Reflexionen zur Zahnerhaltung mit Prof. Dr. Peter Städtler aus Graz

Prof. Dr. Peter Städtler ist seit über 35 Jahren an der Grazer Zahnklinik tätig. 1984 habilitierte er sich, 1993 wurde er Professor und Leiter der Klin. Abteilung für Zahnerhaltung, von 2005 bis 2008 war er auch Vorstand der Klinik.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen beim Zahnzustand?
Städtler: Seit 1983 ist der Kariesbefall bei Zwölfjährigen um 60 bis 70 Prozent zurückgegangen. Dadurch hat sich der Bedarf an zahnmedizinischen Leistungen verändert: Prävention, minimal invasive Füllungstherapie und Nachsorge werden immer wichtiger werden. Es wäre daher zu überlegen, welche Leistungspositionen im Sozialversichungsvertrag bzw. im privaten Honorartarif neu definiert oder aktualisiert werden sollten. Es sollte auch in jedem Bezirk Österreichs ein von öffentlicher Seite beauftragter Zahnarzt tätig sein, der für die Verbesserung der Zahngesundheit zuständig ist, der schult, koordiniert und evaluiert. Die noch vorhandenen Zahnschäden sind aber ungleichmäßig verteilt: Insgesamt ist die Hälfte der Zahnschäden bei Kindern und Jugendlichen auf 10 bis 15 Prozent dieser Gruppe konzentriert. Betroffen sind vor allem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsgrad. Es wäre zu überlegen, welche Anreize zur regelmäßigen Kontrolle, zur Teilnahme an Prophylaxeprogrammen sowie zur Eigeninitiative geschaffen werden könnten. Weiters wäre es nicht nur bei Kindern, sondern auch bei den Senioren wichtig, die Bereitschaft zur zahnärztlichen Kontrolle zu fördern.
Auch bei insgesamt rückgängigem Kariesbefall gibt es noch einen großen Behandlungsbedarf bei den Vorschulkindern, bei denen derzeit noch ca. 70 Prozent der Läsionen unbehandelt sind. Spätestens im Volksschulalter muss die Milchzahnkaries unbedingt behandelt werden. Hier besteht zweifellos großer Nachholbedarf.

Welche Veränderungen hat es in Bezug auf das Berufsbild des Zahnarztes gegeben?
Städtler: Das Berufsbild hat sich wesentlich geändert, vom Dentisten zum Facharzt, zum Dr. med. dent und zum Spezialisten. Damit verbunden waren auch Veränderungen beim Praxispersonal: Die Helferinnen sind heute besser ausgebildet als früher und übernehmen mehr Tätigkeiten. Auch die Zahntechniker trachten in zunehmendem Ausmaß danach, prothetische Tätigkeiten zu übernehmen. Deutlich zugenommen hat auch die Spezialisierung unter den Zahnärzten. Es stellt sich daher die Frage, welche Aufgaben/Kompetenzen heute die SpezialistInnen, die „normalen" ZahnärztInnen, die Helferinnen, die Dentalhygienikerinnen, die „dental therapists" und die Zahntechniker haben. In weiterer Folge wäre zu definieren, was im Med. dent-Studium und was in der postgradualen Ausbildung gelehrt werden soll und inwieweit innerhalb der EU-Staaten die Ausbildungsordnungen der Helferinnen, Zahnärzte und Spezialisten harmonisiert werden sollten.

Und was waren im Bereich der Zahnerhaltung die wesentlichen Veränderungen?
Städtler: Amalgam wird immer mehr zurückgedrängt, die Qualität der Komposite hat durch die Dentinhaftvermittler und die Einführung der Nanopartikelkomposite deutlich zugenommen. Ausgehend von MTA (Mineral trioxide aggregate) wurde eine neue Gruppe von Zementen mit vielseitigen Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen. In der Endodontie gibt es heute dank der Nickel-Titan-Legierungen eine Fülle verschiedener Instrumente mit unterschiedlichem Design. Zu nennen sind auch die thermoplastischen Obturationsmethoden und adhäsiven WK-Füllmaterialien, neue Mittel für die Desinfektion und die Entfernung der Schmierschicht sowie neue Geräte für die Längenmessung der Wurzelkanäle. In der Kariesdiagnostik gab es neue Verfahren zur nicht invasiven Kariesdiagnostik, die laufend verbessert werden.

Wie sind Kariesrisiko-Tests zu bewerten?
Städtler: Die Tests geben den aktuellen Zustand wieder und können so eine wertvolle Unterstützung für die Motivation etwa zur Teilnahme an regelmäßigen Prophylaxesitzungen darstellen. Er gibt auch Hinweise, in welchen Abständen die Sitzungen stattfinden sollen und wie hoch der Nachsorgebedarf bei aufwändigen Behandlungsmaßnahmen ist. Der Vorteil neuer Tests ist, dass man das Ergebnis unmittelbar danach erhält.

Welche Entwicklungen erwarten Sie in der Zukunft?
Städtler: In ferner Zukunft erwarte ich, dass abgestorbene Pulpa mithilfe der Gentechnologie reaktiviert werden kann. In näherer Zukunft ist mit neuen Mitteln zur Kariesprophylaxe, Kariesrisikoerfassung und Kariesfrühdiagnostik sowie einer Verbesserung der Komposite und des endodontischen Instrumentariums zu rechnen.

Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner

 

Univ.-Prof. Dr. Peter Städtler