Aus der Sicht der erfahrenen Kieferorthopädin - Knirscherschiene und/oder Schuheinlagen:

Eine indizierte und richtig gemachte Schiene ist eine großartige Entlastung für den Patienten. Wer vorher unter den Folgen des Bruxismus gelitten hat, liebt seine Schiene. Meine Patienten stehen nochmals auf, wenn sie ihre Schiene im Bad vergessen haben, und nehmen sie überallhin mit. Einige wollen sogar eine zweite Schiene, falls ihre „Teeth-Pyjamas“ einmal brechen sollten.

Stress und übermäßiges Knirschen nehmen zu, entsprechend steigt die Zahl der Schienenpatienten. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass wir eine Schiene anfertigen, die nicht geliebt und kaum getragen wird. Es ist also sinnvoll, mit Anamnese und einfachen orthopädischen Untersuchungen abzuchecken, ob sich Aufwand und Kosten einer Schiene im Einzelfall lohnen.

Der einfachste Fall ist, dass dem Patienten der Stress bewusst und dass er zeitlich begrenzt ist, d.h. die Leute knirschen etwa vor Prüfungen. Dabei sind lediglich die physiologischen nächtlichen Knirschphasen verlängert. Meist genügt hier die Gabe von Magnesium oder Schüßler-Salz Nr. 7 (Magnesium phosphoricum D6, 2x2 Tabl.). Bei starken Beschwerden kann man eine dicke Tiefziehfolie anfertigen oder ein Gelkissen (z.B. Aqualizer) als provisorische Schiene tragen lassen. Dies sollte aber nur für maximal zwei Monate zur Anwendung gelangen, elastische Aufbissbehelfe können kieferorthopädische Wirkungen haben. Begleitend Akupunktur und/oder Physiotherapie, wenn es zeitlich möglich ist.
Patienten, die zur Beratung bezüglich einer Schiene kommen, klagen über Kopf,- Nacken- und Rückenschmerzen, aber auch Einschlafen der Hände, Trigeminusschmerzen, Sehstörungen oder Tinnitus. Komplizierte Verschaltungen im Körper versuchen, die Muskelketten, die über den gesamten Körper ziehen, im Gleichgewicht zu halten und im Stehen die Pupillarebene parallel zum Untergrund einzustellen. Für den aufrechten Gang haben wir eine extrem hohe Propriozeptorendichte in Fußsohlen, Parodont und Kiefergelenk.
Jeder Fehler im System wird über Wirbelsäule und Muskulatur an alle Körperebenen weitergegeben und jeweils gegengesteuert. Das heißt, ein Teil unseres Statiksystems arbeitet rund um die Uhr an Haltungskorrekturen. Das schränkt unsere Kompensationsfähigkeit und Konzentration ein und verhindert die nächtliche Tiefenentspannung und Erholung.
Natürlich sehen wir Okklusionsfehler im Mund, lokalen parodontalen Abbau, wir bemerken Muskelasymmetrien, Öffnungsabweichungen und Kiefergelenksgeräusche.
Aber manchmal wollen wir wissen, ob diese Bisslage auch an orthopädischen Beschwerden schuld ist. Wir können solche Zusammenhänge gut mit kinesiologischen Testverfahren erfassen, noch einfacher und für Patienten sehr eindrucksvoll sind einige orthopädische Untersuchungen:

Haltungsanalyse: Am stehenden Patienten betrachten wir Okklusions-ebene, Schultern und Becken. Interessant ist auch eine unterschiedlich hohe Lage der Hände sowie Abstehen der Schulterblätter. Einige Kieferorthopäden haben an einer Wand ein Karomuster angebracht (Quadrate mit 10 cm Seitenlänge), um Höhendifferenzen besser zu sehen. Bei vielen Patienten ist bereits durch einfache Maßnahmen eine Verbesserung von Schieflagen zu sehen: Einlegen von Watterollen zwischen den Zahnreihen oder einseitiges Unterlegen von Papierschichten unter ein Bein. Bei Kindern und Jugendlichen kann man sofort einen echten Ausgleich erreichen. Die Veränderung wird deutlicher, wenn wir die Patienten zur Neuorientierung der Muskeln ein paar Schritte gehen lassen.

Rotationstest: Der Zahnarzt steht hinter dem Patienten und legt die Hände auf die Schultern. Der Patient soll den Kopf möglicht weit nach rechts und links drehen und sich merken, wie viel er vom Zahnarzt sehen kann. Dann werden zwei Watterollen eingelegt und der Vorgang wird wiederholt. Wenn die Blockierung des Bisses die Rotationsfähigkeit deutlich erhöht, ist der Patient hoch motiviert, eine Schiene zu tragen.

Meerssemanntest: Eine Variante des Vorlauftests. Darunter versteht man, dass bei Rumpfbeugung die Beckenknochen unterschiedlich rotieren, eine Spina iliaca damit schneller und stärker verschoben wird. Am einfachsten für Zahnärzte ist es, die reflektorische Beinlänge zu kontrollieren: Der Patient liegt am etwa 60° gekippten Zahnarztstuhl und soll sich (ohne Hilfe der Hände) aufsetzen, der Zahnarzt hat die Hände auf die Fußknöchel gelegt.
1. mit offenem Mund – meist sind die Knöchel gleich hoch
2. mit festem Zubeißen – bei Okklusionsstörung wird ein Bein reflektorisch kürzer
3. Biss auf Watterollen – Beinlänge wieder ausgeglichen

Zwischen den Varianten soll der Patient das Gesäß heben und schlucken, um fixierte Bewegungsmuster zu lösen.
Auch dieser Test ist sehr eindrucksvoll für Patienten und Begleitpersonen.
Einige Orthopäden arbeiten auch damit, sie wollen eben nicht sinnlose Einlagen herstellen. Außerdem ist die Beinlängendifferenz durch die Muskelverspannung oft so stark, dass manche Orthopäden bereits operative Korrekturen vorgeschlagen haben, obwohl die Therapie der Wahl eigentlich eine kieferorthopädische oder Schienentherapie wäre.

Weitere orthopädische Möglichkeiten wären Außenrotation und Abduktion der Beine. Auch die Überprüfung des craniosacralen Rhythmus ist möglich.

Alle diese Tests können auch zur Überprüfung des Konstruktionsbisses und der (frisch eingeschliffenen) Schiene eingesetzt werden. Bei allen kinesiologischen Tests kann man durch festen Biss und Blockade mit Watterollen den Einfluss der Bisslage überprüfen. Aufsteigende Probleme (Fußgewölbe) sind beim Testen im Liegen verschwunden.

Natürlich gibt es auch Patienten, die tagsüber Einlagen und nachts eine Schienen brauchen, etwa 80% haben Probleme „an beiden Enden“, die Osteopathen sprechen von gemischten Ketten. Bei den meisten Patienten ist es aber sinnvoll, die stärkste Störung zu ermitteln und nur dann eine Schiene zu machen, wenn die einfachen Haltungstest Erfolge versprechen.

MR Dr. EVA-MARIA HÖLLER
Zahnärztin und Kieferorthopädin in Wien
Schwerpunkt: Komplementärverfahren
Gerichtlich beeidete Sachverständige mit Zusatzbezeichnungen
Kieferorthopädie und Komplementärverfahren
ordi.hoeller@aon.at

Der Rotationstest kann Patienten überzeugen