Kieferorthopädie in der Praxis

Der Eng- und Schiefstand von Frontzähnen ist ein häufiger kieferorthopädischer Befund. Finden sich solche Stellungsabweichungen im Oberkiefer, werden sie als ästhetisch besonders störend empfunden. Meist erfolgt eine Korrektur der Fehlstellungen spätestens im Jugendlichen- oder jungen Erwachsenenalter. Dagegen wird ein Raummangel im Unterkiefer-Frontzahnbereich in diesem Alter häufig nicht nur von der Allgemeinheit, sondern auch von Zahnärzten als weniger behandlungswürdig eingestuft. Dabei ist zu bedenken, dass der dünne Alveolarknochen der buccal oder lingual stehenden Zähne zu Rezessionen neigt und das ohnehin geringe interradikuläre Knochenangebot durch den Engstand zusätzlich vermindert ist.
Abb.1

Ungenügendes oder falsches Zähneputzen führt später häufig zu parodontalen Problemen, und in der Folge sind ein geschwächter Zahnhalteapparat sowie Habits, wie zum Beispiel Zähneknirschen und Zungenpressen, die Ursache für ein weiteres Abwandern einzelner fehlstehender Zähne.

Da, wie man weiß, von Fünfzig aufwärts beim Sprechen immer weniger von den oberen, dafür aber viel von den unteren Zähne zu sehen ist, werden mit zunehmendem Alter Zahnfehlstellungen hier, besonders wenn sie sich sichtbar verschlechtern, nicht nur funktionell, sondern auch ästhetisch als störend empfunden.

Zu dieser Problematik möchte ich als Beispielfall eine 60-jährige Patientin vorstellen:
 

Abb. 2: Das Zahnröntgen zu Beginn der Behandlung zeigt den Alveolarknochenverlust

Die Frau kam mit einer Lücke bei 41 in meine Ordination und berichtete über den Hergang des Zahnverlustes Folgendes: „Der rechte untere Einser ist schon immer nach hinten ausgeblockt gestanden, da er nicht ausreichend Platz in der Reihe hatte. In den letzten Jahren wurde er zunehmend länger und auch locker. Beim Essen habe ich ihn mir schließlich ausgebissen."

Die Patientin erzählte weiters, dass sie die Fehlstellung vor vielen Jahren korrigiert haben wollte. Der Zahnarzt, den sie damals aufsuchte, meinte aber, dass dies nicht nötig sei und begründete es damit, dass auch er selbst einen unbehandelten Engstand im Unterkiefer habe.

Abb. 4: Die Frontalansicht während der Behandlung.
Jahre später suchte die Patientin nochmals Rat bei einer Zahnärztin und wünschte neuerlich eine Behandlung der unteren Front, da sie mit Sorge beobachten musste, dass sich der parodontale Zustand und die Zahnstellung im Bereiche der unteren Front verschlechterten. Nachdem sie sich zeitgleich selbst den rechten unteren Einser luxiert hatte, stellte sich die Frage, ob ein kieferorthopädischer Schluss der verbliebenen Lücke eine Behandlungsoption wäre.
Abb. 6: Lingualansicht mit geklebtem Retainer

Da der Platz bei 41 bereits vermindert war und die restlichen Frontzähne noch einen Engstand zeigten, riet ich zu einer Behandlung mit einer Multibracketapparatur. Ich erklärte der Patientin, dass dadurch nicht nur die Lücke geschlossen und das Frontzahnsegment gefälliger ausgeformt wird, sondern auch der Parodontalzustand verbessert werden kann. Wir entschieden uns für eine Minimalmaßnahme, bei der lediglich die verbliebenen Frontzähne bewegt werden sollten. Deshalb wurden nur an diesen Zähnen Brackets geklebt. Ein eingebundener Stahlsegmentbogen diente als Führung für die Translationsbewegungen. Mit Hilfsfedern an den der Lücke benachbarten Zähnen als Hebel und mit einem elastischen Faden sollte eine möglichst körperliche Zahnbewegung erreicht werden. Nach sechs Monaten war das angestrebte Behandlungsziel erreicht. Ich entfernte die Brackets und klebte einen lingualen Retainer, um das Ergebnis zu stabilisieren. Die Patientin verbringt derzeit ihre Pension im Ausland und findet seit drei Jahren keine Zeit für eine Nachkontrolle, lässt mir aber telefonisch ausrichten, dass sie mit dem erreichten Ergebnis nach wie vor sehr zufrieden ist.

Primaria Dr. Doris Haberler