Kieferorthopädie in der Praxis

Wenn bei einem Patienten mit elf oder zwölf Jahren ein oberer Eckzahn bereits voll durchgebrochen ist, während auf der anderen Seite der Milchzahn noch fest an seiner Stelle im Kiefer steckt, liegt der Verdacht nahe, dass hier der bleibende Nachfolger verlagert und reteniert ist.
Abb. 1

Wird die Diagnose mithilfe von Röntgenaufnahmen erhärtet, folgt in der Regel eine kieferorthopädische Behandlung zur Einordnung des verlagerten Eckzahnes. Manchmal bleibt diese Zahnfehlstellung aber bis ins Erwachsenenalter unbemerkt bestehen.

Ein 20 Jahre alter Patient suchte meine Ordination auf, als er feststellte, dass im Oberkiefer der rechte Dreier gelockert war. Anhand der angefertigten Befunde (Abb. 1 und 2) wurde er von mir erstmals darüber informiert, dass es sich bei dem wackelnden Zahn um einen Milchzahn handelt. Der Patient wollte sich primär die Lücke nach Verlust des Milchzahnes prothetisch versorgen lassen.

Abb. 3
Trotz des fortgeschrittenen Alters des Patienten, was eine kieferorthopädische Behandlung schwierig bis unmöglich machen könnte, riet ich zur chirurgischen Freilegung und Einordnung des verlagerten Eckzahnes. Liegt ein Eckzahn, wie bei meinem Fallbeispiel, hoch palatinal, muss die Krone zuerst von den Wurzeln der Frontzähne weg nach distal-okklusal bewegt werden, bevor sie in den Zahnbogen eingeordnet werden kann.
Abb. 4
Die Krone des retinierten Zahnes wird großflächig freigelegt (Abb. 3) und mit einem Knöpfchen versehen. Ich wähle für diese gezielten Zahnbewegungen das Vorgehen nach Hangl. Am Knöpfchen zieht ein chirurgischer Faden. Um die Zugrichtung gezielt einstellen zu können, platziere ich einen Praemolarenarm, der am Ende zu einer Öse umgebogen ist, am Gaumendach in geeigneter Position (Abb. 4). Der chirurgische Faden wird nun durch die Öse und weiter über einen Haken am Bogen der Zahnspange nach buccal geführt. Ab dort zieht eine 100gr Feder vom Ende des Fadens zum Häkchen des ersten Molaren.
Abb. 5
Mit dieser Methode kann die Krone an der Zweierwurzel vorbei nach distal geführt werden. Sobald die Krone an der Öse ansteht, stoppt die Zahnbewegung und eine unerwünschte Übererruption nach kaudal an dieser Stelle wird verhindert. Von hier wird der Zahn in gewohnter Weise in die ausreichend weit geöffnete Dreierlücke gezogen (Abb. 5). Der Zug erfolgt mit einem elastischen Gummi, der vom Attachment des Dreiers über ein Klemmhäkchen am Außenbogen buccal zum Sechser zieht. Der Milchzahn, der primär aus ästhetischen Gründen belassen wurde, musste für die Einordnung entfernt werden.
Abb. 6

Schließlich muss der Zahn rotiert (Abb. 6) und seine Wurzel nach buccal aufgerichtet werden. Auch für die Aufrichtung wähle ich die altbewährte Segmenttechnik. Ein Torquestab aus Beta-Titan, der aus dem Hilfsröhrchen des Sechsers zum Eckzahnbracket zieht, wird um 180° nach buccal verdreht und eingebunden. Am Ende der 2½-jährigen kieferorthopädischen Behandlung ist der Eckzahn eingeordnet und die Okklusion funktionell und ästhetisch zufriedenstellend (Abb. 7 und 8).

Prim.a Dr. Doris Haberler

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Abb. 8