Mundschleimhaut: Viren der Herpesgruppe und ihre Manifestation auf der Mundschleimhaut

Die orale Mucosa als Reservoir und Manifestationsort viraler Infektionen.

Mikrobiell ausgelöste Entzündungen der Mundschleimhaut sind bei immunkompetenten gesunden Menschen relativ selten. Ist allerdings die Abwehrlage durch Erkrankungen des Gesamtorganismus wie chronische Infektionen, Stoffwechselstörungen oder konsumierende Erkrankungen geschwächt, kommt es nicht selten zu viralen und Schleimhautveränderungen. Prädisponierend sind dabei Störungen der lokalen und systemischen Immunabwehr. Diese können angeboren oder erworben sein. Gerade mit der letzteren Gruppe ist der Zahnarzt immer häufiger konfrontiert. Hierzu zählen Patienten mit laufenden oder erst kurzfristig beendeten Chemotherapien, Patienten mit Autoimmunerkrankungen bzw. Rheumatiker unter immunsuppressiver Therapie wie Cortison oder Methothrexat und auch Organtransplantierte. Hinzu kommt die Gruppe mit erworbener Immunschwäche (HIV).

Herpesviren als Indikator für Störungen des Immunsystems

Diese Erreger manifestieren ihre Krankheitsbilder entweder primär auf der oralen Mucosa oder aber entwickeln auf dieser parallel zu anderen Organmanifestationen charakteristische Läsionen.
Alle Herpesviren sind DNA-Viren mit doppelsträngigem Genom und gehören zur Familie der Poxviridae. Sie sind streng wirtspezifisch und werden nur innerhalb derselben Art übertragen. Eine Ansteckung von Tier auf Mensch ist nicht möglich. Alle haben die Eigenschaft, nach erfolgter Primärinfektion in bestimmten Wirtszellen zu persistieren. Eine Reaktivierung bei schlechter Immunlage ist dann in unterschiedlichem Ausmaß jederzeit möglich.
Die Herpesvirengruppe lässt sich hinsichtlich der Teilungsaktivität der Erreger und ihrer Assoziation mit bestimmten Krankheitsbildern in drei Gruppen einteilen.

1. Die Gruppe der Alpha-Herpesviren

beinhaltet an humanpathogenen Spezies das Herpes-Zoster-Virus  und die Herpes-simplex-Gruppe mit HSV1 und HSV2, wobei Letzteres vor allem auf der genitalen Schleimhaut vorkommt - in Ausnahmefällen aber auch die orale Mucosa befallen kann. Die Ansteckung mit HSV erfolgt meist bereits im Kindesalter; die Durchseuchung der Bevölkerung in westlichen Ländern beträgt bis zu 90%. Normalerweise verläuft die Primärinfektion weitgehend asymptomatisch, nur in seltenen Fällen kommt es zu einer generalisierten Gingivostomatitis herpetica. Die Viren persistieren anschließend im Ganglion trigeminale. Bei Reaktivierung kommt es meist zu den typischen Fieberblasen in Form eines Herpes labialis. Begünstigt werden solche Herpesschübe durch Belastungen des Immunsystems infolge von Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten, Stress und UV-Licht etc. Bei ausgeprägter Immunschwäche kommt es allerdings auch im Erwachsenenalter zu Gingivostomatitis herpetica. Im Mund des Patienten findet der Arzt meist kraterförmige Ulzerationen als Reste der bereits geplatzten Bläschen. Hier muss differenzialdiagnostisch immer die nicht infektiöse und damit auch nicht ansteckende aphthöse Stomatitis abgeklärt werden. Einen ersten Hinweis kann bereits ein einfacher zytologischer Abstrich bringen. Die virusveränderten Epithelien zeigen große Zellkerne mit randlichen Verdichtungen des Chromatins und Kerninklusionen (Eulenaugenzellen).
Weiters zählt das Varicella zoster - Virus zu dieser Gruppe. Es löst im Kindesalter die Windpocken, bei Erwachsenen die gefürchtete, äußerst schmerzhafte Gürtelrose aus. Die Viruspartikel persistieren hier entweder in den Dorsalganglien der Spinalnerven oder aber in den extramedullären Ganglien der Gehirnnerven. Betreffen sie nun den zweiten oder dritten Ast des Nervus trigeminus, also N. maxillaris und/oder N. mandibularis, können charakteristische Läsionen auf den oralen Schleimhäuten auftreten. Die typischen Bläschen bestehen nur sehr kurze Zeit, platzen dann auf und hinterlassen flache, fibrinbelegte Ulcera, welche bei entsprechend schlechter Immunlage ausgedehnte Läsionen bilden. Betroffen sind je nach Nervenbefall der weiche Gaumen, die Gingiva des Ober- oder Unterkiefers, die Uvula, die Wangenschleimhaut, Zunge und Mundboden. Auch beim Zoster oticus können Ulcera auf den vorderen zwei Drittel der Zunge auftreten. Bei Zoster im Bereich des N. glossopharyngeus sind die Zungenbasis und auch die Epiglottis des Kehlkopfes betroffen.
Bei beiden Viren der Alphagruppe können lokale schmerzlindernde Therapien (z. B.  Spülungen mit lidocainhaltigen Lösungen) sowie lokale oder bei Bedarf systemische Gaben von Aciclovir angewendet werden. Der Wirkstoff ähnelt Desoxyguanosin der G-DNS der Viren. Die Thymidinkinase des Herpesvirus kann den Wirkstoff nicht von Guanosin unterscheiden; es entsteht Aciclovirtriphosphat, welches dann in das Virengenom eingebaut wird und dieses letztendlich deaktiviert.

2. Die Beta-Herpesviren - Viren mit langsamen Teilungszyklen

Hierzu gehören das Cytomegalievirus (CMV) oder Humanes Herpesvirus 5 (HHV5) und  HHV 6, der Erreger  der Ptyriasis rosea und des Dreitagesfiebers von Kindern, welcher für die orale Schleimaut keine Bedeutung hat.
Cytomegalieviren werden durch Blutprodukte, aber auch durch Speichel übertragen. Die Erstinfektion verläuft auch hier meist uncharakteristisch mit milden Grippesymptomen. Bei Immungeschwächten und Transplantierten sind allerdings Reaktivierungen gefürchtet, da sie lebensbedrohliche Krankheitsbilder mit Pneumonie, Myo- und Endocarditis und schweren Diarrhoen hervorrufen können. Auf der Mundschleimhaut können sich ausgedehnte Ulcera bilden, aus welchen CMV-Partikel isolier- und nachweisbar sind. Bei schweren Verlaufsformen parodontaler und gingivaler Erkrankungen wie ANUG und/ oder ANUP finden sich enge Assoziationen zwischen dem Auftreten von CMV, aber auch HSV und EBV  mit Porphyrominas gingivalis und Treponema denticola.
Bei gemeinsamen Vorkommen von CMV und HSV sollte eine Therapie mit Gancivlovir in Betracht gezogen werden.

3. Gammavirinae und maligne Tumoren

Die humanpathogenen Vertreter sind das Epstein-Barr-Virus (EBV, auch HHV 4) sowie HHV8, welches in Zusammenhang mit HIV zu Kaposi-Sarkomen, Lymphomen und Morbus Castleman führen kann.
EBV wird ausschließlich durch Speichel übertragen und verursacht bei vorwiegend jungen Menschen die infektiöse Mononucleose. Der Übertragungsmechanismus hat dieser Krankheit die Bezeichnung „kissing disease" eingetragen. Die Erkrankung geht mit grippeartigen Symptomen, Fieber, Lymphadenopathie, in schweren Fällen auch mit Spleno- und Hepatomegalie einher und kann bis zu mehreren Wochen andauern.
Der Zellbefall der Viren läuft in zwei Phasen ab: Die Viruspartikel befallen die Schleimhaut des Oropharynx, vermehren sich in den Epithelzellen, lysieren diese und dringen nach Freisetzung in weitere Wirtszellen ein. In der zweiten Phase befallen sie B-Lymphocyten der regionären Lymphknoten und regen diese an, Tochterklone zu bilden. In den meisten Fällen werden diese Prozesse über die T-Killerzellen in Zaum gehalten. Bei Immunschwäche kann es jedoch zur Entstehung von Lymphomen kommen. Von Bedeutung ist hierbei das Burkitt-Lymphom, welches besonders im afrikanischen Raum verbreitet ist. Im asiatischen Raum wurden Zusammenhänge von EBV mit nasopharyngealen Tumoren nachgewiesen. Neuere Arbeiten zeigen auch Zusammenhänge mit oralen Plattenepithelkarzinomen bei gemeinsamem Auftreten mit HPV (Human Papilloma Virus) des High- risk-Typs 16 auf. Bei Organtransplantierten unter immunsuppressiver Therapie kommt es bei EBV-Infektionen zu einer Post-Transplantations-Lymphoproliferation ( PTLD).
Auf der Mundschleimhaut finden sich bei einem Teil der Erkrankten primäre Läsionen, wie petechiale Blutungen am weichen Gaumen, an Wangen und Zunge; seltener auch eine aphthoide Stomatitis oder ein makuläres Enanthem. Eine bestehende Gingivitis kann unter EBV- Einwirkung exazerbieren. In Zusammenhang mit HIV-Infektionen, aber auch bei anderen Immundefekten kann eine Haarleukoplakie auftreten. Diese ist an sich harmlos und keine Präkanzerose, jedoch Ausdruck des nur mangelhaft funktionierenden Abwehrsystems.
Neben Herpesviren können auch andere virale Infektionen, wie Influenza, Röteln, Masern etc. zu passageren Reaktionen der Mundschleimhaut führen, was einmal mehr die Bedeutung oraler Schleimhautveränderungen für Allgemeinerkrankungen des Organismus unterstreicht.

Ch. Eder, L. Schuder

Mikroskopische Aufnahme von Herpesviren