Mikrobielle orale Erkrankungen - Teil 5: Parodontitis im Erwachsenenalter - Endo- und exogene Faktoren

Die chronische Parodontitis des Erwachsenen wird zwar primär durch pathogene, potenziell krankheitserregende Keime verursacht und aufrechterhalten, jedoch kann eine Reihe von Faktoren und Ereignissen die Krankheitsgenese und ihren Verlauf beeinflussen.

So können Zahnfehlstellungen und angeborene Anomalien wie Wurzelanomalien oder Schmelzprojektionen und Schmelzperlen, die das Attachment des parodontalen Gewebes verhindern, die Basis für vermehrte Plaqueakkumulation bzw. für die Entstehung der Erkrankung bilden. Zu den endogenen Ursachen gehören weiters systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, diverse Autoimmunerkrankungen, Immunschwächen wie z.B. die HIV-Infektion und konsumierende Erkrankungen, andererseits aber auch bestimmte genetische Dispositionen, welche die Entstehung parodontaler Erkrankungen begünstigen. Weiters können hormonelle Veränderungen wie eine Schwangerschaft oder psychische Stressfaktoren das Krankheitsgeschehen modifizieren. Exogene Risikoparameter sind neben mangelnder Mundhygiene vor allem Nikotin und alimentäre Faktoren.

Diese Überlegungen zeigen deutlich, dass die Parodontalerkrankung im Gegensatz zu herkömmlichen Infektionen ein multifaktorieller Prozess ist. Eine langfristig erfolgreiche Therapie muss daher neben einer gründlichen Eliminierung der pathogenen Flora auch sämtliche weitere „Schwachstellen" des Organismus berücksichtigen, um ein optimales Behandlungskonzept erstellen zu können.

Genetische Dispositionund parodontales Risiko
Zahlreiche Forschungsprojekte der letzten Jahre beschäftigten sich mit mit den Auswirkungen proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin 1 (Il -1), Tumornekrosefaktor alpha (TNFa) und Prostaglandin E2 auf den Abbau parodontaler Gewebe. Hier zeigte sich eine individuell unterschiedliche Produktionsrate dieser Zytokine nach Stimulation von Monozyten durch bakterielle Endotoxine. Verschiedene Polymorphismen in dem für die Koordination der proinflammatorischen Zytokine zuständigen Interleukin-Gencluster bedingen nun eine massiv verstärkte Ausschüttung von Il 1 beta. Dieses wiederum induziert verstärkt die Bildung von PGE2-Kollagenase, welche zu vermehrten Knochenabbau und verminderter Kollagensynthese führt. Patienten mit adulter marginaler Parodontitis sind zu fast 40% positiv für diesen Genotyp, und das Risiko an einer schweren Parodontitis zu erkranken, ist um das Achtfache erhöht.

Weitere potenzielle genetische Risikofaktoren werden derzeit noch untersucht. So sind möglicherweise genetische Polymorphismen für unterschiedliche Produktionsraten von IL 4 mit einer verminderten Makrophagenfunktion verantwortlich. Ferner besteht ein Zusammenhang zwischen der TNFa-Produktion durch neutrophile Granulozyten und dem heterozygoten T-1,2-Genotyp von TNFa - 308.

Besonderes Interesse verdienen diese genetischen Variationen bei gefährdeten Patienten. Besonders Schwangere neigen von vornherein während der Gravidität zu gingivalen und parodontalen Entzündungen. Kommt nun eine derartige genetische Disposition hinzu, steigt das Früh- bzw. Fehlgeburtsrisiko erheblich an.

Schwangerschaft und Parodontitis
Dies leitet zu einem weiteren Auslöser bzw. Risikofaktor für parodontale Erkrankungen über. Durch die hormonellen Umstellungen während der Schwangerschaft kommt es zu einer verstärkten Anfälligkeit der oralen Hart- und Weichgewebe für Keime und zur Exazerbation von möglicherweise vorbestehenden parodontalen Entzündungen. Die veränderte Hormonlage bedingt eine erhöhte Speichelkonzentration ovarieller Hormone, besonders im 2. Trimenon der Schwangerschaft. Dies beeinflusst das gingivale Bindegewebe und wirkt andererseits auch auf Wachstum und Vermehrung parodontal-pathogener Keime. Durch das erhöhte Progesteron wird die Synthese von Kollagen und von Glucosaminen für die bindegewebige Matrix beeinflusst. In einer gesunden Gingiva wird das Progesteron teilweise metabolisiert. Bei Schwangeren wird nur eine geringe Menge verstoffwechselt. Durch die allgemein veränderte Immunlage wirkt das Progesteron nun ähnlich wie ein Immunsuppressivum. Akute Entzündungen werden zwar weitgehend unterdrückt, aber chronische Prozesse stark gefördert. Weiters ist eine Komponente des fibrinolytischen Systems, nämlich Plasminogenaktivator-Inhibitor Typ I, durch die veränderte Hormonkonstellation vermindert. Dieser wirkt normalerweise der Gewebsproteolyse entgegen. Das gingivale Gewebe wird hormonell bedingt aufgelockert, neigt zur Ödembildung und die Durchblutung des Gewebes ist erhöht. Es besteht dadurch wiederum die Neigung zur Entwicklung einer Gingivahyperplasie mit Größenzunahme der Interdentalpapillen, erhöhter Blutungsneigung und der Ausbildung von Pseudozahnfleischtaschen. In diesen kommt es dann zu einer vermehrten Akkumulation von Plaque, welche wiederum Entzündungen Vorschub leistet. Besonders häufig kommt es in der Schwangerschaft zu einer Sulcusbesiedelung durch schwarzpigmentierte Prevotella- und Porphyromonasarten. Diese Keime können nämlich das Progesteron im Sulcusfluid aufgrund seiner chemischen Strukturähnlichkeit mit dem bakteriellen Nährstoff Naphtaquinon direkt verstoffwechseln.

Neben den negativen Auswirkungen auf die orale Gesundheit der Frau ist auch das ungeborene Kind bei schweren Parodontalerkrankungen der Mutter erheblich gefährdet. Studien haben gezeigt, dass ca.18% der zu früh und untergewichtig geborenen Kinder Folge einer Parodontalerkrankung der Mutter sind. In schweren Fällen ist das Fehlgeburtsrisiko erheblich erhöht. Durch die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren als Antwort auf die orale Keimbelastung kommt es durch die so induzierte, gelegentlich bereits beim Zähneputzen auftretende Bakteriämie zu einer Einschwemmung von bakteriellen Antigenen in das Blut. Dies führt zu einer parallelen Erhöhung der Entzündungsmediatoren im Fruchtwasser, zu erhöhter Prostaglandinsynthese und zu erhöhter Konzentration von PGE2 im Myometrium. Dadurch können vorzeitige Wehen ausgelöst werden.
Schwangere gehören damit eindeutig in die Gruppe der parodontalen Risikopatientinnen und bedürfen einer sorgfältigen Überwachung und Behandlung. Im Idealfall ist eine Sanierung vor Beginn der Gravidität anzustreben. Der mögliche Einsatz von Antibiotika hat nach besonders strengen Richtlinien und Anpassung an die Erfordernisse zu erfolgen.

Orale Kontrazeptiva als Mediatoren von gingivaler Entzündung
Ähnlich wie bei Schwangeren kann auch hier der erhöhte Hormonspiegel im zirkulierenden Blut Auswirkungen auf die oralen Gewebe, die wirtsspezifische Immunantwort und auf Menge und Komposition der oralen Mikroflora haben. Viele Untersuchungen zu diesem Thema stammen allerdings aus einer Phase, als orale Kontrazepiva noch erheblich höhere Hormonkonzentrationen aufwiesen. Durch die ausgewogenen, heute meist deutlich niedriger dosierten Präparate sind durch Kontrazeptiva bedingte parodontale Entzündungen seltener geworden. Sollten allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einnahme eines derartigen Präparates Probleme wie Rötungen, Schwellung oder erhöhte Blutungsneigung auftreten, so ist ein ursächlicher Zusammenhang in jedem Fall zu berücksichtigen. Verstärkende Wirkung hat hier z. B. zusätzlicher Tabakkonsum, der schon für sich allein einen erheblichen parodontalen Risikofaktor darstellt, welcher im nächsten Teil noch detailliert behandelt werden soll.

Ch. Eder, L. Schuder

Schwere Parodontitis