Die Zunge ? ein Keimreservoir

Reinfektionen von gingivalen und parodontalen Läsionen können von lingualer Keimbesiedelung ausgehen. Der Großteil der menschlichen Mundhöhle ist von Schleimhaut ausgekleidet. Diese besteht aus mehrschichtigem Plattenepithel, einer kollagenen Lamina propria und dem darunter liegenden lockeren Bindegewebe, der Tela mucosa. Je nach Lokalisation variiert die Schleimhaut hinsichtlich Dicke und Keratinisierung und weist unterschiedliche spezialisierte Strukturen auf.

So besitzt die Zunge verhorntes Plattenepithel mit fadenförmigen, über den gesamten Zungenrücken verteilten Papillae filiformes. Sie verleihen der Zunge ihre charakteristische raue Oberfläche und dienen der Wahrnehmung von Berührung, Temperatur und Schmerz. Daneben findet man spezialisierte sensorische Papillen für die Geschmackswahrnehmung. An den beiden vorderen Zungendritteln befinden sich größere fungiforme Papillen, dorsal davon in V-förmiger Anordnung die Papillae circumvalatae und an den Rändern die Folia linguae. Die gesunde Zunge hat eine gut durchblutete Schleimhaut und weist nur geringe Beläge auf.

Ideale Bedingungen für Bakterien und Pilze
Die stark strukturierte und raue Oberfäche der Zunge ermöglicht oralen Bakterien und Pilzen gute Haft- und Aufwuchsmöglichkeiten. Durch den relativ hohen Zellumsatz, die Abschilferung von verhornten Keratinozyten und die Retention von Nahrungsresten in den Furchen und Unebenheiten des Epithels finden diverse Keime hier geschützte Lebensräume vor. Es finden sich bis zu 100 Bakterien pro Epithelzelle. Etwa 2/3 der gesamten Bakterienflora der Mundhöhle sind nachweislich auf der Zunge angesiedelt. Dies begünstigt die Ausbildung kleinster, in sich sehr komplexer Biotope, die in enger Wechselbeziehung zu den anderen oralen Strukturen stehen. Diese Keime müssen nicht notwendigerweise zu Erkrankungen führen; die meisten von ihnen gehören zur normalen Standortflora, wie etwa Streptococcus salivarius und Streptococcus mitis, welche fast die Hälfte der kultivierbaren Mikroflora ausmachen. Daneben gibt es typische Zungenbesiedler, wie Rothia mucilaginosa, Veilonella spp. und Actinomyceten, vereinzelt auch Hefen, bevorzugt Candida albicans. Die verschiedenen Spezies stehen im Idealfall untereinander im ökologischen Gleichgewicht, ihr Wachstum und ihre Vermehrung wird über Nahrungsangebot sowie gegenseitige Förderung und Hemmung bestimmt. So können bestimmte Streptokokken, wie etwa jene der Mutansgruppe, nur in Gegenwart enzymatisch abbaubarer Substrate wachsen; andere benötigen die Stoffwechselprodukte weiterer Keime für das eigene Wachstum. Wie auch auf anderen oralen Schleimäuten hat der teilweise von den kleinen Speicheldrüsen der Zunge selbst gelieferte Speichel eine regulative Wirkung.

Pathogene Flora durch Störung des biologischen Gleichgewichts
Bestimmte äußere, aber auch endogene Einflüsse können nun kurz- oder längerfristig das Milieu verändern. Dies sind pH-Verschiebungen, Störungen der systemischen und lokalen Immunabwehr, hormonelle Einflüsse, Erkrankungen der Speicheldrüsen und Veränderungen des bakteriellen Milieus durch Antibiotika. Genussmittel wie Tabak und Alkohol begünstigen die überproportionale Vermehrung atypischer, im Normalfall nur in geringer Kolonienzahl nachweisbarer Keime.

Die Biozönose als variables biologisches System gerät vorübergehend aus dem Gleichgewicht und reorganisiert sich dann neu. Dies kann aber entsprechend der neuen Ausgangssituation bedeuten, dass sich auch pathogene und fakultativ pathogene Keime im geschützten Zungenmilieu einnisten können. Sie schädigen hier zwar nur selten die Zungenschleimhaut selbst, bilden aber einen Belag, der als mikrobielles Reservoir Keime in die restliche Mundhöhle streut.

Bei gleichzeitig bereits bestehenden gingivalen und parodontalen Erkrankungen findet ein lebhafter Keimaustausch zwischen Sulcuskeimen und den Keimbiozönosen der Zungenoberfläche statt. Bei Diagnose und Therapie oraler Erkrankungen ist nun das Hauptaugenmerk des Zahnarztes auf die Besiedelung der Zahnfleischtaschen gerichtet. Die professionelle Mundhygiene umfasst eine exakte Reinigung der Taschen und die Entfernung supra- und subgingivaler Konkremente. Die bereits bestehende Zahnfleischtasche persistiert jedoch und bietet sich für eine Rebesiedelung durch parodontal pathogene Keime an. Diese werden in ausreichender Menge aus dem benachbarten Zungenbiotop zur Verfügung gestellt. Untersuchungen der Keimspektren der Zungenoberfläche bei Parodontalpatienten ergaben besonders hohe Koloniezahlen an Prevotella intermedia, Prevotella melaninogenica und Porphyromnas gingivalis; alles eng mit Parodontitis assoziierte Keime.

Auch für die Entstehung von Mundgeruch ist die Zungenflora ein wichtiger Faktor. Die Zunahme gramnegativer Bakterien, wie der bereits erwähnten schwarzpigmentierten Prevotellaspezies und Fusobacterium ssp., aber auch die überproportionale Vermehrung normaler Residentflora der Zunge, spielen hier eine wichtige Rolle. Durch den mikrobiellen Stoffwechsel entstehen Fettsäuren und Schwefelverbindungen, besonders dann, wenn den Bakterien eiweißreiche Nahrungsreste zum Abbau zur Verfügung stehen.

Candidiasis der Zunge - nicht leicht zu stellende Diagnose
Eine besondere Rolle bei der Besiedelung der Zunge kommt den Hefen, wie Candida albicans, aber auch den immer häufiger nachweisbaren Spezies wie Candida glabrata oder Candida tropicalis zu. Die Candidiasis tritt vor allem bei einer Schwäche der Immunabwehr auf, aber auch bei systemischen und konsumierenden Erkrankungen oder im höheren Alter. Begünstigt wird sie durch bestimmte Medikamente, aber auch durch das Tragen von Prothesen. Diese relativ häufige Prothesenstomatitis durch Candida manifestiert sich vor allem am Gaumen und auf der Schleimhaut am Alveolarkamm, also unterhalb der Prothese. Sie greift aber, gestreut durch den Speichel, auch auf andere Schleimhäute über, und so siedeln sich Pseudohyphen und Oidien von Candida bevorzugt auch auf der Zunge an. Die chronische Form einer Zungencandidiasis wird als Glossitis rhombica mediana bezeichnet. Sie imponiert als erythematöse rhomboide Läsion mittelständig am Zungenrücken. Die Zungenpapillen gehen in diesem Bereich verloren. Die Diagnose wird erschwert, da hier, wie auch bei der erythermatösen Candidiasis, die typischen abziehbaren, weißen Beläge fehlen können. Daneben treten auch die bekannten Formen der Candidiasis und pseudomembranöse Formen auf. Bei Letzterer wachsen die Candidapseudohyphen in das Plattenepithel der Zunge ein und führen zu ausgeprägten lokalen Entzündungsreaktionen. Die Zunge als Quelle oraler Infektionen sollte, besonders bei vorbestehenden oralen Erkrankungen und bei Risikopatienten, nicht unterschätzt werden. Eine gründliche regelmäßige Zungenreinigung und, bei persistierenden Problemen, eine Abklärung der Zusammensetzung der Zungenflora sind gute Optionen zur bleibenden Erhaltung der oralen Gesundheit.

Ch. Eder, L.Schuder

Die Zunge als Quelle oraler Infektionen darf nicht unterschätzt werden