Amortisation: Schein und Sein/Teil II

Studium: Schon hier werden die Weichen gestellt!

Eine Kernfrage: Ist es die Aufgabe des Dr.med.dent.-Studiums, die jungen Menschen derart auf das wirkliche Leben vorzubereiten, dass sie uneingeschränkt „betriebstauglich" in der freien Praxis bestehen können?

Wir Älteren kennen die früher vorherrschende „akademische" Meinung, dass auf der Hochschule theoretisches Wissen und praktische Fertigkeiten vermittelt werden müssen. Für alles andere hat sich die Universität einfach nicht zuständig gefühlt. Wie der fertige Facharzt für ZMK im späteren Leben mit der Führung seiner Ordination zurecht kommen würde, hat keinen interessiert.
Recherchen beim Hochschulreferenten der Wiener Zahnärztekammer, Kollege DDr. Claudius Ratschew, haben ergeben, dass diesbezüglich zumindest auf der Wiener Zahnklinik der „Geist" der Vergangenheit herrscht. Was sich hingegen dramatisch verändert hat, sind die Voraussetzungen, unter denen heute die zahnärztliche Berufsausübung stattfindet. In Österreich hat die Zahl der BehandlerInnen dramatisch zugenommen, außerdem besteht ein gewaltiger Patientenabstrom in den Osten. Viele KollegInnen sehen in absehbarer Zeit keine Chance auf einen Kassenvertrag und lassen sich daher als Wahlarzt/-ärztin nieder. Die Kassenhonorare sind weder kostendeckend, noch werden sie jährlich adäquat angepasst, und PatientInnen von Wahlärzten erhalten überhaupt nur 80% refundiert.

Wäre ich heute ein universitärer Lehrer, würde ich mir die Frage stellen, ob ich es den mir anvertrauten jungen Menschen gegenüber überhaupt noch verantworten kann, im alten Trott weiterzumachen. Es soll hier kein Wort über die fachliche Qualität der tatsächlich stattfindenden Ausbildung gesagt werden. Aber es muss doch jedem mit der Materie Befassten geradezu ins Auge springen, dass in der Ausbildung, so wie sie heute stattfindet, wichtigste und für das spätere erfolgreiche Berufsleben geradezu essenzielle, Elemente ganz einfach fehlen, und zwar:
► die wirtschaftliche Ausbildung,
► die psychologische Ausbildung.

Wirtschaftskunde
Wer heute nicht einsehen will, dass es für die angehenden Zahnärzte und -ärztinnen geradezu existenzwichtig ist, auch in diesem Bereich topfit zu sein, der hat einfach die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Alle Aspekte, die mit der finanziellen Seite des Berufes zu tun haben, wie z.B. Kreditaufnahme bei Existenzgründung, oder später diverse Formen der Finanzierung, Buchführung und vieles andere, haben ausführlichst unterrichtet und streng geprüft zu werden. Im Weiteren sollen dann alle sonstigen Aspekte der eigenen Existenzgründung wie z.B. Steuerrecht, Wohlfahrtsfonds etc. gelehrt werden. Das Ausbildungsziel könnte hier z.B. darin liegen, in Form eines Planspiels a) eine Kassenordination, b) eine Wahlarztordination zu gründen und dann für einen gewissen Zeitraum virtuell zu betreiben. Erkenntnisse, die aufgrund einer solchen gediegenen Ausbildung gewonnen werden, können später manch junge Kollegen u.a. davor bewahren, sich mit zu großen Erstinvestitionen zu stark zu verschulden.

Mein Steuerberater hat mir glaubhaft berichtet, dass ihm immer wieder Freiberufler unterkommen, denen das allerelementarste einschlägige Wissen fehlt. Folgen sind dann unter anderem chaotische Buchführung, die man eigentlich gar nicht mehr so nennen kann, Verwechslung von Umsatz mit Gewinn, völlige Unkenntnis der eigenen Steuerpflichten und vieles andere. Nicht selten steht der Verlust der beruflichen Existenz am Ende eines solchen Schreckensszenarios.

Psychologie
Zwei Bereiche sind hier sehr wichtig: Zum einen müssen die jungen KollegInnen lernen, wie man mit den Patienten richtig kommuniziert, sodass diese sich als mit ihren Nöten angenommene Menschen und nicht als Nummern fühlen. Selbstverständlich müssen hier alle Arten der notwendigen Kommunikation gelehrt werden, vor allem auch Konfliktmanagement! Zum anderen müssen sie „Menschenführung" lernen, die sie ja ein ganzes Berufsleben lang praktizieren müssen. Die Folgen schlechter Menschenführung sind verheerend: Zwietracht im Team - im schlimmsten Fall werden Auseinandersetzungen sogar offen vor den Patienten ausgetragen - und Angestellte, die sich mit ihrem Betrieb nicht identifizieren. Ich frage neue PatientInnen oft, was der Grund für ihren Behandlerwechsel war. Mit überwältigender Mehrheit geben diese Patienten Probleme im Bereich der Psychologie (Arzt und/oder Mitarbeiterinnen) als Ursache an. Eine gute Ausbildung könnte auch viele zu dokumentierende Rollenspiele beinhalten. Die gemeinsame Analyse danach würde die jungen Menschen lehren, ihr Auftreten zu verbessern!

Soweit die Situation in Wien. Über Graz und Innsbruck weiß ich nichts. Wenn die dortigen Unis derartig ausbilden, gehören sie vor den Vorhang, wenn nicht, kann es nicht schaden, die eigene Position zu überdenken.

Schon seit vielen Jahren bemüht sich der Zahnärztliche Interessensverband (ZIV), diese Defizite auszugleichen. In acht Abenden veranstaltet er einen Praxismanagementkurs und hilft solcherart den jungen KollegInnen. Kollege Ratschew hat mir berichtet, dass der ZIV auch darüber hinaus ein offenes Ohr für alle einschlägigen Sorgen der Studierenden hat. Uneingeschränktes Lob für den ZIV - vor den Vorhang! Eine kleine Anmerkung wäre aber trotzdem noch hinzuzufügen: Inhaltlich scheint es wohl nicht ganz richtig zu sein, dass der ZIV diese Veranstaltung als Fortbildung tituliert. Denn es handelt sich hier nicht um Fort-, sondern um Ausbildung, die der ZIV in den Bereichen leistet, in denen die Medizinische Universität Wien nichts tut.

Kommen wir zum Schluss noch zu der Zielgruppe, die ein Recht auf die geschilderte gute Ausbildung hat - die StudentInnen. Bei ihnen muss man grob zwei Gruppen unterscheiden: Das sind zum einen die, die aus Freiberuflerfamilien kommen, häufig sogar Töchter und Söhne von in der Praxis tätigen ZahnärztInnen. Sie haben sicher vermittelt bekommen, was es auch in kaufmännischer Hinsicht heißt, einen Betrieb zu führen. Zum anderen sind es aber Kinder aus Angestelltenfamilien, in denen es möglicherweise überhaupt keine Freiberufler gibt, und da ist vermutlich überhaupt kein einschlägiges Wissen vorhanden. Eines ist aber ganz sicher: Eine gute psychologische Ausbildung brauchen sie alle.

Im nächsten Heft: Es wird ernst: Die Existenzgründung
Dr. Peter Standenat