Fallbericht - Kieferorthopädie in der Praxis:

Zuletzt berichteten verschiedene Tageszeitungen über zwei Wiener „Schönheitschirurgen“, die vom Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer verurteilt worden waren. Vorgeworfen wurde ihnen ein Verstoß gegen die Werbebeschränkungen des § 53 der Richtlinien „Ärzte und Öffentlichkeit“. Tatsächlich, so konnte ich in den Medien nachlesen, handelt es sich hier um einen tiefer liegenden Konflikt, eine Art Religionskrieg zwischen plastischen Chirurgen und Kiefer- und Gesichtschirurgen. 

Als Kieferorthopädin, die sich so wie die oben erwähnten Fachdisziplinen mit der Ästhetik des Gesichtes beschäftigt, stimmt mich die Meinung des Journalisten, dass es sich hier um einen „Branchenstreit ums Klientel“ handelt, nachdenklich. Gleichgültig wie man zur Selbstvermarktung steht, es ist notwendig und sinnvoll, die Öffentlichkeit über aktuelle Leistungen und neue Entwicklungen in der Medizin zu informieren. Schließlich kann ein Patient, sofern er dann mit seinem Anliegen einen Spezialisten aufsucht, erwarten, dass dieser nach dem Stand des Wissens korrekt behandelt und, falls das Problem in ein anderes Fachgebiet fällt, entsprechend zuweist. Über Schwierigkeiten, die trotz allem auftreten können, möchte ich anhand eines konkreten Fallbeispiels berichten.

Fallbeispiel

Die Patientin suchte mich vor zehn Jahren zum ersten Mal im Alter von 20,7 Jahren auf. Sie war nicht nur mit ihrer Zahnstellung, sondern mit dem Aussehen des gesamten Mundbereichs nicht zufrieden und äußerte gleichzeitig, dass sie ihr Kinn zu prominent fände.
Tatsächlich war die Maxilla gering hypoplastisch, links mehr als rechts, die Mandibula war leicht asymmetrisch und etwas progen und die anteriore Okklusionsebene war schief. Weiters zeigte sich ein Kreuzbiss links, eine Verschiebung der unteren Zahnmitte nach links und ein offener Biss.

Menschen, die mit ihrem Aussehen nicht zufrieden sind, können in den seltensten Fällen richtig beurteilen, wo die Ursachen ihres Problems liegen und wie sie behoben werden können. Sie vertrauen daher, auch wenn sie ausreichend aufgeklärt sind, den Empfehlungen ihres Arztes. „Für die Behandlung Ihrer skelettalen und dentalen Abweichungen benötigen Sie eigentlich eine kombinierte kieferorthopädisch-chirurgische Behandlung“, informierte ich daher meine Patientin richtig. Damals riet ich aber zu einer rein okklusalen Therapie zur Verbesserung der Mundästhetik, weil in meinen Augen die Beeinträchtigung der Gesichtsästhetik zu gering war, um eine bimaxilläre Osteotomie zu rechtfertigen, und auch  meine Patientin willigte schließlich in diesen Behandlungsvorschlag ein und war am Ende der Multibracketherapie mit dem Ergebnis, so hoffte ich, zufrieden.

Sieben Jahre später, im Alter von 27,5 Jahren, äußerte die Patientin den Wunsch nach einer neuerlichen Behandlung. In der Zwischenzeit war ein okklusales Rezidiv aufgetreten. Tatsächlich war sie aber nach wie vor mit ihrem Aussehen unzufrieden. Nach einer ausführlichen Besprechung einigten wir uns daher diesmal auf ein kombiniertes kieferorthopädisch-chirurgisches Vorgehen.

Eines Tages, ein Operationstermin war bereits fixiert, kam sie mit einer unnatürlich vergrößerten Oberlippe in die Ordination. „Ich hatte plötzlich sehr große Angst vor der Kieferoperation und habe gehofft, dass ein plastischer Eingriff an der Oberlippe, der weit weniger invasiv ist, ebenfalls zu den von mir gewünschten Ergebnissen in diesem Bereich führen würde“, erklärte sie ihr Handeln. Und weil das in ihrer Situation nicht der Fall war, war sie nun froh, dass die Veränderung vergänglich sein würde.

Ich beendete die kieferorthopädische Behandlung wie ursprünglich geplant nach der vom Kieferchirurgen Prof. Werner Millesi durchgeführten bimaxillären Operation und es ist zu hoffen, dass nun die Patientin auch langfristig mit dem Ergebnis zufrieden ist. Denn wenn ästhetische Eingriffe im Gesicht durchgeführt werden, nicht um das Leben zu verlängern, sondern um die Lebensqualität zu verbessern, ist für den Erfolg fachliche Kompetenz und die richtige Beurteilung der Psyche des Patienten erforderlich.

MR Dr. DORIS HABERLER
niedergelassene
Kieferorthopädin in Wien
office@dr-haberler.at

Bilderserie zum Fallbeispiel:

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