Zwist um Privatleistungen in NÖGKK-Zahnambulatorien

Vor über zehn Jahren wurde durch den Gesetzgeber mit der 55. ASVG-Novelle eine neue Entwicklung eingeleitet. Mit der Geburt der „Ambulatoriumskrone" begann die Ära der Ambulatoriums-Privatleistungen. Die Junktimierung Ambulatoriumskrone/Hausapotheke und die damit verbundenen Handlungen der damaligen Ärztekammerfunktionäre sind uns ZahnärztInnen heute noch in übelster Erinnerung und waren sicher einer der Meilensteine des künftigen Trennungsgedankens.

Seither haben die Ambulatoriumsprivatleistungen nie aufgehört, Zankapfel zu sein. Seit jedoch die NÖ-Gesundheitsplattform beschlossen hat, dass ausgewählte Zahnambulatorien der NÖGKK auch kostenfreie Narkosebehandlungen für ein bestimmtes Patientengut durchführen dürfen, stehen die Zeichen endgültig auf Sturm. Denn zwei seitens unserer Standesvertretung vehement erhobene Forderungen dürften nicht erfüllt werden: zum einen wird eine in der Höhe zu verhandelnde Kassenposition „Narkose" gefordert, damit auch der niedergelassene Bereich diese Leistung zu analogen Bedingungen erbringen kann. Und zum anderen fordern unsere Standesvertreter Sitz und Stimme in den Gesundheitsplattformen ein! Derzeit haben sie nämlich weder das eine noch das andere, und das empfinden wir alle vollkommen zu Recht als indiskutabel. Es kann nicht Standard des 21. Jahrhunderts sein, selbstherrlich über die Köpfe der Betroffenen hinweg weitreichende Entscheidungen zu treffen!

Neben der Narkosebehandlung stoßen der ÖZÄK auch Geschiebe an Ambulatoriumskronen dermaßen sauer auf, dass sie einen Rechtsstreit in den Raum stellt, wenn die NÖGKK nicht einlenkt.

Mit der ÖZÄK und der NÖGKK stehen sich zwei Streithähne gegenüber, die ideologisch Welten trennen. Es ist also hilfreich, wenn man sich ganz zu Beginn die Standpunkte der beiden Kontrahenten einmal ansieht.

Beginnen wir bei unserer Standesvertretung. Die beruft sich darauf, dass in Ambulatorien erbrachte Privatleistungen prinzipiell einen Verstoß gegen §153 Abs. 3 ASVG darstellen, der besagt: „In gesamtvertraglichen Vereinbarungen (§§341, 343c Abs. 1 Z 1) nicht vorgesehene Leistungen dürfen in den Zahnambulatorien nicht erbracht werden; in den Zahnambulatorien dürfen aber jedenfalls jene Leistungen erbracht werden, die Gegenstand des letztgültigen Vertrages gemäß §341 bzw. §343c Abs. 1 Z 1 sind oder waren." Die Kammer erblickt darin eine Beeinträchtigung der Interessen ihrer Mitglieder. Das Bestehen ergänzender Paragraphen ändere an der prinzipiellen Gültigkeit von §153 ASVG gar nichts.

Einhaltung des Gesetzes
Kammeramtsdirektor Dr. Krainhöfner im O-Ton: „Es geht nicht um eine strenge oder weniger strenge Auslegung eines Gesetzestextes, sondern um dessen schlichte Einhaltung! Der Gesetzgeber hat im Sinn des Subsidiaritätsprinzips mit dieser Bestimmung klar gemacht, dass die Behandlung durch niedergelassene Zahnärzte vorzuziehen ist und nur in besonderen Ausnahmefällen staatlich subventionierte Einrichtungen tätig sein dürfen. Genau deshalb sind ja auch die Ausnahmen in §575 so genau definiert. Im Übrigen halten sich auch alle anderen Krankenkassen problemlos an diese Bestimmungen, lediglich die NÖGKK bezweifelt mit juridisch höchst zweifelhafter Argumentation deren Anwendbarkeit." Daher fordert die Kammer nun die NÖGKK auf, Narkosebehandlungen und die Anfertigung von Geschieben in ihren Zahnambulatorien einzustellen. Die NÖGKK sieht die Sache völlig anders. Die allzustrenge Auslegung des §153 Abs. 3 ASVG sei nicht Intention des Gesetzgebers. Denn das würde ja die Ambulatoriumszahnmedizin für alle Zeiten auf einem aus NÖGKK-Sicht zweifelsohne unzeitgemäßen Stand festhalten. Dem Gesetzgeber sei diese drohende Benachteiligung der Ambulatoriumspatienten bewusst gewesen. Deswegen hätte er ja gerade mittels §575 (16a) ASVG festsitzende Versorgungen unter gewissenen Umständen auch für Ambulatori-umspatienten freigegeben und mittels §84a ASVG die Versorgung der Versicherten nachhaltig sicherstellen wollen.

Narkosebehandlungen und Geschiebe dürften nun - wie auf der Titelseite schon erwähnt - das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Ob es in weiterer Folge tatsächlich zu einer Klage der ÖZÄK gegen die NÖGKK kommt oder nicht (bei Redaktionsschluss stand eine solche im Raum!), werden wir zu gegebener Zeit erfahren. Wie es derzeit aussieht, würde es die NÖGKK auf einen Rechtsstreit wohl ankommen lassen!

Ich möchte hier eher den Hintergrund ausleuchten. Unstrittig will uns unser Vertragspartner mit seinen Ambulatorien Konkurrenz machen. Er behauptet, dass seitens der Patienten ein massiver Bedarf nach Zahnambulatorien besteht. Damit muss die Frage gestattet sein, ob zwischen den Ambulatorien und unseren Ordinationen auch Chancengleichheit besteht. Tatsache ist, dass die NÖGKK ihre Ambulatorien um sehr viel Geld auf einen hervorragenden technischen Stand gebracht hat. Das ist angesichts der Tatsache, dass führende NÖ-Kassenfunktionäre schon seit längerer Zeit in aller Öffentlichkeit von der drohenden Pleite ihrer Einrichtung sprechen und vehement Geld vom Steuerzahler einfordern, schon einmal mehr als erstaunlich. Wir stellen uns also die Frage nach der kaufmännischen Gebarung der NÖGKK, was uns unmittelbar zur Kalkulation der in den Zahnambulatorien erbrachten Privatleistungen führt. Von der Mundhygiene bis zum Geschiebe gibt es da ja einiges. Sind nun die Preise für diese Leistungen betriebswirtschaftlich korrekt kalkuliert, oder handelt es sich um wettbewerbsverzerrende Dumpingpreise, die im Vertrauen auf Quersubventionen durch die Zwangsbeiträge der Versicherten und das Geld der Steuerzahler niedrig angesetzt wurden? Dazu Direktionsrat Karl Georg von der NÖGKK: „Die Kalkulation der in unseren Zahnambulatorien erbrachten Privatleistungen erfolgt mit kaufmännischer Sorgfalt und ist kostendeckend. Die NÖGKK verfolgt als sozialer Krankenversicherungsträger nicht das Ziel einer Gewinnmaximierung, sondern die optimale Versorgung auch für sozial schwächere Bevölkerungsschichten."

Hoher Transparenzbedarf
Und wie sieht es nun mit der Transparenz der kaufmännischen Gebarung aus? Denn ein Bedarf nach Transparenz besteht ja wohl schon, wenn der Leistungserbringer, Kostenträger (im Fall von Vertragsleistungen) und der Kontrollor ein und dieselbe Institution ist. Lückenlose Transparenz ist der einzig gangbare Weg, all den Verdächtigungen und Vorwürfen den Boden zu entziehen. Denn der hieb- und stichfeste Beweis, dass die Ambulatorien mit ihren derzeit bestehenden Preisen ohne jede Quersubvention durch Zwangsbeitrags- und Steuerzahler positiv bilanzieren, würde die Kritiker wohl schlagartig zum Verstummen bringen. Und selbstverständlich müsste die Amortisation der hohen Investitionen Teil dieser Beweisführung sein. Denn ein Privater, der seine Ordination mit allen Finessen teuer ausstattet, kann ja weder auf Zwangsbeitrags- noch Steuergelder zurückgreifen. Der ist im worst case einfach ein Fall für den Konkursrichter.

Zur Frage der Transparenz meint Karl Georg: „Die Zahnambulatorien stellen in der Buchhaltung einen eigenen Rechenkreis dar, d.h. es liegt selbstverständlich ein ausführliches Zahlenwerk vor. Die externe Überprüfung obliegt dem Bundesministerium für Gesundheit sowie dem Rechnungshof. Die letzten fünf Jahre haben in ihrer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Kosten stets positive Ergebnisse gebracht. Eine Quersubventionierung ist nicht erfolgt!" Eine diesbezügliche Anfrage bei Kammeramtsdirektor Dr. Krainhöfner hat ergeben, dass ihm ein derartiges Zahlenwerk nicht bekannt ist. Aber dem könnte die NÖGKK ja leicht abhelfen!

Klage droht
Kehren wir zu der im Raum stehenden Klage zurück: Mag es im Punkt „Narkosebehandlung" in der Kollegenschaft vielleicht noch geteilte Meinungen geben, so steht der zweite Punkt, die Frage der Geschiebe, wohl außerhalb jeder Diskussion. Wenn die NÖGKK allen Ernstes meint, klammerlose Haltelemente seien kein Luxus und wenn die Patienten das wollten, müsste sie das eben machen, so ist diese Ansicht schlicht und einfach schon aus fachlicher Sicht lächerlich. Gegossene Stiftaufbauten, um nur ein Beipsiel zu nennen, mögen kein Luxus sein, Geschiebe sind es in jedem Fall. Wenn sich ein Patient mit Klammern nicht gefällt, ist das sein Problem, mit der prinzipiellen Versorgungsgüte hat das nicht das Geringste zu tun!

Ganz abgesehen davon, wie der derzeitige Rechtsstreit ausgeht und ob man einen prinzipiellen Bedarf für Zahnambulatorien der NÖGKK überhaupt als gegeben ansieht oder nicht: Was mich an der ganzen Sache wirklich erstaunt, ist, wie die NÖGKK ihren sozialzahnheilkundlichen Auftrag auffasst. Denn was Selbstbehalte betrifft, ist die nieder-österreichische Kasse nicht gerade zimperlich. 2008 wurden die meisten Selbstbehalte, so z.B. für Prothesenreparaturen a)-e) um sagenhafte 100% (!) erhöht. Begründet wurde das damals natürlich mit der Geldknappheit der Kasse. Und das in Zeiten wie diesen, wo die zumeist nicht allzu vermögenden Menschen, die das betrifft, ohnehin schon schwer mit den Belastungen des täglichen Lebens zu kämpfen haben. Diese 100%-Erhöhung im Interesse der Anspruchsberechtigten wieder rückgängig zu machen, das wäre wahre Sozialzahnheilkunde, nicht aber krampfhaft darüber nachzudenken, ob sich jemand mit Prothesenklammern gefällt oder nicht.

Dr. Peter Standenat