Stressbelastung, Kiefergelenk und Zahnregulierung

Anna R. ist 42, Ärztin mit beruflichen Aufenthalten im Ausland. Sie ist sehr engagiert, lebt dafür, Patienten zu helfen und neue Therapieformen zu entwickeln. Selbst leidet sie allerdings unter Verspannungen im Nacken und Tinnitus rechts. Weiters gibt sie Durchschlafstörungen an und ist morgens wie gerädert.

Spontan zeigt uns die Patientin eine Regelverzahnung, in der Retralen besteht eine halbe Klasse 2 und eine Frontzahnstufe von 2mm. Wir finden einen Vorkontakt 17 mit centric slide in Klasse 1. Dazu passen die deutlichen Abrasionsfacetten, bukkale Rezessionen von ca. 1,5mm an der Front, ein Kiefergelenksclick links und ausgeprägte Massetermuskulatur. 17 ist wurzelbehandelt, im Röntgen unauffällig, manchmal schmerzhaft, besonders morgens.
Was ist nun der stärkste Belastungsfaktor, wo fangen wir an?

Die Patientin möchte möglichst schnell wieder beruflich voll einsatzfähig sein und ist durchaus bereit, einen Zahn zu opfern. Eine Regulierung hätte sie wegen des hohen Zeitaufwandes nicht so gerne, zieht sie aber in Erwägung.

Wir beginnen mit einem kinesiologischen Test und lassen parallel dazu einen Elektroakupunkturtest durchführen. Bei beiden Methoden kommt Zahn 17 gut weg, Kieferostitis, Granulom und Streptokokken testen nicht. Der Ohrakupunkturpunkt für das Innenohr (Tinnituspunkt) reagiert nicht auf Zahn-Therapielokalisation. Meridianorgane (Magen, Dünndarm) zeigen keine Reaktion. Eine Doppelbeziehung vom Tinnituspunkt zu den Nackenmuskeln ist nachweisbar.

Wir machen eine erste kieferorthopädische Analyse mit artikulator-montierten Modellen. Trotz Vorbehandlung mit Akupunktur (zahnärztliches Leber 3 nach Gleditsch, bds. 1cm unter dem Mundwinkel) sind die Verspannungen nicht ganz weg.

Schienentherapie
Wir entschließen uns zu einer Schienentherapie. Die Patientin ist zwar skeptisch und hätte gerne eine rasche Lösung, weil sie wieder ins Ausland tendiert. Eine Regulierung in dieser Phase kommt allerdings nicht infrage: Die Gelenkszentrik ist nicht eindeutig, das Ausmaß der Fehlstellung und damit die Dauer nicht vorhersagbar. Außerdem kann es zu einer Verschlechterung aller Symptome kommen.

Gleichzeitig stärken wir das Bindegewebe (und damit die Kapselstrukturen) mit Zinkpiccolinat (Zinc 30 Pure Encapsulations, abends 1 Kps.) und Kieselerde (Silicium D6/ Schüßler-Salz Nr. 11, 2x2 Tabl). Stressreduzierend und die Nebenniere stärkend wirkt Phyto (hypophyson) C, eine homöopathische Mischung - 2x15 Tr.

Entspannte Muskeln
Wider Erwarten empfindet die Patientin die Schiene von Anfang an als angenehm. Nach etwa drei Tagen schläft sie auch besser (anfangs „sabbert" sie etwas). Die Schiene wird nach zwei Wochen eingeschliffen, dann monatlich. Nach etwa drei Monaten sind nur mehr wenig Korrekturen nötig, die Muskeln deutlich entspannter. Der Vorkontakt auf 17 wird deutlicher, wir entschließen uns zum Einschleifen. Das bringt wieder deutliche Erleichterung.

Nach insgesamt einem halben Jahr ist die Retrale locker einstellbar und eindeutig reproduzierbar, das Klicken deutlich leiser. Nun ist eine verlässliche Analyse möglich. Wir haben es mit einer dentoalveolären Klasse 2/3mm zu tun, wahrscheinlich verursacht durch die starken Kräfte der Wangenmuskulatur und einen leichten Tonguethrust. Anamnestisch gibt es eine Milchunverträglichkeit, die Patientin hält weitgehende Kuhmilchdiät; derzeit ist kein Problem nachweisbar. Wir empfehlen Schluckübungen, die der Patientin leicht fallen. (Bei vielen Patienten müssen wir eine Symbioselenkung durchführen, bevor sie die myofunktionellen Übungen schaffen.)
Falls sie dringend wieder ins Ausland möchte, wäre dies mit der Schiene durchaus möglich, sie spürt nun aber auch tagsüber, dass sie zwischen zwei Bisspositionen wechselt, also knirscht. Vielen Patienten wird das erst durch die eindeutige Ruheposition nachts bewusst - obwohl man ja auch mit Schiene zum Abbau der Stresshormone knirschen können muss.

Materialtestung
Wir entschließen uns zu einer Regulierung. Gefragt ist eine rasche, aber doch geführte Bewegung mit sanften, elastischen Dauerkräften: Fixe Zahnspange mit NiTi-Drähten, später Stainless Steel und Klasse-2-Elastics.

Vor Beginn machen wir eine kinesiologische Materialtestung. Alle Metalle, besonders Nickel, können eine Kreuzreaktion mit Milch haben. Da nur Nickel-Titan-Legierungen die erforderlichen Eigenschaften für eine rasche und schmerzarme Korrektur haben, müssten wir dann eine Begleitbehandlung durchführen (orthomolekulare Toleranzerhöhung oder homöopathischer „Ausgleich" mit den Potenzierungen D12 oder D30). In unserem Fall spielen Unverträglichkeiten derzeit keine Rolle.

Wir beginnen mit der festsitzenden Spange. Begleitend geben wir Magnesium phosphoricum D6 (Schüßler-Salz Nr. 7) 2x2 Tabl., um die Muskelspannung herabzusetzen. Die Halteelemente scheuern drei Tage lang, auch das Beißen ist schwierig, aber nach zwei Wochen ist alles „zum Aushalten". Die Patientin ist sehr konsequent - wie die Mehrzahl der Erwachsenen. Die Muskelverspannungen wechseln, es kommt aber zu keiner Verschlechterung des Kiefergelenksbefundes oder des Ohrgeräusches.

Schwierige Anfangsphase
Vorübergehende Aggravierungen sind vor allem dann zu erwarten, wenn Überstellungen nötig sind, aus einer vollen Klasse 2 oder einem Kreuzbiss. Die Kantbiss-Situationen sind dabei der maximale Stress. Da wir bei unserer Patientin aus dem singulären Antagonismus starten, haben wir diese Spitzenbelastung schon zu Beginn. Andernfalls könnte eine osteopathische Begleitbehandlung oder eine Aufsteckschiene (an Headgearröhrchen befestigt) nötig sein. In Überstellungsphasen testen alle Regulierungen schlecht und werden daher manchmal von Osteopathen und Kinesiologen kritisiert. Diese Phasen dauern aber meist nur drei bis sechs Wochen, die auftretenden Symptome gehen rasch vorüber und können mit Begleitbehandlung erleichtert werden. Abgesehen von der Anfangsphase und diesen Überstellungen stören Regulierungen nicht - ich habe das oft von Osteopathen und Kraniosakraltherapeuten überprüfen lassen.

Das Ergebnis einer gelungenen Regulierung ist eine deutliche Stressreduktion, ein wichtiger Auslösefaktor für Bruxismus und die Kompensation des Fehlbisses durch die Körpermuskulatur entfällt. Vorübergehende Mehrbelastung ist daher zumutbar und nach entlastender Vorbehandlung auch ungefährlich.

Die festsitzende Phase bei Frau Dr. R. dauert sieben Monate, danach bekommt sie für etwa neun Monate Aligner aus Tiefziehfolien zur Feineinstellung und Retention.

Verspannungen
Es geht ihr gut damit, das Kiefergelenk knackst nur sehr selten, der Tinnitus tritt nur in starken Stress-phasen auf. Die Patientin ist generell ruhiger geworden. Sie schläft gut und arbeitet daher auch effektiv, merkt aber, dass sie zu Verspannungen neigt und möchte daher auch nach Abschluss der Zahnkorrektur eine Schiene. Weitere Restaurationen sind nicht nötig, nur einige ältere Compositefüllungen werden getauscht. Danach fertigen wir eine starre Unterkieferschiene mit Führungen im Eckzahn- und Prämolarenbereich nach lateral an.

Die Patientin nimmt nach Bedarf Magnesium phosphoricum D6 und kommt gut zurecht. Nach insgesamt zwei Jahren fühlt sie sich auch wieder fit für Auslandseinsätze.

Dr. Eva-Maria Höller

Veranstaltung

Mag. Martina Anditsch, Klinische Pharmazeutin

Klinisch relevante Arzneimittelreaktionen in der Zahnheilkunde
Multimorbidität, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Interaktionen mit Nahrungsergänzungsmitteln

Samstag, 2. 4. 2011,
ZIV-Büro, 1010 Wien

Anmeldung: Tel. 01/513 37 31, office@ziv.at

Knirscherschiene (mit Demo-Punkten)