Paradigmenwechsel - Doc, kann ich bei Ihnen Zeit und Gesundheit kaufen?

Unser modernes Leben mit dem herrschenden Medizinsystem schafft trotz besserer Technik, mehr Hygiene, mehr Zugang zu sauberem Wasser und Nahrungsmitteln immer mehr Kranke. Die Lebensspanne verlängert sich, die Gesundheitsspanne jedoch nicht. Heute kommen schon Kinder in die Praxis, mit Alterserkrankungen wie Bluthochdruck und sogenanntem Altersdiabetes. Da fragt sich der normal denkende Mensch schon – wieso?

Kann es wirklich sein, dass wir in unserer Zeit – dem Informations- und Technologiezeitalter – nicht das Wissen oder das Können haben, hier die richtigen Ansatzpunkte zu finden? An viel zu vielen Stellen konnte ich mit dem in der Universität an die Studenten vermittelten Wissen zwar etwas an einem Symptom verändern – das Schmerzmittel gegen Schmerzen –, aber das konnte ja nicht alles sein.
Viele bekannte Ganzheitsmediziner, wie z.B. Dr. med. Lissa Rankin erklären, dass sie sich irgendwann zu fragen begannen, was bei der universitären Ausbildung in unseren Köpfen passiert. Gingen wir zu Studienbeginn noch mit dem Wunsch an den Start, Menschen zu heilen oder sie zumindest auf diesem Weg zu unterstützen, sieht manch ein Mediziner danach oft nicht einmal mehr den Menschen, sondern „den Blinddarm in Zimmer 14“, „die Unterschenkelfraktur von gestern Nacht“ oder eben „den beherdeten Zahn 36“.
Wir werden trainiert, nur zu erfragen, was für den aktuellen Fall notwendig ist, für die schnelle Symptom-unterdrückung. Wir kennen nur erfolgte Behandlungen, Medikamente, Labortests …
Das ist für den Notfall auch der einzig richtige Ansatz. Schnell und knapp essenzielle Informationen zusammentragen, die dann eine rettende, effiziente Akutversorgung zulassen.
Doch wenn ich nicht gerade eine Blutung stoppen will, sondern einen Menschen grundlegend bei seinem gesunden Lebensweg unterstützen möchte, darf ich anders vorgehen – ich darf nach seiner Geschichte fragen. Oft ist die Kausalkette hinter einer Erkrankung ganz leicht erkennbar, sobald ich mir nur die Zeit nehme und dem Patienten den Raum gebe, gemeinsam mit mir Puzzleteil für Puzzleteil zusammenzusetzen.

Persönliche Lebensumstände

Ich frage nach den persönlichen Lebensumständen. Was essen Sie und wie? Wie bewegen Sie sich? Was lieben Sie an sich selbst? Was fehlt Ihnen im Leben? Welche Träume haben Sie aufgegeben? Lieben Sie Ihren Job, Sex, Ihren Partner oder aber haben Sie vielleicht gar keinen?
Wie wichtig diese Faktoren für die Gesundheit sind, weiß der Mensch schon seit der Römerzeit („ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“). Die moderne Wissenschaft hat sogar eine eigene Fachdisziplin dafür geschaffen, die Psychoneuroimmunologie. Längst ist nachgewiesen, dass psychische Belastungen und Unzufriedenheit die Immunfunktion im Körper beeinträchtigen und sogar zu schweren Erkrankungen führen können. Und ebenso ist bekannt, dass Menschen, sobald sie gute Gefühle haben, vor Krankheiten besser geschützt sind und die Voraussetzungen für echte Heilung sind (Epigenetik). Trotzdem sind diese Punkte in der Alltagsmedizin bisher noch nicht integriert.
Sich Zeit für den Patienten nehmen zu können, scheint in unserem System, bei einer Honorierung für die Beratung alle sechs Monate mit etwas mehr als 10 Euro – und das auch nur, wenn keine anderen Leistungen erfolgen – nicht wirklich vorgesehen. Wie viel, glauben Sie, lässt sich in der Zeit, die den Therapeuten dann zur Verfügung steht, über einen Menschen erfahren, geschweige denn wie eine Veränderung erreichen?

Zeit für Vertrauen

Um einen anderen Menschen und seine Geschichte kennenzulernen, braucht es Zeit, Austausch und Vertrauen, das wachsen darf. Und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, um einem Patienten zu erklären, wie er Lebensumstände wie etwa seine Ernährung verändern kann, dauert ebenfalls länger, als einfach ein Rezept auszuhändigen.
Hier sehe ich einen der Gründe, wieso Coaches, Lebensberater und Energetiker aktuell wie Pilze aus dem Boden schießen. Da nimmt sich jemand Raum und Zeit für das Gespräch mit dem Patienten. Da ist jemand, der Zusammenhänge sieht und Fähigkeiten oder Lösungsansätze in Aussicht stellt, die Dinge anzugehen und etwas zum Besseren zu verändern. Die Herausforderung sehe ich einmal mehr darin, dass auch hier das ganzheitliche Herangehen fehlt. Ohne das medizinische Fachwissen kann das Problem wieder nur von einer Seite aus betrachtet werden.
Dann kümmert sich der Coach nur um Ihr Gefühl und arbeitet an der mentalen Seite. Und der Internist sieht nur die Herzschmerzen als körperliches Symptom und behandelt mit seinen Medikamenten. Ich als Zahnarzt operiere „nur“ an Ihrem Weisheitszahn, eine Kleinigkeit. Und der Physiotherapeut renkt zum 100. Mal den Halswirbel ein.

Jeder für sich

Jeder Therapeut behandelt für sich, sieht nur sein kleines Feld, redet vielleicht noch nicht mal mit den anderen Behandlern. Der Patient ist ein Ganzes, und genau so darf auch seine Behandlung sein. Dies kann nur geschehen, wenn es genug Zeit gibt, den Patienten mit all den Aspekten seines Menschseins und seiner Krankengeschichte kennenzulernen und mit ihm und den jeweiligen Fachkollegen den sinnvollen Therapieablauf zu koordinieren.
Die Ganzheitsmedizin macht dieses Vorgehen einfacher,  weil der Therapeut auf allen Spielfeldern zu Hause ist und sehen kann, wo diese sich gegenseitig beeinflussen. Für mich steckt hinter der Verbindung aus schulmedizinischer und naturheilkundlicher Ausbildung – und in meinem Fall kombiniert mit der Weiterbildung zum Coach, Kommunikationstrainer und Hypnotherapeut – nicht der Glaube, ich könnte alle Aspekte selbst behandeln. Jedoch macht mir der Einblick in andere Fachbereiche das fächerübergreifende Denken und die Verständigung mit den Kollegen leichter. Ziel ist doch immer, sowohl die harten medizinischen Fakten als auch die Geschichte des Patienten und die psychosozialen Aspekte sowie die guten Lösungsansätze zu verbinden, die es in all diesen Bereichen für die verschiedenen Anforderungen gibt. Sie und Ihre Patienten werden erstaunt sein, wie viel besser die Ergebnisse einer Behandlung sind, wenn alle Aspekte im Therapeutennetz Berücksichtigung finden.

Voltaire (1694–1778) schrieb:
„In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben, in der zweiten Hälfte opfern wir unser Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen. Und während dieser Zeit gehen Gesundheit und Leben von dannen.“

Sollte man nicht hoffen, dass die Menschen seit damals dazugelernt haben? Unser System wird sich vermutlich erst ändern, wenn der Faktor Gesundheit das Wachstum der Wirtschaft massiv hemmt. Nur –wollen Sie für sich selbst und Ihre Patienten so lange warten?
Die Patienten haben in unserem informierten Zeitalter und mithilfe von „Dr. Google“ längst angefangen, sich selbst über Zusammenhänge zu informieren. Sie begeben sich mehr und mehr auf die Suche nach Therapeuten, die sich die Zeit für sie nehmen und die sie auf einem Gesundheitsweg begleiten und unterstützen. Eine Vernetzung zwischen den Therapeuten kann hier ein essenzieller Faktor sein, um dies für den Patienten langfristig und umfassend zu gewährleisten. Zukünftig werden wir uns als Ärzte überlegen müssen, welche Art von Medizin wir betreiben wollen, denn die Patienten werden zunehmend mit der Frage kommen: „Doc, kann ich bei Ihnen Zeit und Gesundheit kaufen?“

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at

Hohes Alter – hohe Ansprüche an Arzt und auch Patient

Unser modernes Leben mit dem herrschenden Medizinsystem schafft trotz besserer Technik, mehr Hygiene, mehr Zugang zu sauberem Wasser und Nahrungsmitteln immer mehr Kranke. Die Lebensspanne verlängert sich, die Gesundheitsspanne jedoch nicht. Heute kommen schon Kinder in die Praxis, mit Alterserkrankungen wie Bluthochdruck und sogenanntem Altersdiabetes. Da fragt sich der normal denkende Mensch schon – wieso?

Kann es wirklich sein, dass wir in unserer Zeit – dem Informations- und Technologiezeitalter – nicht das Wissen oder das Können haben, hier die richtigen Ansatzpunkte zu finden? An viel zu vielen Stellen konnte ich mit dem in der Universität an die Studenten vermittelten Wissen zwar etwas an einem Symptom verändern – das Schmerzmittel gegen Schmerzen –, aber das konnte ja nicht alles sein.
Viele bekannte Ganzheitsmediziner, wie z.B. Dr. med. Lissa Rankin erklären, dass sie sich irgendwann zu fragen begannen, was bei der universitären Ausbildung in unseren Köpfen passiert. Gingen wir zu Studienbeginn noch mit dem Wunsch an den Start, Menschen zu heilen oder sie zumindest auf diesem Weg zu unterstützen, sieht manch ein Mediziner danach oft nicht einmal mehr den Menschen, sondern „den Blinddarm in Zimmer 14“, „die Unterschenkelfraktur von gestern Nacht“ oder eben „den beherdeten Zahn 36“.
Wir werden trainiert, nur zu erfragen, was für den aktuellen Fall notwendig ist, für die schnelle Symptom-unterdrückung. Wir kennen nur erfolgte Behandlungen, Medikamente, Labortests …
Das ist für den Notfall auch der einzig richtige Ansatz. Schnell und knapp essenzielle Informationen zusammentragen, die dann eine rettende, effiziente Akutversorgung zulassen.
Doch wenn ich nicht gerade eine Blutung stoppen will, sondern einen Menschen grundlegend bei seinem gesunden Lebensweg unterstützen möchte, darf ich anders vorgehen – ich darf nach seiner Geschichte fragen. Oft ist die Kausalkette hinter einer Erkrankung ganz leicht erkennbar, sobald ich mir nur die Zeit nehme und dem Patienten den Raum gebe, gemeinsam mit mir Puzzleteil für Puzzleteil zusammenzusetzen.

Persönliche Lebensumstände

Ich frage nach den persönlichen Lebensumständen. Was essen Sie und wie? Wie bewegen Sie sich? Was lieben Sie an sich selbst? Was fehlt Ihnen im Leben? Welche Träume haben Sie aufgegeben? Lieben Sie Ihren Job, Sex, Ihren Partner oder aber haben Sie vielleicht gar keinen?
Wie wichtig diese Faktoren für die Gesundheit sind, weiß der Mensch schon seit der Römerzeit („ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“). Die moderne Wissenschaft hat sogar eine eigene Fachdisziplin dafür geschaffen, die Psychoneuroimmunologie. Längst ist nachgewiesen, dass psychische Belastungen und Unzufriedenheit die Immunfunktion im Körper beeinträchtigen und sogar zu schweren Erkrankungen führen können. Und ebenso ist bekannt, dass Menschen, sobald sie gute Gefühle haben, vor Krankheiten besser geschützt sind und die Voraussetzungen für echte Heilung sind (Epigenetik). Trotzdem sind diese Punkte in der Alltagsmedizin bisher noch nicht integriert.
Sich Zeit für den Patienten nehmen zu können, scheint in unserem System, bei einer Honorierung für die Beratung alle sechs Monate mit etwas mehr als 10 Euro – und das auch nur, wenn keine anderen Leistungen erfolgen – nicht wirklich vorgesehen. Wie viel, glauben Sie, lässt sich in der Zeit, die den Therapeuten dann zur Verfügung steht, über einen Menschen erfahren, geschweige denn wie eine Veränderung erreichen?
Zeit für Vertrauen
Um einen anderen Menschen und seine Geschichte kennenzulernen, braucht es Zeit, Austausch und Vertrauen, das wachsen darf. Und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, um einem Patienten zu erklären, wie er Lebensumstände wie etwa seine Ernährung verändern kann, dauert ebenfalls länger, als einfach ein Rezept auszuhändigen.
Hier sehe ich einen der Gründe, wieso Coaches, Lebensberater und Energetiker aktuell wie Pilze aus dem Boden schießen. Da nimmt sich jemand Raum und Zeit für das Gespräch mit dem Patienten. Da ist jemand, der Zusammenhänge sieht und Fähigkeiten oder Lösungsansätze in Aussicht stellt, die Dinge anzugehen und etwas zum Besseren zu verändern. Die Herausforderung sehe ich einmal mehr darin, dass auch hier das ganzheitliche Herangehen fehlt. Ohne das medizinische Fachwissen kann das Problem wieder nur von einer Seite aus betrachtet werden.
Dann kümmert sich der Coach nur um Ihr Gefühl und arbeitet an der mentalen Seite. Und der Internist sieht nur die Herzschmerzen als körperliches Symptom und behandelt mit seinen Medikamenten. Ich als Zahnarzt operiere „nur“ an Ihrem Weisheitszahn, eine Kleinigkeit. Und der Physiotherapeut renkt zum 100. Mal den Halswirbel ein.
Jeder für sich
Jeder Therapeut behandelt für sich, sieht nur sein kleines Feld, redet vielleicht noch nicht mal mit den anderen Behandlern. Der Patient ist ein Ganzes, und genau so darf auch seine Behandlung sein. Dies kann nur geschehen, wenn es genug Zeit gibt, den Patienten mit all den Aspekten seines Menschseins und seiner Krankengeschichte kennenzulernen und mit ihm und den jeweiligen Fachkollegen den sinnvollen Therapieablauf zu koordinieren.
Die Ganzheitsmedizin macht dieses Vorgehen einfacher,  weil der Therapeut auf allen Spielfeldern zu Hause ist und sehen kann, wo diese sich gegenseitig beeinflussen. Für mich steckt hinter der Verbindung aus schulmedizinischer und naturheilkundlicher Ausbildung – und in meinem Fall kombiniert mit der Weiterbildung zum Coach, Kommunikationstrainer und Hypnotherapeut – nicht der Glaube, ich könnte alle Aspekte selbst behandeln. Jedoch macht mir der Einblick in andere Fachbereiche das fächerübergreifende Denken und die Verständigung mit den Kollegen leichter. Ziel ist doch immer, sowohl die harten medizinischen Fakten als auch die Geschichte des Patienten und die psychosozialen Aspekte sowie die guten Lösungsansätze zu verbinden, die es in all diesen Bereichen für die verschiedenen Anforderungen gibt. Sie und Ihre Patienten werden erstaunt sein, wie viel besser die Ergebnisse einer Behandlung sind, wenn alle Aspekte im Therapeutennetz Berücksichtigung finden.

Voltaire (1694–1778) schrieb:
„In der ersten Hälfte unseres Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben, in der zweiten Hälfte opfern wir unser Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen. Und während dieser Zeit gehen Gesundheit und Leben von dannen.“

Sollte man nicht hoffen, dass die Menschen seit damals dazugelernt haben? Unser System wird sich vermutlich erst ändern, wenn der Faktor Gesundheit das Wachstum der Wirtschaft massiv hemmt. Nur –wollen Sie für sich selbst und Ihre Patienten so lange warten?
Die Patienten haben in unserem informierten Zeitalter und mithilfe von „Dr. Google“ längst angefangen, sich selbst über Zusammenhänge zu informieren. Sie begeben sich mehr und mehr auf die Suche nach Therapeuten, die sich die Zeit für sie nehmen und die sie auf einem Gesundheitsweg begleiten und unterstützen. Eine Vernetzung zwischen den Therapeuten kann hier ein essenzieller Faktor sein, um dies für den Patienten langfristig und umfassend zu gewährleisten. Zukünftig werden wir uns als Ärzte überlegen müssen, welche Art von Medizin wir betreiben wollen, denn die Patienten werden zunehmend mit der Frage kommen: „Doc, kann ich bei Ihnen Zeit und Gesundheit kaufen?“

Dr. EVA MEIERHÖFER
FA für Oralchirurgie
Klagenfurt
praxis@meierhoefer.at