Neue Leiterin: Die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in Graz

Seit 1. Oktober 2014 leitet Prof. DDr. Katja Schwenzer-Zimmerer die Klinische Abteilung für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Grazer Zahnklinik. Sie studierte in Tübingen und arbeitete anschließend acht Jahre in München, danach zwölf Jahre in Basel.

Nun bin ich in einer Stadt mit netten Menschen und sehr hoher Lebensqualität tätig“, so Schwenzer-Zimmerer. ZMT führte mit ihr das folgende Interview.

Was sind Ihre fachlichen Schwerpunkte?

Schwenzer-Zimmerer: Eigentlich bin ich Generalistin, aber drei Themen interessieren mich besonders:
erstens craniofaziale Fehlbildungen bei Kindern wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und ihre ganzheitliche Therapie – das heißt chirurgische Korrektur unter Einbeziehung von Logopädie und Physiotherapie sowie interdisziplinäre Abstimmung mit den mitbehandelnden zahnärztlichen Kollegen (z.B. Kinderzahnheilkunde und Kieferorthopädie). Ich finde die Beschäftigung mit dem wachsenden Organismus faszinierend.
Zweitens Dysgnathien – hier geht es um individuell angepasste Konzepte bei oft komplexen Problemen. Oben Gesagtes gilt hier gleichfalls: Funktionell und ästhetisch gute Ergebnisse erfordern mehr als nur Chirurgie. Hier lege ich besonderen Wert auf die virtuelle 3D-Planung und Simulation. Nicht zu vergessen ist die enge Kooperation mit der Zahntechnik! Drittens die rekonstruktive Tumorchirurgie, wobei neben den typischen Mundhöhlen-Ca mein Interesse ausgedehnteren Tumoren mit Bezug zur Schädelbasis gilt. Auch hier ist die interdisziplinäre Abstimmung mit Neurochirurgie und HNO essenzielle Voraussetzung für ein über Fachgrenzen hinweg gut aufgestelltes kompetentes Team. Mit seinem breit gefächerten Patientengut und den hervorragenden universitären Rahmenbedingungen könnte Graz in allen diesen Bereichen weltweit führend werden. Entwicklung erfolgt immer an Grenzflächen – daher halte ich den Blick über den Tellerrand und das Gespräch mit anderen Disziplinen für ein sehr wichtiges Element einer Universität.

Wie häufig sind heute Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten?

Schwenzer-Zimmerer: In der westlichen Welt beträgt die Häufigkeit 1:500, in Asien und Südamerika sind LKG-Spalten häufiger. Durch die Vermischung von Ethnien könnte die Häufigkeit also zunehmen. In Österreich  sind derzeit ca. 150 Kinder pro Jahr betroffen, in einem Drittel der Fälle ist die Spaltbildung genetisch nachvollziehbar.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne  in Graz aus?

Schwenzer-Zimmerer: Ich habe hier eine Abteilung mit sehr guten Möglichkeiten vorgefunden. Die Zukunft umfasst neue Technologien und verstärkte Kooperation mit anderen Fächern und Technikern. Ich strebe ein chirurgisches Innovationszentrum an, quasi einen „OP der Zukunft“, in dem wir Visionen vorwegnehmen und an neuen Entwicklungen arbeiten. Es geht z.B. um individuelle Schablonen und Implantate (Gesichtsschädel, Schädelkalotte), aber auch um patientenspezifische Platten, 3D-Planung und -Modellierung. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten druckt man einen Splint für eine Umstellungsosteotomie nach virtueller Planung einfach aus. Die OP-Planung wird sich verändern, OP-Zeiten werden sich verkürzen und die Ergebnisse werden besser vorhersehbar. Das heißt, dass wie bei der Prothetik im Bereich der Zahntechnik sich das Anforderungsprofil verändern wird: CAD-CAM-Verfahren und IT-basierte Planungen werden zunehmend eine Rolle spielen.
Wir als universitäres Zentrum möchten hierbei für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen offen sein, eine Art „Mutterschiff“ oder Forum, zu dem man mit Spezialfällen kommen kann. Mir liegen das Gespräch und der Erfahrungsaustausch mit Kollegen sehr am Herzen. Auch entsprechende Fortbildungsveranstaltungen werden wir anbieten.

Sie waren Ende letzten Jahres mit einem OP-Team in Kambodscha. Könnten Sie bitte kurz über Ihre Erfahrungen berichten?

Schwenzer-Zimmerer: Seit zwölf Jahren reise ich regelmäßig mit OP-Teams nach Kambodscha. Wir behandeln Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, aber auch Verbrennungen und Verletzungen. Ich bin seit knapp 20 Jahren in der Dritten Welt tätig. Man kommt zufrieden zurück, bleibt auf dem Boden und es wird einem klar, wie gut eigentlich hier bei uns Gesellschaft und Gesundheitssystem funktionieren. Zudem finde ich es wichtig, dass man in der Lage ist, nicht nur unter High-Tech-, sondern auch unter Low- oder No-Tech-Bedingungen zu operieren.

Weshalb gibt es in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie so wenige Frauen, speziell auch in leitenden Positionen?

Schwenzer-Zimmerer: Männer denken, ein physisch anspruchsvolles chirurgisches Fach wie etwa die MKG-Chirurgie sei für Frauen zu anstrengend. Die Rahmenbedingungen sind erst neuerdings besser geworden. Man muss aber sagen, dass Österreich im Unterschied zu Deutschland und der Schweiz hinsichtlich Professorinnen und Primarärztinnen in der MKG-Chirurgie eine gewisse Tradition hat. Ich denke hier an Frau Prof. Matras und Frau Prof. Watzke.
Generell gehe ich davon aus, dass die Zahl der Frauen in der MKG-Chirurgie (auch in leitenden Positionen) zunehmen wird. Frauen wird heute mehr zugetraut, und dank flexiblerer Dienstsituationen und Kinderbetreuung an den Kliniken (wie etwa in Graz) ist eine Vollzeittätigkeit auch mit Familie möglich.

Was liegt Ihnen noch besonders am Herzen?

Schwenzer-Zimmerer: Ich bin ein offener Zeitgenosse, und ebenso soll die Abteilung in vielerlei Hinsicht offen sein, etwa als Anlaufstelle für Niedergelassene, aber auch dann, wenn Komplikationen aufgetreten sind. Ebenso möchten wir offen für  Techniker und neue Technologien sein. Wir sollten die zweifellos bestehenden Chancen nutzen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Dr. PETER WALLNER
Umweltmediziner und
Medizinjournalist
peter.wallner4@gmail.com

 

DDR. Katja Schwenzer-Zimmerer