwortlichkeit zu tragen haben.
Es gibt doch Burn-out-Kliniken werden jetzt vielleicht einige sagen. Ja, es gibt sie, und es ist gut, die Menschen einmal für eine gewisse Zeit aus ihrem gewohnten Umfeld herauszunehmen. Doch das Wichtigste sollte doch immer sein, den Menschen dabei zu unterstützen, gesunde und förderliche Lebensweisen in den Alltag zu übertragen.

Bewährte Rezepte

Hier sind drei einfache Dinge, die Sie heute mit Ihren Patienten ausprobieren können, die sich in meiner Praxis bewährt haben:
Sorgen Sie für eine gesunde Ernährung, ausreichende Trinkmengen und genügend Ruhe. In meiner Praxis nehme ich mir die Zeit und habe teilweise auch mein Personal durch Schulungen so ausbilden lassen, dass es die Patienten in diesen Punkten eingehend beraten kann.
Für die ausreichende Trinkmenge gibt es inzwischen Apps, die regelmäßig ans Trinken erinnern. Für Menschen, die lieber ohne Handy arbeiten, koppeln wir das Trinken an eine schon bestehende, regelmäßig stattfindende Tätigkeit. Das kann das Telefonklingeln sein oder bei therapeutischen Kollegen das gemeinsam mit dem Patienten getrunkene Glas Wasser als neues Ritual. Es werden vor Ort eine Karaffe mit stillem Wasser und ein Glas abgestellt und immer, wenn die gekoppelte Tätigkeit stattfindet, wird ein Glas Wasser getrunken. So erfolgt die Veränderung spielerisch und leicht.

Ernährungsverhalten

Beim Essen musste ich feststellen, dass Patienten oft keine Vorstellung davon haben, was sie gesund und einfach kochen könnten. Wir haben also Kochbücher für verschiedene Krankheitsbilder sowie für die gesunde Basen-Ernährung vom Einsteiger bis zum Küchenprofi da. Und können so mit unseren Patienten die geeigneten Bücher und Rezepte heraussuchen, die den Einstieg in ein anderes Ernährungsverhalten leicht machen.
Und auch die Ruhe, den ausreichenden Schlaf und die moderate Bewegung besprechen wir ganz konkret mit den Patienten. Sich an einem Plan zu orientieren, statt bloße Begriffe im Raum stehen zu lassen, macht es den Patienten leichter, neue Gewohnheiten zu implementieren. Und es macht es Ihnen viel leichter, zu prüfen, ob der Patient auch mitzieht. Hat er die nächsten Male seinen Plan nie umgesetzt und findet nur fadenscheinige Ausreden, wieso, wissen Sie, dass Sie Ihre wertvolle Zeit lieber in Personen investieren, die sich wirklich verändern wollen.
Um dem Patienten die Veränderung zu erleichtern, können Sie in der ganzheitsmedizinischen Praxis mit orthomolekularer Stützung arbeiten:
B-Vitamine spielen eine wichtige Rolle innerhalb des Energiestoffwechsels. Mängel in diesem Bereich können zu Müdigkeit und Erschöpfung führen und Depressionen triggern. Stresszeiten steigern den Bedarf. Bei Vitamin C können bereits geringe Mängel zu Müdigkeit und Konzentrationsstörungen führen.
Coenzym Q10 spielt eine lebenswichtige Rolle bei der Energieproduktion in den Mitochondrien. In Stresssituationen erhöht sich der Bedarf erheblich. Manche Patienten sind allerdings mit der bereits aktivierten Form, dem Ubichinol, besser beraten, weil sie es schneller in ihrem Stoffwechsel verwenden können.
Auch bestimmte Aminosäuren wie Lysin, Phenylalanin, Tryptophan sind bei diesen Patienten bei Bedarf aufzufüllen.
Mit Bachblüten, Farbtherapie oder PSE-Tropfen und vielen anderen Therapien kann die Psyche des Patienten in diesen Stresszeiten zusätzliche Unterstützung erfahren.
Aber Vorsicht! Substitution kann immer nur ein kurzfristiges Mittel sein, um die Krisenzeit abzumildern. Eine grundsätzliche Veränderung des Lebensstils ist bei diesen Patienten unerlässlich, um langfristig Verbesserungen zu erzielen.
Der dritte Punkt ist einer, der in unserem Medizinsystem fast verloren gegangen scheint. Reden Sie mit Ihren Patienten! Oft finden Sie in wenigen Sätzen heraus, wo der Schuh drückt, und Sie können Ihre Patienten ermutigen, sich diesen Gefühlen zu stellen und entsprechend zu handeln.
Ich hatte vor Kurzem eine Patientin, deren Beschwerden trotz adäquater Therapie von meiner Seite nicht besser wurden, und so fragte ich nach. Alle Ratschläge zum Thema Ernährungsumstellung, Bewegung und Entspannung verwarf sie nach kürzester Zeit. Gezielt nach Stress oder emotionaler Belastung gefragt, erklärte sie mir, dass sie bereits seit 28 Jahren in einer Firma arbeiten würde, die nun vor ca. zwei Jahren übernommen worden sei. Wie viele ihrer Kollegen wartete sie nun Monat für Monat, dass mit ihrem Gehaltsschein auch die Kündigung zugestellt würde. Sie fühlte sich ausgeliefert und verraten und schalt sich innerlich für ihre Unfähigkeit, zu handeln.
Ein kurzes Gespräch, in dem ich ihr Verständnis für ihre Situation und Lob dafür aussprach, dass sie sich ihrer Firma gegenüber so loyal verhielt, brachte bereits sichtbare Entspannung. Diesen Gedanken hatte sie sich selbst lange nicht mehr zugestanden. In Coaching- und Hypnose-Sitzungen erarbeiteten wir neue Optionen für ihr weiteres Vorgehen, die sie wieder in die aktive Position versetzten und sich für sie gut anfühlten. Wir veränderten mit einfachen Techniken ihren inneren Dialog in ein Unterstützerteam und vereinbarten, wie sie an den besprochenen Therapien dranbleiben konnte.  
Wie so oft verblüfften mich die Ergebnisse. Sechs Wochen später saß eine veränderte Frau auf meinem Behandlungsstuhl. Sie war ins Fitnessstudio mit Physiotherapie eingetreten, hatte ihre Ernährung umgestellt und bereits vier Kilo abgenommen, sie meditierte täglich, hatte Bewerbungen geschrieben und zwei Vorstellungsgespräche geführt, einfach nur um ihren Marktwert zu prüfen. Das Beste für meine Patientin war allerdings der Heiratsantrag ihres Freundes, der sich nach all den Jahren in die wieder lebensfrohe Frau nochmal verliebt hatte, die endlich nicht mehr „nur noch müde auf dem Sofa lag“. Das sind Momente, in denen ich mich wieder erinnern kann, wieso ich Medizinerin geworden bin und wieso ich mich für Ganzheitsmedizin entschieden habe. Sobald Sie es schaffen, Körper, Geist und Seele Ihrer Patienten zu berühren, können Sie einen Teil dazu beitragen, sie aus dem Winterschlaf von Krankheiten wie CFS oder Burnout zu befreien. Und Sie können erleben, wie das wiedergewonnene Strahlen der Patienten jede Minute Ihrer Arbeit wert war.

Dr. EVA MEIERHÖFER

FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at