Fallbericht - Kieferorthopädie in der Praxis:

Wir alle kennen diese Situation: Ein Patient erhält eine neue Zahnspange und unmittelbar später meldet er sich und klagt über eine Druckstelle. Bei der klinischen Kontrolle finden sich eine, manchmal auch mehrere Läsionen im Bereich der Mundschleimhaut, die aber in keinem Kontakt zum Kunststoff oder zu Drahtelementen der Apparatur stehen.

Es handelt sich hier um eine virale Entzündung, die in Form von Aphthen in Erscheinung tritt. Diese imponieren anfangs als kleine Bläschen, die, wenn sie platzen, flache, gelblichweiße Geschwüre mit rotem Halo bilden und bei Berührung starke Schmerzen verursachen. Man findet sie bevorzugt am Zahnfleisch, aber auch an der Lippeninnenseite, der Wange, der Zunge und am Mundboden.
Auch wenn die Genese und die Ursache von Aphthen nicht vollständig geklärt sind, sie entstehen, wenn die Belastungsgrenzen durch Noxen oder durch Schwächung der Immunabwehr überschritten werden. Man kann daher annehmen, dass bei wenig immunresistenten Menschen auch eine neu eingesetzte Zahnspange Auslöser solcher Entzündungen sein kann.
Die Therapie erfolgt aufgrund mangelnder Kenntnis der Ätiologie ausnahmslos symptomatisch. In den meisten Fällen ist es ausreichend, wenn man die Betroffenen beruhigt und versichert, dass die Ulcera in ein bis zwei Wochen vollständig abheilen.
Ist das Ausmaß der Beschwerden stärker, empfiehlt die Pathologin und Mikrobiologin DDr. Christa Eder in ihrem neu erschienenen Buch mit dem Titel ZAHN – KEIM – KÖRPER lokale Spülungen mit beispielsweise Chlorhexidin oder Kamillenextrakt, topische Kortikosteroide in Form von Haftsalben oder Tetra-   zyklinlösungen, gegen die Schmerzen lokal anzuwendende Schleimhautanästhetika.
Chronisch rezidivierende Formen, die auch schon bei Kindern auftreten können, stellen nach Dr. Eder hinsichtlich Diagnose, Therapie und Betreuung spezielle Anforderungen, auch an den behandelnden Zahnarzt. Er muss eine Abklärung möglicher Grunderkrankungen und des Immunstatus des betroffenen Patienten sowie histologische, zytologische und mikrobiologische Untersuchungen der Läsionen fordern. Über eine möglicherweise auch hier notwendige kieferorthopädische Behandlung möchte ich anhand eines Fallbeispiels diskutieren:

Fallbeispiel:
Die sechzehnjährige Patientin litt unter einer schweren Form einer chronisch rezidivierenden Gingivo-stomatitis herpetica. Zahnfleisch und Lippen waren entzündlich geschwollen, Oberlippe und Unterlippe durch tiefe Rhagaden zerfurcht und zahlreiche Aphthen waren über die ganze Mundhöhle verteilt. Trotz intensiver Betreuung durch Spezialisten der entsprechenden Fachdisziplinen sowie der Komplementärmedizin war die Patientin nie vollständig frei von Symptomen.
Sie wünschte sich eine Verbesserung der Zahnstellung, und es stellte sich die Frage, ob ihr Krankheitsbild eine Kontraindikation für eine kieferorthopädische Therapie darstellte. Zusätzlich bestand nach der kieferorthopädischen Diagnose (Angle-Klasse-I-Verzahnung, ästhetisch störende Lücken zwischen den Frontzähnen und ein Gummy-Smile) auch keine schwere Zahnfehlstellung und somit keine medizinische Indikation für eine Zahnregulierung.
Ich entschied mich trotzdem für eine kieferorthopädische Behandlung. Während der gesamten Therapie, die unter strengen Mundhygienekontrollen durchgeführt wurde, blieb die aphthöse Erkrankung an der Mundschleimhaut unverändert bestehen. Klinische Bilder danach zeigen aber eine ganz andere Situation. Die Aphthen waren, bedingt durch das Grundleiden, nie ganz verschwunden. Die korrigierte Zahnstellung hat allerdings nicht nur die Mundästhetik, sondern auch die psychische Befindlichkeit verbessert und somit den Leidensdruck wesentlich gelindert. Das bestätigt, wie wichtig die ästhetische Komponente bei der Beurteilung der Behandlungsnotwendigkeit in der Kieferorthopädie sein kann.

MR Dr. DORIS HABERLER
niedergelassene
Kieferorthopädin in Wien
office@dr-haberler.at


Bilderserie zum Fallbeispiel:

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