Spannende Ganzheitsmedizin - Detektivische Spurensuche nach Krankheitsursachen

Jeden Tag kommen Patienten in die Praxis und wollen eine Lösung, und zwar jetzt, sofort. Doch die Medizin ist komplex geworden und nicht immer ist auf den ersten Blick zu erkennen, wo der Hund begraben ist. 

Ich wollte nie nur Löcher bohren und füllen oder Implantate im Akkord „dübeln“. Deshalb lebe ich heute mit der Ganzheitsmedizin meine Kindheitsträume: Ich bin Detektivin und der Lösung auf der Spur, ich bin Archäologin und wühle mich durch Krankengeschichten und Befunde. Und das Wichtigste für mich – ich entwickle mich ein Leben lang weiter, denn jeden Tag lerne ich etwas Neues und Sie können das auch!
Sie glauben nicht mehr, dass Sie in der Medizin noch etwas Neues entdecken können? Dann versuche ich mal, Sie zu überraschen: Haben Sie als Zahnarzt in Ihrem Anamnesebogen „Piercings“ als Standardfrage integriert? Noch nicht? Wieso Sie das tun sollten, möchte ich Ihnen an zwei erstaunlichen Patientenfällen demonstrieren.

Fall 1

Sandra S., 23 Jahre alt, erscheint als Notfall in der Praxis. Sie leidet an starken Gesichtsschmerzen, die Mundöffnung ist auf 18 mm beschränkt, die gesamte Kaumuskulatur, soweit sie zu untersuchen ist, ist schmerzhaft. Ebenso ist das Kiefergelenk druckdolent. Ihr Hauszahnarzt hat mit Wärme und Spatelübungen versucht, eine Verbesserung zu erzielen. Allerdings wurden die Schmerzen dadurch eher schlimmer.
Anamnestisch erzählt Sandra, dass sie bereits seit ein paar Jahren ein Kiefergelenksknacken verspürte. Eine Schieneneingliederung vor zwei Jahren und wiederholter Umbau hätten keinerlei Verbesserung gebracht. Auch leide sie bereits etwa genauso lang an Schmerzen der Hals- und Lendenwirbelsäule und wiederkehrenden Blockaden der Brustwirbelsäule. Auch wenn diese Beschwerden, seitdem der Kiefer nicht mehr aufgehe, verstärkt merkbar sind, sei das alles nicht so schlimm im Vergleich zum Gesichtsschmerz.
Die anamnestische Frage ist klar: Was war, bevor das alles losging?
Zahnärztlich hat Sandra nur vereinzelte Füllungen, und das mitgebrachte Röntgenbild zeigt sich unauffällig. Weisheitszähne waren nach Rücksprache mit dem Hauszahnarzt nie angelegt und im fraglichen Zeitraum auch keine zahnärztliche Versorgung notwendig gewesen. Was sich allerdings getan hatte waren Augenbrauenpiercings beidseits, mehrere Ohrringe im Bereich wichtiger Akupunkturpunkte –  auch des  Kiefergelenkspunktes – und ein Nabelpiercing.
Da mehrere der Durchtrittslöcher sichtbare Entzündungen zeigten, untersuchten wir, ob es Zusammenhänge zwischen dem Kiefergelenk und den Piercings gab. Die höchste Wertigkeit zeigte in diesem Fall das Bauchnabelpiercing. Aber auch an den anderen Stellen fanden sich Zusammenhänge im System.
Circa zwei Minuten nach Entfernung des Nabelpiercings ließ sich bei der Patientin eine Mundöffnung von 28 mm messen und die Schmerzintensität wurde von der Patientin als ca. 50% geringer als zuvor bewertet. Damit hatte sich dann auch die Diskussion um die anderen Piercings erübrigt.
Sandra entfernte sie ohne ein weiteres Wort. Mittels Funktioneller Myodiagnostik konnten wir Ionensalbe für die Behandlung der Durchtrittstellen als wirksam austesten.
Das Kiefergelenk wurde darüber hinaus von uns mit Magnetfeldtherapie und hochfrequenten Ozonimpulsen nach Test behandelt. Die Mundöffnung erweiterte sich auf 34 mm bei weitgehender Schmerzfreiheit. Orthomolekular wurden bei der Patientin Mangan, Vitamin-B-Komplex, Q10 und Zink als positiv am Kiefergelenk getestet und rezeptiert. Darüber hinaus bekam Sandra einen Equalizer zur Entlastung der Kaumuskeln und Übungssequenzen, modifiziert nach Roccabado, als Training mit. Am Folgetag kam sie schmerzfrei und mit einer 44mm-SKD.
Die Behandlung wurde entsprechend fortgeführt und gleichzeitig physiotherapeutisch unterstützt. Die Physiotherapeutin, die zuvor bereits zwei Jahre die Wirbelsäulenbeschwerden behandelt hatte, stellte auch hier eine verbesserte Beweglichkeit, vereinfachte Mobilisation und kaum mehr Rezidive als positive Nebeneffekte fest. Die Patientin ist nun seit sechs Monaten mit einer Schiene nach orthopädischen Gesichtspunkten versorgt, piercing- und beschwerdefrei. Eine Bisseinstellung kieferorthopädisch oder konservierend-prothetisch wird langfristig für die Statik der Patientin vonnöten sein.
Natürlich sind die Piercings in diesem Fall nur zusätzlicher Trigger einer problematischen Bisssituation gewesen, aber eine schnelle Beschwerdebesserung wäre ohne ganzheitsmedizinische Diagnostik und Therapie auf Basis einer gezielten Anamnese sicher nicht möglich gewesen.

Fall 2

Eine 27-jährige Patientin klagt über Blockaden der Halswirbelsäule, die in der Folge immer in starken Schläfenkopfschmerz münden. In der allgemeinmedizinischen Anamnese gibt sie Verstopfung, verstärkt bei beruflichem Stress, an. Dann beginnt sie zudem zu pressen und zu knirschen. Alle bisher durchgeführten Therapien brachten keinen Erfolg. Ihre HNO-Ärztin bittet um eine funktionelle Schienentherapie.
Das Piercing in der Nase war so auffällig, dass wir sie darauf ansprachen. Sie fand das spannend, da ihr selbst bereits aufgefallen war, dass sich das Piercing ca. alle zwei Monate entzündete und sie in dieser Zeit alle zwei bis fünf Tage ihre Halswirbelsäule mobilisieren lassen musste. Ihr Allgemeinarzt, dem sie davon berichtet hatte, meinte, es gäbe hier keine Zusammenhänge.
Der Test mit Funktioneller Myodiagnostik ergab allerdings doch den Verdacht eines Zusammenhangs zwischen Durchtrittstelle des Nasenpiercings und der Halswirbelsäule. Verblüffenderweise konnte sogar mit dem Dickdarm- und Dünndarmmeridian ein Zusammenhang festgestellt werden. Wir haben der Patientin deshalb die Entfernung des Piercings empfohlen. An der Stelle wurde ein Neuraltherapeutikum ausge-
testet. Dies wurde der Patientin mehrfach von einem Kollegen bei ihr vor Ort rund um die Durchtrittstelle injiziert. Parallel hat sie den Lymphabfluss mit Tropfen und Salbe unterstützt und Arnica D12 zur Abheilung der Durchtrittstelle nach Test eingenommen
Innerhalb einer Woche verbesserte sich die Darmtätigkeit der Patientin. Seit nunmehr sechs Monaten sind weder Blockaden der Wirbelsäule noch Kopfschmerzen aufgetreten. Trotz extremer Belastungssituation in Examensprüfungen konnten wir der Patientin mittels Hypnose und Entspannungsübungen so viel Entlastung implementieren, dass auch das Zähneknirschen nicht mehr zum Stressabbau eingesetzt wird.
Die Schiene nach orthopädischen Gesichtspunkten, die sie in den ersten vier Monaten zur Entlastung der Situation von uns bekommen hat, konnte nach schrittweisem Absenken durch einen Aufbau der Eckzahnführung in Kunststoff ersetzt werden. Die Patientin ist glücklich, und das ohne Piercing!
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie Dinge in unserem Körper zusammenhängen. Ist es nicht ein gutes Gefühl, wenn wir als Zahnärzte nicht nur das strukturelle Problem am Kiefergelenk, sondern ganz nebenbei auch noch andere Symptome lösen können?

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at