Mikrobielle orale Erkrankungen - Teil 2: Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche mit systemischen Grunderkrankungen und Behinderungen

Neben den bei gesunden, immunkompetenten Kindern und Jugendlichen auftretenden parodontalen Erkrankungen kommt den mit systemischen Grunderkrankungen und genetischen Defekten assoziierten Parodontopathien aufgrund ihrer speziellen diagnostischen und therapeutischen Anforderungen besondere Bedeutung zu.

Orale Erkrankungen durch Störung der Immunabwehr
Derartige Problematiken ergeben sich etwa bei jungen Menschen mit Störungen oder Schwächung der allgemeinen Immunabwehr durch Erkrankungen des haematopoetischen Systems wie bei akuter Leukämie, Granulozytopenie oder Agranulozytose. Neben den bekannten folgenschweren Beeinträchtigungen des Gesamtorganismus kommt es dabei besonders im Bereich der oralen Schleimhäute zu massiven, oft nur schwer beherrschbaren Entzündungen mit starker Blutungsneigung, Schwellung, Gingivahyperplasien und schmerzhaften Ulzerationen. Diese Schleimhautläsionen sind in manchen Fälen die ersten auftretenden Alarmzeichen einer noch nicht diagnostizierten Erkrankung der zellulären Abwehr. Bei derartigen therapierefraktären oralen Entzündungen bei Kindern und Jugendlichen sollte der behandelnde Zahnarzt unbedingt rechtzeitig eine differenzialdiagnostische Abklärung der möglichen Ursachen in die Wege leiten.

Der jugendliche Diabetiker - ein parodontaler Risikofall
Bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 1 kommt es, besonders bei nicht optimaler Einstellung des Blutzuckerspiegels, zu überschießenden Entzündungen der oralen Weichgewebe auf bakterielle Plaque. Dies führt in der Folge zu Gewebsabbau und letztlich zu schweren Schäden am Parodontium. Bereits geringe Plaquemengen, welche bei Nichtdiabetikern kaum einen Entzündungsreiz verursachen, können hier bereits zu massiven Reaktionen führen. Dazu kommt, dass statistisch gesehen bei jugendlichen Diabetikern gegenüber gesunden Jugendlichen deutlich erhöhte Keimzahlen in der Sulcusflüssigkeit nachweisbar sind. Die Häufigkeit von Karies wird indessen nicht von der metabolischen Grunderkrankung beeinflusst. Eine der Ursachen für die erhöhte Bereitschaft zur Entstehung parodontaler Erkrankungen ist ein meist gleichzeitig mit dem Diabetes einhergehender Defekt der polymorphkernigen Granulozyten. Zudem kommt es über die Bildung von AGE (advanced glycated end products) zu einer vermehrten Bildung und Ausschüttung von TNF a sowie Il -1b und Il - 6, was wiederum zur Erhöhung der Entzündungsaktivität und über Aktivierung von Osteoklasten zum Knochenabbau führt. Durch diabetische Mikroangiopathien wird das Zahnfleisch zudem vermindert durchblutet. Dies fördert die Ansiedelung parodontalpathogener anaerober und fakultativ anaerober Mikroorganismen. Bakteriell bedingte Nekrosen und die Entstehung von Osteomyelitis im Kieferknochen sind häufige Folgeerscheinungen.

Asthmatische Erkrankungen sind im Zunehmen begriffen
Besonders allergisches Asthma tritt in letzter Zeit vermehrt im jugendlichen Alter auf. Durch die Nebenwirkungen der erforderlichen Therapeutika kann es zu einer erhöhten Gefährdung der oralen Gesundheit kommen. Ipratropiumbromid, Steroide und Cromoglicinsäure beeinflussen die Zusammensetzung des Speichels und erniedrigen die Speichelflussrate. Durch die damit auftretende Mundtrockenheit und den Mangel an Abwehrstoffen des Speichels wie etwa IgA, Enzyme und Antioxidantien wird pathogenen Mikroorganismen die Kolonisation erleichtert. Nach inhalativer Anwendung von Cortisonpräparaten wie Budesonid sollte der Mund im Anschluss daran gut ausgespült werden, um Reste der Substanz von den Zahnoberflächen und den Zähnen zu entfernen. Bronchodilatoren wie b2-Sympathicomimetika beeinflussen auch die Muskulatur der Speiseröhre. Es kommt vermehrt zu gastroösophagialem Reflux. Säure gerät in die Mundhöhle, der Speichel-pH wird verändert und es kommt zu Schäden an der Zahnhartsubstanz und an der Schleimhaut. Exakte individuelle Mundhygiene, zuckerfreie Kaugummis zur Förderung der Speichelflussrate und regelmäßige zahnärztliche Kontrollen können jedoch Schäden weitgehend hintanhalten.

Behinderte Kinder und Jugendliche in der Zahnarztpraxis
Schwere Zahn- und Zahnfleischerkrankungen treten in dieser Problemgruppe deutlich vermehrt auf. Dies resultiert einerseits aus der oft massiven Einschränkung der Kaufähigkeit der betroffenen Patienten. Durch die vorwiegende Aufnahme von breiiger Nahrung wird der natürliche Reigungsprozess der Zähne unterbunden und kommt es zu überschießender Plaquebildung. Zusätzlich ist eine selbstständige, ausreichende Mundhygiene bei entsprechender Retardierung oft kaum möglich und wird von den Behinderten auch durch pflegende Personen nur eingeschränkt toleriert. Nicht selten finden sich in dieser Gruppe bereits im Kindesalter schwerste Parodontalerkrankungen mit hoher Beteiligung pathogener Keime wie Prevotella intermedia, Bacteroides forsythus, Wolinela recta und Streptocccus intermedius. Ein zusätzlicher Risikofaktor für Behinderte ist dann die in der Pubertät auftretende hormonell induzierte Entzündungsbereitschaft der oralen Gewebe. Aber auch bestimmte erforderliche Medikationen können besonders bei vorbestehenden Zahnfleischerkrankungen deren Progression fördern. Das bei Epileptikern zum Einsatz kommende Diphenylhydantoin führt etwa zu oft massiven Gingivahyperplasien. Die so entstehenden Pseudotaschen bieten Bakterien und Pilzen ein hervorragendes Besiedelungsmilieu.
Junge Patienten mit Morbus Down leiden häufig unter syndromassoziierter, stark erhöhter Anfälligkeit der parodontalen Gewebe. Außerdem finden sich bei Down-Kindern häufig angeborene Herzfehler. Aus diesem Grund stellen potenziell pathogene Keime für sie ein besonderes Risiko dar. Die bei schweren Parodontopathien obligat auftretenden Bakteriämien können zu Endocarditis und Herzmuskelschäden führen.

In jedem Fall ist gerade beim behinderten Patienten eine genaue Kenntnis der Anamnese sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit des Zahnarztes mit den anderen behandelnden Ärzten von größter Bedeutung. Unterschiedliche Formen der Behinderung erfordern individuell angepasste, oft sehr zeitaufwändige Therapiekonzepte. Viele notwendige Eingriffe und auch die professionelle Mundhygiene können in manchen Fällen nur unter Sedierung oder sogar Vollnarkose durchgeführt werden, was wiederum eine exakte Planung der Therapien erforderlich macht. Dennoch sollte die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Kauapparats und der oralen Gesundheit der Patienten im Hinblick auf deren Lebensqualität in keinem Fall hintangestellt werden.

Ch. Eder
L. Schuder
 

Mikrobielle Plaque aus der Sulcusflüssigkeit bei gingivaler Entzündung.