Die Disziplinen fließen ineinander

Prof. Dr. Martin Lorenzoni ist seit rund 20 Jahren an der Grazer Zahnklinik tätig: zunächst als Gastarzt, ab 1993 als Assistenzarzt an der Abteilung für Zahnersatzkunde und seit 1999 als a.o. Universitätsprofessor. Sein Habilitationsthema lautete: „Implantatprothetische Versorgung des Oberkieferseitenzahnbereiches unter besonderer Berücksichtigung der Sinus-Augmentation". ZMT bat ihn um einen kurzen Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte, um Stellungnahmen zu viel diskutierten Themen sowie um eine Vorschau auf die heurige Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie (ÖGI).

Wenn Sie auf die letzten 20 Jahre zurückblicken: Was waren im Bereich der Zahnersatzkunde die wesentlichsten Entwicklungen?
LORENZONI:
Hier sind aus meiner Sicht vor allem die navigierte Implantologie, die CAD/CAM-Technologie, Keramikmaterialien sowie die minimal-invasiven parodontalplastischen OP-Techniken zu nennen.

Wie sehen Ihre Erfahrungen mit der Sofortbelastung von Implantaten aus?
LORENZONI: Zum Thema Sofortbelastung haben wir sehr viel eigene Evidenz erarbeitet. Ich bin ein Anhänger der Sofortbelastung, auch beim teilbezahnten Patienten. Dies gilt für praktisch alle Regionen, sofern keine zusätzliche Augmentation notwendig ist. Für den zahnlosen Unterkiefer stellt die Sofortbelastung heute das Standardverfahren dar. Hingegen sollte man beim zahnlosen Oberkiefer sehr vorsichtig sein.
Derzeit führen wir eine klinische Beobachtungsstudie zur Frage der Sofortbelastung bei Patienten durch, bei denen kleine, simultane, augmentative Verfahren nötig waren. Generell wäre es wichtig, herauszufinden, wann - also bei Vorliegen welcher Risikofaktoren - eine Sofortbelastung ungünstig und ein konventionelles Spätbelastungskonzept indiziert ist.

Wie stehen Sie zum Einsatz von Knochenersatzmaterialien?
LORENZONI: Wir sind auf jeden Fall Anhänger von Knochenersatzmaterialien - mit kleinen Einschränkungen wie zum Beispiel bei vertikalen Defekten oder generalisierter horizontaler Atrophie. Das Verfahren ist anwenderfreundlich und praxistauglich, und die Langzeitergebnisse sind mindestens gleich gut wie mit eigenem Knochen. Auch wenn wir uns als Proponenten der Ersatzmaterialien verstehen, so halten wir es doch für wichtig, darauf hinzuweisen, dass man immer beide Methoden (Knochenersatz und autologer Knochen) im Köcher haben sollte; schließlich gibt es für beide Verfahren Indikationen.

Welche Bedeutung hat in der Implantologie eine keratinisierte Mukosa?
LORENZONI: Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, da bisher nicht sehr intensiv dazu geforscht wurde. Wir beschäftigen uns zusammen mit dem Grazer Parodontologie-Experten Prof. Wimmer damit. Generell ist eine keratinisierte Mukosa aus ästhetischen Gründen, aber auch aus funktionellen Gründen von Bedeutung, da sie zu einer Verbesserung der Eigenhygiene führen kann. Weiters kann sie bei ästhetischen Misserfolgen eine Verbesserung der Situation bewirken. Aktuelle Studien zeigen, dass keratinisierte Mukosa hinsichtlich des Implantaterfolgs und des Knochenabbaus von Bedeutung ist und die Stabilität der periimplantären Weichgewebe langfristig beeinflusst.
Zur Verbreiterung der keratinisierten Mukosa existieren verschiedene Techniken: Es gibt minimal-invasive Verfahren mit Tunnelierung, bei denen man subepitheliale Bindegewebstransplantate, aber auch Ersatzmaterialien einsetzen kann. In den letzten Jahren wurden neue Materialien entwickelt, auch solche bovinen Ursprungs, die als Ersatz für Bindegewebs- und freie Schleimhauttransplantate dienen. Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh, man kann aber sagen, dass unsere ersten Erfahrungen mit den Ersatzmaterialien durchaus positiv sind. Aus ästhetischer Sicht sind sicherlich beide Techniken gegenüber einem freien Schleimhauttransplantat zu bevorzugen. Generell sollte man immer bedenken, dass die Operationstechniken nicht ganz einfach sind. Sie können nur durch gezielte Weiterbildung bzw. Assistenz bei erfahrenen Kollegen erlernt werden.

Wann wird die heurige Jahrestagung der ÖGI stattfinden, und unter welchem Motto wird sie stehen?
LORENZONI: Die Jahrestagung wird vom 6. bis 7. November stattfinden. Das Motto lautet: Implantologie als Symbiose aus Chirurgie, Parodontologie, Prothetik und Zahntechnik. Wichtige Prothetik-Themen werden dabei u.a. funktionelle und materialkundliche Probleme wie Keramikabsplitterungen sein. Die Vermeidung und die Behandlung biologischer und biomechanisch/technischer Komplikationen sind Kernpunkte des Symposiums. Auch die Zahntechnik, die ja in der modernen Implantologie eine bedeutende Rolle spielt, soll entsprechend gewürdigt werden. Ein wichtiger Teil der Referate betrifft den Bereich „Periimplantitis" und Implantatbehandlung beim parodontalen Problempatienten.
Selbstverständlich werden weiters aktuelle implantatchirurgische Fragestellungen wie Navigation, Sofortbelastung und augmentative Verfahren vorgestellt und diskutiert. Insgesamt freuen wir uns sehr, dass internationale renommierte Experten aus allen vier Teildisziplinen vortragen werden. Es geht uns darum, diese Disziplinen im Sinne einer erfolgreichen Gesamtrehabilitation zusammenzuführen. Prof. Zechner und ich möchten dabei den von Doz. Pertl eingeschlagenen Weg fortsetzen und die ÖGI-Tagung zu einem Fixpunkt machen (neben der gemeinsamen Tagung mit DGI und SGI).

Wird der Tagungsort wieder Fuschl sein?
LORENZONI: Ja, die Veranstaltung wird wieder im Schloss-Fuschl -Resort abgehalten werden. Der Fuschlsee ist im Spätherbst sehr romantisch, und der Jagdhof bietet ein optimales Umfeld für diese Veranstaltung, die wir mit einer Industrieausstellung abrunden werden.


Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Dr. Peter Wallner

Weitere Infos zur ÖGI-Jahrestagung: http://www.oegi.org/oegi.htm

 

Prof. Dr. Martin Lorenzoni