Fallbericht: Kieferorthopädie in der Praxis

Zur Erinnerung an Univ. Prof. Dr. Karl Hollmann, der vor 10 Jahren, am 19. Oktober 2003 plötzlich und für alle unerwartet gestorben ist. Er wäre heuer im Oktober 85 Jahre alt geworden.

Als Hochschullehrer und 1. Oberarzt an der Wiener Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist Prof. Hollmann sicherlich noch vielen Kollegen in Erinnerung. Er hat nicht nur Kieferchirurgen sondern auch eine große Zahl von Zahnärzten ausgebildet und war bis zuletzt ein engagierter Wissenschaftler, Forscher und Arzt. Als Kieferchirurg befasste er sich mit allen Bereichen seines Faches. Ich möchte als Kieferorthopädin aber nur über einen Teil seines umfangreichen Wirkens schreiben, nämlich über seine Bedeutung für die Kieferorthopädie.
Ein besonderes Interesse von Prof. Hollmann galt den Patienten mit Gesichtsmißbildungen und Dysgnathien. In seiner Station im AKH, sie zählte zu den größten Zentren für Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten in Europa, wurden die unterschiedlichsten Formen craniofacialer Abweichungen chirurgisch versorgt. Der stationären Einrichtung angeschlossen war die maxillo-faciale Ambulanz, in der allein bis zu tausend Spaltpatienten pro Jahr orthodontisch betreut wurden. Jenen, die hier tätig waren, hat Prof. Hollmann eine andere, erweiterte Sichtweise über das Leistungsspektrum und das Aufgabengebiet des Faches Kieferorthopädie vermittelt.
Er machte deutlich, dass sich die Kieferorthopädie zwei verschiedener Arbeitsmethoden bedient, nämlich der Orthodontie und der Orthognathie. Somit sind für eine umfassende Behandlung Spezialisten auf dem Gebiet der apparativen Kieferorthopädie sowie solche auf dem Gebiet der chirurgischen Kieferorthopädie erforderlich. Gemeinsam sollen sie jene Probleme unseres Faches lösen, die eine Disziplin alleine nicht lösen kann. Über die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopäden und Kieferchirurgen gibt es prinzipiell keine Meinungsverschiedenheit. Auffassungsunterschiede über das Behandlungsziel und über die Methoden, wie dieses erreicht werden kann, sind aber häufig ein Grund, warum diese schließlich nicht angestrebt wird. Für Prof. Hollmann beruhten diese unterschiedlichen Meinungen auf den verschiedenen Erfahrungen bezüglich des Machbaren, der therapeutischen Grenzen und auf den dadurch geprägten Denkmustern in der Orthodontie und in der Chirurgie. Daher forderte er eine einheitliche Diagnostik und Behandlungsplanung für die apparative und die chirurgische Kieferorthopädie und mindestens ein verpflichtendes Jahr Tätigkeit in einer Abteilung des jeweils anderen Fachbereiches.
Für die Diagnostik hat Prof. Hollmann den grafischen Ist-Soll-Vergleich empfohlen. Das ist eine für den konservativen wie für den chirurgischen Kieferorthopäden verlässliche und brauchbare Analysemethode. Damit werden am seitlichen Fernröntgen die skelettalen und dentalen Abweichungen objektiviert, und das Behandlungsziel wird unabhängig von therapeutischen Überlegungen sichtbar gemacht. Er zeigte auch den Kieferorthopäden, wie die notwendigen operativen Behandlungen durchgeführt werden, damit im zweiten Schritt die richtige Therapie gewählt werden konnte.
Wir alle konnten von Prof. Hollmann viel lernen, nicht nur das Fachliche, sondern auch sehr viel Wesentliches und Wichtiges für den gesamten ärztlichen Tätigkeitsbereich.

Leuchtende Tage –
Nicht weinen, dass sie vorüber,
sondern Lächeln, dass sie gewesen.

Konfuzius

MR Dr. DORIS HABERLER
niedergelassene
Kieferorthopädin in Wien

office@dr-haberler.at

Univ.-Prof. Dr. Karl Hollmann