St. Wolfgang: Wissen, was geht

Wissen, was geht: So lautete das Thema der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie, die in St. Wolfgang vom 15. bis 17. April 2010 stattfand.

Am Donnerstag fanden 15 Workshops zu Themen wie Kommunikation mit Patienten, aber auch innerhalb des Ordinationsteams, Zeit- und Prioritätenmanagement, Zahnreinigung maschinell und mit Handinstrumenten bis hin zu parodontalchirurgischen und implantologischen Themen statt und waren sehr gut gebucht.

In der Eröffnung am Freitag umrissen der Präsident und die Tagungsleiter, teilweise in Personalunion, das heurige Programm und skizzierten Entwicklungen und Aufgaben in unserem Betätigungsfeld.

Der erste Vortrag von B. Hufnagel aus Wien zum Thema „Die Neurobiologie das Stresses" brachte ein Feuerwerk an Pointen und klaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, verpackt in spannende Geschichten. Der Untertitel seines Referats lautete denn auch „Die Evolution und das Softwareproblem". Dabei nahm er Bezug auf die entwicklungsgeschichtlichen Ursprünge der verschiedenen Hirnregionen, die nach wie vor ihr angestammtes Programm ablaufen lassen, und erwähnte die Arbeiten Lüdiger Deekes mit dem Magnet-Enzophalographen. Der Hirnstamm, der auf der Stufe der Reptilien und Amphibien ist, sorgt für Atmung, Nahrung, Aggression, Flucht und Sex. Er ist die Urversion unseres Zentralrechners und nimmt keine Rücksicht auf äußere Bedingungen. Wenn der Frosch in uns fressen will, dann will er fressen. Die nächsthöhere Region ist das limbische System, das den kleinen Säugetieren der späten Saurierzeit und heute der Spitzmaus entspricht. Erstens waren diese Tiere nachtaktiv, um den großen Räubern zu entgehen, daher gab es nur dichromatisches Sehen im Blau- und Grünbereich, zweitens kam hier als Neuerung das Gedächtnis hinzu, das aufwändig aufzubauen und zu erhalten ist. Weiters stehen hier soziale Bindung, Sicherheit gegen Neugier, und es wird der auf Dopamin begründete Lustgewinn eingeführt, als wesentliches Instrument der Motivation. Das allerdings wirkt bis in die heutigen Ansätze der Depressionstherapie nach. Der jüngste Anteil unseres Gehirnes, der sich noch dazu derzeit am stärksten entwickelt, ist der Frontokortex. Hier findet rationales Denken und Planen statt und hier laufen die Fäden der unterschiedlichen Hirnebenen zusammen. Es werden die „schlechten" Ideen (Triebe) unterdrückt (kein Dopamin!), die Sprache ist hier verortet ebenso wie die Abstraktion und das Multitasking. Erfolgreiche Problemlösung führt über Dopaminausschüttung zu einer emotionalen Belohnung und zur Stärkung der beteiligten Neuronenschaltung. Bei Dauer-stress kommt es über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse zur Ausschüttung von Kortisol, das die nicht erfolgreichen Neuronenschaltungen schwächt und Reorganisationsprozesse erleichtert. Als Kurzbotschaft für den persönlichen Gebrauch stand die Empfehlung am Ende des ersten Vortrages, sich kurzfristige, eher realistische Ziele zu stecken, deren Erreichen den Dopaminhaushalt positiv beeinflusst.

G. Wimmer ging danach in seinem wissenschaftlich äußerst gut fundierten Vortrag auf die modulierenden Einflüsse des Stresses auf die Parodontitis ein. Erste Erwähnung fand eine später „Trench-Mouth- Syndrome" genannte Erkrankung im 4. vorchristlichen Jhdt. bei den griechischen Soldaten im Kampf gegen die Perser unter Xerxes. Die Einflüsse kommen über Verhaltensänderungen (Selbstvernachlässigung), Unterdrückung des Immunsystems durch Hormone (Kortisol) und Einflüsse des vegetativen Nervensystems zu Stande. Einen wesentlichen Einfluss hat die sogenannte Copingstrategie des Patienten. Patienten, die zu defensivem Coping neigen (ich kann nichts dafür, ich bewältige meine Probleme besser als andere), haben schlechtere Parodontalwerte als solche, die ablenkende Strategien haben. Weiters konnten Wimmer und Seinost einen positiven Einfluss der Parodontaltherapie auf die relative Alpha-Power im EEG und damit auf die Normalisierung der elektrischen Gehirnwellen nachweisen. Aus dem Gesagten lässt sich die große Bedeutung der Patientenführung in der Parodontitistherapie ableiten, die neben der fachlichen Qualifikation nicht vernachlässigt werden darf.

Wie medizinisch ist die parodontale Medizin, fragte R. Sanderink aus Würzburg, um dann umfassende Antworten zu geben und nach Beleuchtung der Wissenschaftshistorie zu den immunologischen und zellulären Ursachen der Parodontitis kam. So ist der Wandel der Betrachtung als „Verwahrlosungserkrankung" zu Gingivitis plus immunologischer Fehlsteuerung den Erkenntnissen seit den späten 1980er-Jahren zu verdanken. Eine genauere Darstellung des facettenreichen und grundlagenbetonten Referats würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Die Aussage - floss or die - kann aber vor diesem Hintergrund als berechtigt gelten.

Nach einer Darstellung des Paromasterkurses durch C. Bruckmann begann die Periimplantitis-Session des Nachmittags. Alle Vortragenden waren sich einig, dass die Datenlage bei dieser „erst" ca. 30 Jahre alten Behandlungsmethode erschreckend dünn ist.

Ch. Ramseier aus Bern machte auf die hohe Prävalenz der Periimplantitis und der periimplantären Mukositis aufmerksam. Ein Review aus 6 Studien ergab Werte von 50% der Implantate bei 80% der Implantatträger. Mit fortlaufender Anwendung dieser Therapieoption werden die Häufigkeiten noch stark steigen.

M. Folwacny aus München ging auf die verschiedenen Möglichkeiten der Lasertherapie ein und betonte die Notwendigkeit, die Implantat-oberfläche nicht zu verändern, da sie wesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Reosseointegration der Implantate hat. Er war in der Lage, eine schwache Empfehlung für den ER:YAG-Laser und das Konzept der photodynamischen Therapie zu geben.

R. Rössler aus Ludwigshafen warnte vor dem unreflektierten Einsatz der Implantate bei an Parodontitis Erkrankten. Tonetti sagte 2004: „Risk factors don´t die, when you extract a tooth" und so kommt es selbst bei Zahnlosen nach Implantation zum Auftreten der gleichen Bakterien, die für den Zahnverlust verantwortlich waren. Rössler zeigte beeindruckende Bilder chirurgischer Sanierung von Knochentaschen an Implantaten und legte sein stufenweises Vorgehen, beginnend mit lokaler Reinigung und antiseptischer Spülung, über photodynamischerTherapie, systemische Antibiotika bis zu komplexen chirurgischen Eingriffen dar. Er schloss mit der Bemerkung: Leben ist zeichnen ohne Radiergummi.

Auf dem Gesellschaftsabend im Circus wurden die Gebietsvertreter unserer Gesellschaft vorgestellt, den Absolventen des ersten Paromasters das Diplom zum „Spezialisten für Parodontologie der ÖGP" überreicht, und dann gab es das Buffet und ein schwungvolles Programm der Bad Powells, das uns bis in die späte Nacht führte.

Am Samstag konnte ich den ersten Vortrag von U. P. Saxer aus Zürich wegen der Teilnahme an der Generalversammlung nicht hören. Als kürzeste Quintessenz sei gesagt, dass Saxer der Ansicht ist, dass die Raucherparodontitis bald als eigenes Krankheitsbild etabliert sein wird.

Ch. Ramseier bearbeitete dann das Thema der Tabakentwöhnung. Er ging auf physiologische Komponenten wie die Reduktion der Nikotinrezeptoren und auf die psychologischen Faktoren wie z.B. 80.000 Inhalationen täglich bei einem Konsum von 20 Zigaretten ein. Die Kombination von Sucht und Abhängigkeit wird Tabakerkrankung genannt. Ein sogenannter ambivalenter Raucher benötigt oftmals kurze, häufige Interventionen von außen, auch durch den Zahnarzt und sein Team, um die Motivation zum Rauchstopp aufbringen zu können. Auf professionelle Hilfe für ÄrztInnen und PatientInnen kann über das Rauchertelefon - www.rauchertelefon.at - zugegriffen werden.

Der Rest des Tages gehörte der mukogingivalen Chirurgie, die besser plastische Parodontalchirurgie genannt werden sollte. Im ersten Vortrag beleuchtete M. Müller aus Wien Definition, Ätiologie und Einteilung in Millerklassen der gingivalen Rezessionen. Das größte Problem scheint die Putztechnik (Schrubben) zu sein, die leider recht schwer zu verändern ist, wodurch die Gefahr eines Rezidivs gegeben ist. Weiters gab er einen kurzen Überblick über die wesentlichen Operationstechniken und deren Indikationen aus der Sicht der Wiener Zahnklinik.

Im zweiten Vortrag ging M. Stimmelmayr aus Cham/Bayern auf die Tunneltechnik mit Bindegewebe oder mit einem Bindegewebe- Schleimhauttransplantat ein. Er sieht die Vorteile in dem wesentlich geringeren OP-Trauma und den intakten Papillen. Nachteilig beurteilt er die Gefahr der Lappenperforation und die hohen Anforderungen an den Operateur. Seine perfekten Bilder ergänzte er mit kleinen Filmen, die alles sehr leicht erscheinen ließen.

H. Topolls Thema war der Einsatz von Schmelzmatrixproteinen bei der Rezessionsdeckung. Er sieht die Indikation für den koronalen Verschiebelappen und SMP bei Rezessionen bis 4 mm und dicker Gingiva. Auf der Habenseite stehen die einfache Technik, die kurze OP-Dauer und die gute Wundheilung. Obwohl er eine Überdeckung von 1 mm anstrebt, sieht er wiederholt kleine Reste der Rezessionen.

H. Dieterich aus Winnenden referierte über die provisorische Versorgung, für die er den Begriff „Behandlungsrestauration" prägte. Neben dem Schutz der beschliffenen Zähne und Erhalt/Wiederherstellung der Ästhetik und Funktion sieht er die Unterstützung der Weichgewebeheilung als wichtige Aufgabe. Weiters beleuchtete er die Möglichkeiten, mit einem freien Bindegewebetransplantat und dem Provisorium einen Weichgewebeaufbau des Kieferkamms vorzunehmen.

Im letzten Vortrag legte M. Lorenzoni aus Graz die Möglichkeiten des Weichgewebemanagements an Implantaten dar. So berichtete er von häufigen FBTs bei Freilegungsoperationen oder auch danach, um ein ästhetisches Ergebnis zu verbessern. Hierbei empfiehlt er ein speziell geformtes Kunststoffprovisorium, das genug Raum für das Weichgewebe lässt.

Das Helferinnenprogramm lehnte sich wie immer stark an das Programm für ÄrztInnen an und deckte zusätzlich noch die Bereiche Kommunikation auch mit dem wenig kooperativen Patienten und dem kindlichen Patienten ab und widmete sich noch etlichen weiteren Themen.

Die Gewinnspiele der Firmen Marchesani und Porsche erfreuten sich regen Interesses. Jedenfalls stellt sich beim Durchlesen der Kongressunterlagen schon die Vorfreude auf das nächste Jahr ein.

Dr. Georg Piehslinger