Fallbericht - Kieferorthopädie in der Praxis:

Die ektopische Lage von Zahnkeimen ist eine häufige Ursache für Störungen im Durchbruchsprozess der bleibenden Zähne. Die zeitgerechte Beurteilung und korrekte Behandlung  stellt bei Kindern eine wichtige sowie anspruchsvolle Betreuungsmaßnahme  dar.

Zu diesem Thema hat Univ.- Prof. A. Crismani in diesem Jahr Dr. Hubertus van Waes von der Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde Zürich als Referenten zur internationalen kieferorthopädischen Tagung nach Kitzbühel geladen. In seinen Vorträgen wurden die Fragen zur Diagnostik, Behandlung und Retention umfassend dargestellt und beantwortet. Hervorgehoben wurde auch der Wert von frühen unterstützenden, kleinen Maßnahmen.
Wenn Zähne sich in einer ektopischen Lage befinden, bedeutet dies, dass deren Keimlage abnormal und deren Durchbruchsrichtung von der Norm abweichend ist. Dadurch ist eine spontane korrekte Einstellung in die Okklusion nicht gegeben. Im Unterschied zu impaktierten Zähnen besteht aber kein konkretes Durchbruchshemmnis. Während Probleme wegen der am häufigsten ektopisch verlagerten Zähne, das sind die ersten Molaren des Oberkiefers, bereits am Beginn der Wechselgebissphase im Alter von fünf bis acht Jahren auftreten, ist die falsche Keimlage von Eckzähnen  und zweiten Praemolaren, die ebenfalls oft diagnostiziert wird, meist im Jugendalter zwischen 11 und 15 Jahren zu behandeln. Mitunter können gezielte und rechtzeitige Interventionen mit einfachen Maßnahmen entscheiden, ob schließlich eine orthognathe oder eine behandlungsbedürftige Zahnstellung vorliegt, in anderen Fällen müssen  effektiv wirksame orthodontische Apparaturen eingesetzt werden.
Damit in der täglichen Praxis im konkreten Fall erforderliche Behandlungsmaßnahmen alters- und situationsgerecht durchgeführt werden, muss jede therapeutische Entscheidung mit einer korrekten orthodontischen Planung verbunden sein, und der Zahnwechsel sollte bis zum Durchbruch aller bleibenden Zähne überwacht werden.

Fallbeispiel

Als Fallbeispiel möchte ich eine Patientin vorstellen, die mir im Alter von sieben Jahren zugewiesen wurde. Ein mitgebrachtes Panoramaröntgenbild zeigte als pathologischen Befund  die unterminierende Resorption von beiden oberen Milchfünfern durch ektopisch verlagerte Sechser. Die Zahnanlage von 15 war auf dieser Aufnahme nicht und jene von 25 nur schwer zu erkennen. Man konnte daher bei 15 von einer Aplasie und bei 25 von einer Entwicklungsstörung oder einer ektopischen Verlagerung ausgehen. Obwohl es zahlreiche Behandlungsvorschläge gibt, wie ektopisch nach mesial verlagerte obere Molaren in ihre korrekte Lage zurückgeführt werden können, war in diesem Fall der Mesialdrift der ersten Molaren erwünscht. Bei Aplasie von 15 und Verlagerung von 25 mit sekundärem Platzverlust plante ich eine Ausgleichsextraktion im linken oberen Quadranten und eine Klasse-II-Verzahnung der Sechser. Die stark resorbierten Zähne 55 und 65 wurden entfernt. Das beseitigte mögliche Probleme wie erhöhte Kariesanfälligkeit aller beteiligten Zähne sowie Entzündungen des angrenzenden Weichgewebes.
Im Alter von 11,5 Jahren war der Zahnwechsel ausreichend weit fortgeschritten, sodass weitere erforderliche therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden konnten. Im Oberkiefer sollte nun wie geplant die Ausgleichsextraktion durchgeführt werden. Ein neues OPTG, das deshalb davor angefertigt worden war, zeigte die palatinale Lage von Zahn 25, der nun operativ zu entfernen war, und zu aller Überraschung im Unterkiefer eine abnormale Durchbruchsrichtung der zweiten Praemolaren. Durch zeitgerechte Extraktionen der zweiten Milchmolaren, die bereits Anzeichen einer Ankylose zeigten, sollten auch diese pathologischen Durchbruchsvorgänge wieder in korrekte Bahnen geleitet werden.
Während nun die bleibenden Zähne in beiden Kiefern in gefällige Zahnbögen durchbrachen und sich die erwartete Okklusion einstellte, zeigte sich neuerlich ein Problem: Im Gegensatz zum linken unteren Siebener, der bereits vollständig durchgebrochen war, blieb der rechte ektopisch verlagert unter der Schleimhaut retiniert. Die Aufrichtung und Einordnung der nach lingual geneigten Krone von 47 erforderte eine operative Freilegung des Zahnes und eine Multibracketaparatur. „Jetzt haben wir uns so große Mühe gegeben und alle Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt und behandelt, trotzdem benötige ich schließlich ein Zahnspange“, zeigte sich meine Patientin enttäuscht. Aber das hat wirklich keiner vorhersehen können.

MR Dr. DORIS HABERLER
niedergelassene
Kieferorthopädin in Wien
office@dr-haberler



Bilderserie zum Fallbeispiel:

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