Antwort: Zahnheilkunde: Frust oder Lust?

Sehr geehrter a.beobachter,
werter Kollege!

Leider schreiben Sie anonym, was einen Dialog erschwert. Ich glaube aber zu wissen, wer Sie sind. Es wäre durchaus spannend, in einer Art Glosse „pro und kontra" die Meinungen sachlich aufeinanderprallen zu lassen.

Der Ausdruck Gazetten ist nicht abwertend gemeint. Die Damen Dr. Snizek und Frau Rohrmoser, die ich persönlich kenne, erfreuen sich durchaus meiner Wertschätzung. Gleichzeitig verwehre ich mich, die ÖZZ in die Nähe einer Funktionärsjubelpostille zu rücken.

Sie engagieren sich standespolitisch, das ehrt Sie.

Es liegt mir fern, Kollegen, noch dazu wenn sie betonen, dass sie mir eine Wertschätzung entgegenbringen, zu kränken. Ich bin sicher sehr direkt, was manchmal als schroff empfunden wird, aber Kränkung ist nicht meine Absicht.

Nun zur Sache: Sie werden staunen, ich geben Ihnen in vielen Punkten recht. Insbesondere in Bezug auf die Kassentarife, wobei wir hier unterscheiden müssen, die alten Positionen, die von jeher galten, und die neuen (wobei neu ein relativer Begriff ist, sie sind auch schon fast 20 Jahre alt), die Westermayer Anfang der 1990er Jahre verhandelt hat. Diese sind klar besser. € 16,30 inkl. Anästhesie für eine Extraktion eines Zahnes sind ein Hohn und decken nicht die Kosten für die Vorbereitung der Instrumente (desinfizieren, reinigen, einschweißen, sterilisieren, aufdecken usw.). Im Prinzip eine Frechheit! Die Endodontietarife sind skandalös und dienen nicht der Erhaltung der Zähne der Patienten. Ich habe sie schon mehrfach in Artikeln den schwedischen Tarifen gegenübergestellt, diese sind fünffach höher! Die Liste ist durchgehend.

Bereits Anfang der 1990er Jahre haben meine Mitstreiter und ich öffentlich von den nicht kostendeckenden Kassentarifen und der Quersubventionierung durch die Privattarife gesprochen, nicht zur Freude aller Kollegen. Mehrere Disziplinarverfahren gegen mich waren die Folge. Mein Einstieg in die Standespolitik war geprägt von einem erbitterten Kampf Wien - Salzburg, der mit einer Härte geführt wurde, die mich heute rückblickend noch erschauern lässt.

Viele Kollegen, vielleicht sogar die überwiegende Mehrheit, träumte damals von den „goldenen" deutschen Verhältnissen „alles in den Vertrag" und hatten mit meiner Devise „keine neue Positionen in den Vertrag, bevor die alten nicht kostendeckend bezahlt werden" nichts am Hut. Es flogen die Fetzen und „Hackeln". Heute brauchen wir nur über die Grenzen schauen oder die Migrationszahlen betrachten, dann wissen wir, dass dies der falsche Weg gewesen wäre.

Erst als ich dank eines überraschend guten Wahlergebnisses Vizepräsident der Ärztekammer für Salzburg wurde, setzten wir uns an einen Tisch, begruben eigentlich sehr großzügig unsere Gegnerschaft und versuchten, unsere Kräfte zu bündeln und gemeinsam für die Kollegenschaft etwas zu erreichen. Ja, es entstanden aus diesem Streit sogar Lebensfreundschaften. Wir hatten nämlich alles das gleiche Ziel: das Wohl der Zahnärzteschaft. Das Wichtigste, nämlich ein Instrument zu schaffen, womit wir unsere Interessen selbstständig durch- und umsetzen können, ist uns gelungen: die eigene Kammer.

Nun zurück zu den Kassentarifen. Wie sollen wir revolutionär höhere Tarife (denn nur solche machen Sinn) erreichen? Zuerst: die Honorarerhöhung ist an einen Automatismus gebunden, der Teil des Vertrages ist und aus der Ärztekammerzeit stammt, der Faktor richtet sich nach der Honorarerhöhung der anderen Ärztegruppen. Sinnlos, völlig widersinnig, aber um es zu ändern, bedarf es auch des Vertragspartners und der wird seinen Vorteil nicht freiwillig aus der Hand geben. Auf Seiten des Vertragspartners sitzen die Chefzahnärzte (außer in Salzburg, da sitzt ein Chefarzt), die immer noch behaupten, ihre Ambulatorien wären nicht defizitär und man könnte mit diesen Tarifen kostendeckend arbeiten, was ich persönlich bezweifle. Zu meinem Erstaunen werden aber diese Leute immer wieder von Teilen der Kollegenschaft hofiert, anstelle mit ihnen Tacheles zu reden.

Wie wollen Sie höhere Kassentarife erreichen, wenn die Zahnärzte immer noch an der Spitze der Einkommenspyramide angesiedelt sind und es niemand begreift, dass es sich dabei um ein Betriebsergebnis und nicht um das privat verfügbare Einkommen handelt? Als ich vor kurzem dem Gesundheitsminister den Unterschied zwischen Betriebsergebnis und privat zur Verfügung stehenden Einkommen der Freiberufler erklären wollte, fiel mir ein Spitzenfunktionär ins Wort „es gehe den Zahnärzten nicht so schlecht". Er muss also zufriedene Kollegen haben. Die Kassentarife sind jedoch sicher nicht kostendeckend, das zeigen neue Kemmetmüller-Studien ganz genau. € 5,- Kosten pro Minute sprechen eine deutliche Sprache. Aber wie ändern? Wie?

Sie schlagen einen vertragslosen Zustand vor. Ich gehöre zu denen, die 1973 am Anfang meiner Praxis stehend einen mitgemacht haben. Ich war mit meinem Vater, der eine klassische Kassenpraxis führte, in einer Praxis. Das war auch der Grund, warum ich damals einen Vertrag unterzeichnete, obwohl viele meiner Freunde mit Privatpraxen weniger arbeiteten und besser verdienten. Das sind Fakten aber etwas soziales Engagement schadet niemandem.

Im vertragslosen Zustand war schön zu beobachten: die Kassenpraxis meines Vaters brach ein, es war halt deutlich weniger zu tun. Die höheren Tarife konnten dies nur zum Teil ausgleichen. Ich persönlich hatte wesentlich mehr Privatleistungen. Ich habe den vertragslosen Zustand in guter Erinnerung. Weniger Arbeit, kein Stress, gleiches bis sogar mehr Einkommen.

Ein vertragsloser Zustand löst das Problem nicht. Die Patienten wissen, dass er irgendwann einmal zu Ende geht und warten ab. Die Kassen sparen sich dadurch große Summen. Sie können im vertragslosen Zustand die Ambulatorien erweitern, sind also die ganz großen Nutznießer. Den schwarzen Peter in der Bevölkerung haben allerdings wir. Ein vertragsloser Zustand ist nicht populär und die Medien sind mit Sicherheit auf der anderen Seite. Zu allem Überfluss gab es auch so genannte „Schwarzabrechner", die Geheimabkommen mit der Kasse abschlossen. Auch wenn es nicht die besten und ehrlichsten Kollegen waren, die die Situation ausnützten, die Kassen ließen diese so genannten „Streikbrecher" gerne gewähren, solange sie uns schadeten.

Wie war es in Vorarlberg mit dem vertragslosen Zustand? Anfänglich 75 % Wahlärzte, 25 % Direktverrechner, heute, soviel ich weiß, genau umgekehrt. Nein, der vertragslose Zustand ist meiner Meinung kein geeignetes Mittel.

Nahe kommen Sie der Problematik mit den Wahlzahnärzten. Übrigens, Ablöse für eine Kassenpraxis, wie Sie andeuten, das war vielleicht einmal. In Salzburg sind Kassenpraxen Ladenhüter, nicht an den Mann/die Frau zu bringen. Aber Wahlzahnarzt, das kann durchaus die neue Linie werden. In der Stadt Salzburg sind 50 % der Kollegen Wahlzahnärzte. Kooperationsmodelle, Gerätegemeinschaften usw., das klingt nach Zukunft. Hier müssen wir trachten, dass dieser Bereich nicht (wie es schon vorkommt) von Branchenfremden besetzt wird und die Zahnärzte nur mehr als Angestellte fungieren. Deshalb habe ich eine zahnärztliche Genossenschaft gegründet, dass Kollegen es selbst in die Hand nehmen können (Modell Schweden). Das heute sehr erhebliche Startrisiko könnte minimiert werden und die zahnheilkundliche Tätigkeit bleibt bei den Zahnärzten. Hier sehe ich Handlungsbedarf und hier werde ich mich nun nach Beendigung meiner standespolitischen Tätigkeit einbringen. Zum Wohle des Standes, wie ich hoffe.

Aber wenn wir Zahnärzte wirklich zusammenhalten, wovon ich immer noch träume, ja dann, dann sind wir eine Macht, an der keiner vorbeikommt. Ja, und wie kommen wir jetzt zu kostendeckenden Kassentarifen, auf dass man - wie Sie schreiben - auch mit reeller Arbeit so richtig ehrlich echter Zahnheilkunde ohne Schnickschnack leben kann, wenn der Vertragspartner (der, der ja zahlen soll) immer nur nein sagt. Im Gegenteil: die Leute des Hauptverbandes machen sich nur Gedanken, wie man den Vertrag noch weiter verschlechtern kann (Interpretationskatalog).

Was also tun? Es gäbe eine Möglichkeit, nämlich die, dass sich alle Kollegen gemeinsam und gleichzeitig aus dem Vertrag verabschieden. Nicht als vertragsloser Zustand, sondern durch Kündigung der Einzelverträge. Man könnte die Kündigungen der Einzelverträge den Funktionären im Bündel übergeben, dann müsste der Vertragspartner den Ernst der Lage erkennen und sich zu echten Verhandlungen über kostendeckende Tarife für eine gute Basisversorgung herablassen. Denn, wenn alle Kassenzahnärzte gleichzeitig den Vertrag kündigen, fährt das System an die Wand. Jeder Kollege ist aufgerufen, seine Patienten über die Kassentarife und seine Praxiskosten zu informieren und aufzuklären. Ich habe schon vor langer Zeit ein Wartezimmerplakat entwickelt, das die Kassentarife mehrerer europäischer Länder gegenüberstellt. Es bestand jedoch in Funktionärskreisen jedoch Zweifel, ob die Kollegen den Mut besäßen, diese im Wartezimmer auszuhängen. Der Schlüssel zu besseren Kassentarifen ist nur wirkliche Solidarität, geschlossene Reihen, Mut, seinen Unmut auch öffentlich zu zeigen und sich auf keinen Fall in irgendeiner Weise auseinanderdividieren zu lassen. So lange einzelne immer wieder ihre eigenen Süppchen kochen wird es eine wirkliche Änderung nicht geben. Sagen Sie das den Kollegen über Ihre Zeitung!

OMR Dr. Erwin Senoner
5700 Zell/See