Kieferorthopädie in der Praxis

Der Beginn eines Jahres ist Anlass, noch einmal zurück, vor allem aber auch nach vorne zu schauen. Ich möchte daher Ihr Augenmerk auf die Veränderung in der kieferorthopädischen Diagnostik richten. Schritt für Schritt werden hier die herkömmlichen Planungsunterlagen wie Fotos, Röntgenbilder und Modelle von digitalen Medien ersetzt.

In den letzten zehn Jahren haben die kieferorthopädischen Praxen langsam, aber sicher von analogen auf digitale Fotos umgestellt. Die Vorteile sind überzeugend: Abgesehen von den Anschaffungskosten für die Kamera und einen Computer entstehen keine weiteren Kosten, und es kann für den einzelnen Patienten eine große Anzahl von Bilder mit hoher diagnostischer Aussagekraft erstellt werden, die zudem sofort verfügbar sind. Eine ähnliche Entwicklung hin zur Digitalisierung zeigt sich auch bei den Röntgenbildern. Um das Gebiss mit den Zahnwurzeln als digitales 3D-Modell vollständig darstellen zu können, werden neuerdings CBCT-Scanner (Cone Beam CT) angeboten, die auch im Hinblick auf die Anschaffungskosten für die Allgemeinpraxis von Interesse sind. Wegen der derzeit noch hohen Strahlenbelastung sollte ihr Einsatz für diagnostische Zwecke in der Kieferorthopädie nur für spezielle Fragestellungen genutzt werden, wie z.B. zur Beurteilung der Lage von retinierten Zähnen im Kiefer und zu den benachbarten Wurzeln sowie von Wurzelresorptionen. Die bedeutendste Veränderung in der Praxis wird aber das kommende Jahr bringen. Es werden geeignete Scanner zur Verfügung stehen, die Zähne und Gingiva entweder von den Gebissabdrücken oder direkt im Mund erfassen. Die virtuellen Modelle können dann dreidimensional am Computer visualisiert, vermesssen, bearbeitet und gespeichert werden. Digitale Modelle haben für die Fallplanung zusätzlich den Vorteil, dass unterschiedliche Behandlungsziele direkt am Computer sichtbar gemacht werden können, was ich an einem Fallbeispiel zeigen möchte:

in der unteren Front, der sich nach Meinung des Patienten in den letzten Jahren verschlimmert hatte. Die oberen Frontzähne zeigten eine geringe Irregularität, ansonsten bestand eine Regelverzahnung mit einer Tendenz zu Klasse III.
Das erste visualisierte Behandlungsziel zeigt die gewünschte transversale Verbreiterung. Die Retrusion der oberen Einser und eine approximale Schmelzreduktion (ASR) von 0,50 mm im Unterkiefer wollten wir aber vermeiden.

Wegen der Klasse-III-Tendenz sollte die obere Front zusätzlich prokliniert werden. Ein Set-up für diese neue Zielvorgabe zeigt, dass dies zu einem Raumüberangebot im oberen Zahnbogen führt, und somit distal der oberen Dreier Lücken verbleiben. Die Platzbeschaffung im Unterkiefer ist dafür aber ohne ARS möglich.

Bei diesem Plan ist jedoch zu befürchten, dass wegen der eher dreieckigen Zahnformen der unteren Frontzähne die Papillen nach Auflösung des Engstandes die Zahnzwischenräume nicht vollständig ausfüllen. Wir wählten daher ein definitives Ziel, das eine Verbreiterung und eine geringe Protrusion im Oberkiefer vorsah, einen Zahnzwischenraum von 1,5mm distal der oberen Dreier und ARS in geringerem Ausmaß im Unterkiefer.
Die klinischen Bilder zeigen, dass der gewählte Behandlungsweg umgesetzt werden konnte. Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Fallplanung in Zukunft vollständig am Computer stattfindet. Dabei gefällt mir am Besten die Vorstellung, dass ich mir dann keine Gedanken mehr über den Stauraum für meine Modelle machen muss, weil ich für alle die Patienten betreffenden Unterlagen nur mehr eine kleine Festplatte benötige.

Prim. Dr. Doris Haberler

 

Abb. 1: Abb. 1: frontale Ansicht der Ausgangssituation des virtuellen Modells*

 

Abb. 2: Die Veränderung der Zahnfarbe zeigt die Bewegungen von der Ausgangssituation (blau) zur Zielvorgabe (weiß). Die Linien zeigen zu den Zahnzwischenräume, wo ASR nötig ist, das jeweilige Ausmaß ist darunter angegeben*

 

Abb. 3: Alle Zähne sind nach buccal bewegt worden (weiß), die Lücken distal der Dreier sind in dieser Ansicht nicht zu sehen, kein ASR im Unterkiefer*

 

Abb. 4: Weniger Verbreiterung, besonders der unteren Eckzähne und ASR maximal 0,3 mm*

 

Abb. 5 a und b: Okklusale Ansicht vor Beginn der Behandlung

 

Abb. 6 a und b: Okklusale Ansicht nach Ende der Behandlung *

Abbildungen aus der ClinCheck®- Software, Align Technology Inc.