Wiener Fachbereich orale Chirurgie - neue augmentative Verfahren und die navigierte Implantation

Prof. DDr. Christian Ulm machte seine Doktorarbeit am anatomischen Institut in Wien, das Thema hatte bereits Bezug zur Zahnmedizin („Der Canalis mandibulae im zahnlosen Unterkiefer“).

Nach seiner Ausbildung zum Facharzt für ZMK an der Wiener Zahnklinik wurde er Assistent an der Abteilung für orale Chirurgie, arbeitete jedoch nebenbei am anatomischen Institut weiter, um wissenschaftliche Projekte zum Schwerpunkt „Implantologie“ sowie Studenten-Sezierkurse zu betreuen. Im Wintersemester 1992/93 absolvierte er einen Studienaufenthalt bei Prof. Donath in Hamburg, von wo er die sogenannte „Trenn-Dünnschlifftechnik“ zur Anfertigung von hochwertigen histologischen Hartgewebspräparaten nach Wien mitbrachte.
1995 erfolgte die Habilitation mit dem Thema: Die Atrophie der Kieferknochen.
2000 wechselte er als stellvertretender Leiter an die neu geschaffene Abteilung für Parodontologie und Prophylaxe.
2012 ging es zurück an den Fachbereich für orale Chirurgie, den er seit Oktober 2012 leitet. ZMT führte mit Prof. Ulm das folgende Interview.

Könnten Sie bitte den „Fachbereich orale Chirurgie“ und die neuen Räumlichkeiten ein wenig vorstellen?

ULM: Seit 2013 können wir nach Abschluss der Umbauarbeiten über die neuen OP-Räumlichkeiten verfügen, es sind hohe und freundliche Räume mit einer erstklassigen Ausstattung, etwa modernste Zeiss-OP-Mikroskope, zum Teil mit Kameras in den OP-Leuchten, um Eingriffe mitfilmen oder in den Hörsaal übertragen zu können. Es gibt fünf Eingriffsräume, einer davon ist besonders groß angelegt worden, damit sich zum Beispiel im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen – wie etwa Implantatkursen – abseits bis zu zehn Personen aufhalten und über Monitore zusehen können, ohne die gezeigten Operationen zu behindern. Ein eigener Eingriffsraum ist nur für Studierende reserviert, um Basistechniken wie etwa Weisheitszahnentfernungen zu erlernen.
Nach der Übersiedlung 2013 konnten wir die Anzahl an oralchirurgischen Eingriffen um ca. 50 Prozent steigern. Geschätzte zwei Drittel der Patienten sind „schwierige Fälle“, die uns von niedergelassenen Kollegen zugewiesen wurden. Für die post-operative Überwachung nach Intubationsnarkosen stehen vier Betten zur Verfügung.
Bei uns arbeiten 19 Ärztinnen und Ärzte in Voll- und Teilzeit, 10 OP-Bedienstete sowie – neben Studenten und Lehrlingen – in der chirurgischen Ambulanz vier zahnärztliche Assistentinnen, welche die sechs Ambulanzplätze sowie die Leitstelle betreuen.
Es gibt folgende Spezialambulanzen:  für Implantologie, und hier für eventuell nötige Knochenaugmentationen bzw. Sinuslifts, für Periimplantitis-Therapie, chirurgische Zahnerhaltung, präprothetische Chirurgie, Mundschleimhauterkrankungen, Traumatologie, Zahnaplasien, Fehlbildungen und Zahntransplantationen.
Was die studentische Ausbildung betrifft, so hat sich die Qualität der Ausbildung durch die Übersiedlung zweifelsohne verbessert. Generell dürfen Studierende bei uns in einem höheren Ausmaß praktisch tätig sein als in Deutschland und der Schweiz, sie müssen einen OP-Katalog abarbeiten. Bei uns studieren aus diesem Grund sogar einzelne ausländische Studierende, die in ihrer Heimat zwar einen Studienplatz hätten, jedoch an der Wiener Klinik ihre Ausbildung absolvieren wollen.

Wie sehen die Schwerpunkte bei operativen Eingriffen aus?

ULM: Neben oralchirurgischen Routineeingriffen, wie die Entfernung retinierter Weisheitszähne, Wurzelspitzenresektionen unter mikroskopischer Kontrolle, Zystektomien,  Zahntransplantationen, kieferorthopädische Verankerungsplatten und -schrauben und Kieferhöhlendeckungen ist vor allem die Implantologie zu nennen. Diesbezüglich arbeiten wir momentan an neuen augmentativen Verfahren wie z.B. an modifizierten transcrestalen Sinusbodenelevationen. Weitere implantologische Schwerpunktthemen sind die „navigierte“ Implantation, Zygoma-Implantate, die Verankerung kurzer Implantate bei einem reduzierten Knochenangebot sowie die Periimplantitis-Therapie.

Bietet die Orale Chirurgie auch Postgraduate-Kurse an?

ULM: Ja, wir bieten jetzt bereits mehrmals im Jahr Implantakurse an. Dabei werden sowohl chirurgische als auch prothetische Aspekt behandelt. Der nächste „Basiskurs Implantologie“ mit Live-OPs findet am 15. April 2016 statt, einer im Mai 2016 ist in Vorbereitung. Ein „Master für Orale Chirurgie, Parodontologie und Implantologie“ – er soll berufsbegleitend über mehrere Jahre gehen – wird gerade geplant. 

Was sind Ihre persönlichen wissenschaftlichen Schwerpunkte?

ULM: Hier ist zunächst die Grundlagenforschung im Bereich der oralen Implantologie zu nennen. Mit der Thematik der alters- und geschlechtsspezifischen Unterschiede der atrophen Kieferknochenstrukturen und ihrer anatomischen und histologischen Auswirkungen bin ich seit nahezu 30 Jahren befasst. Basierend auf den Erkenntnissen der diesbezüglichen Studien arbeiten wir derzeit an modifizierten Techniken des transcrestalen Sinuslifts zur Schaffung eines adäquaten Implantatlagers im zahnlosen Oberkieferseitenzahnbereich.
Mit den Implantatherstellern Nobel Biocare® und Straumann® führen wir seit vielen Jahren gemeinsame wissenschaftliche Projekte durch, sie sind für uns wertvolle Partnerfirmen. Durch meine wissenschaftlichen Wurzeln auf dem Gebiet der Anatomie forciere ich auch oralchirurgisch relevante Grundlagenuntersuchungen, derzeit z.B. über Varianten der Linea mylohyoidea.

Gibt es noch einen Punkt, der Ihnen am Herzen liegt?

ULM: Ja, ich denke, man sollte in wirtschaftlich schlechteren Zeiten wie gerade jetzt nicht bei der Bildung und insbesondere der Forschung an den Universitäten sparen, da diese die Grundlage für eine hochentwickelte und fortschrittliche Gesellschaft liefern. Kanada und die USA könnten uns da ein Vorbild sein.

Herzlichen Dank für das Interview!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

 

Prof. DDr. Christian Ulm